Techno, Heavy Metal & Superkräfte
Von Björn BecherWenn sich die aus der geschlossenen Psychiatrie getürmte Mona Lisa („Burning“-Entdeckung Jeon Jong-seo) zum wahrscheinlich ersten Mal in ihrem Leben durch das TV-Programm zappt, ist dort neben Donald Trump und seinen Nordkorea-Bemühungen auch ein Beitrag über einen Militäreinsatz im Iran zu sehen. Ein explizit politischer Film ist „Mona Lisa And The Blood Moon“ der iranisch-stämmigen Regisseurin Ana Lily Amirpour, die schon mit ihrem Debüt „A Girl Walks Home Alone At Night“ Horrorjunkies und Arthouse-Fans gleichermaßen begeistert hat, deshalb aber noch lange nicht.
Stattdessen reißt die Genre-Expertin, die zuletzt den Wüsten-Wahnsinn „The Bad Batch“ für Netflix gedreht hat und außerdem für ein Remake von „Cliffhanger“ im Gespräch ist, in ihrem dritten Spielfilm etliche Themen und Subtexte an. Ihr nokturner, aber dennoch ansteckend optimistischer Fantasyfilm kann zudem auch als Kommentar zum aktuellen Stand des Superheldenkinos gelesen werden. Dass Amirpour viele Punkte nur anreißt, ist vielleicht die größte Schwäche ihres sonst von pulsierenden Techno-Beats und harten Heavy-Metal-Riffs beständig vorangetriebenen Leinwandrausches.
Mona Lisa (Jeon Jong-seo) hat nach ihrem Ausbruch erst mal kräftig Hunger ...
Die 22-jährige Mona Lisa hat die Fähigkeit, andere mit ihren Gedanken zu kontrollieren – und das nutzt sie, um nach mehr als einem Jahrzehnt in einem komaähnlichen Dämmerzustand aus der psychiatrischen Anstalt auszubrechen. Zunächst stolpert sie mit nicht viel mehr als ihrer blutverschmierten Zwangsjacke am Körper durch das partywütige French Quarter in New Orleans – und trifft dort auf allerlei Charaktere, die alle irgendwas von ihr wollen.
So begegnet sie dem Dealer und DJ Fuzz (Ed Skrein), dem Polizisten Harold (Craig Robinson) und der Stripperin Bonnie (Kate Hudson), die die speziellen Kräfte der jungen koreanischen Frau als Chance sieht, endlich zu Geld zu kommen und womöglich aus ihrem Scheißleben auszubrechen. Nur Bonnies kleiner Sohn Charlie (Evan Whitten) scheint dabei die eine wirklich zentrale Frage zu stellen: Was will eigentlich Mona Lisa?
Wenn Mona Lisa aus der Klinik ausbricht, kreuzt sich ihr Weg zunächst mit drei jungen Punks – und es werden sofort erste Erinnerungen an „Terminator 2“ wach. Aber wo sich der nackte Arnold Schwarzenegger damals noch mit Gewalt Klamotten besorgte, stellt Ana Lily Amirpour die Szene nun konsequent auf den Kopf, wenn sich die Jugendlichen von sich aus als überraschend hilfsbereit erweisen. Es sind schließlich gerade solche Ausgestoßenen, die in „Mona Lisa And The Blood Moon“ die „Guten“ sind, von denen noch am ehesten Hilfe (wenn auch nicht immer aus altruistischen Motiven) erwartet werden kann.
Dass Mona ihre Fähigkeit, andere Menschen zu kontrollieren, gleich zu Beginn einsetzt, um eine tyrannische Aufseherin zu zwingen, sich immer und immer wieder eine Schere ins Bein zu rammen, schadet ihrem Standing beim Publikum kaum. Wir sehen hier eben nicht die große Origin-Erzählung der nächsten Superheldin von Marvel oder DC, die so ein Verhalten zur ambivalenten Figur machen würde. Stattdessen erzählt Ana Lily Amirpour mit den Mitteln des Genrekinos ein einnehmendes Außenseitermärchen, bei dem die Sympathien klar verteilt sind – zumal die wieder mal großartige Jeon Jong-seo Mona so geschickt zwischen superverletzlich und übermächtig spielt, dass man ihr einfach ganz fest die Daumen drücken muss. Erst Recht, wenn sie sich später mit dem Grundschüler Charlie in einer weiteren Hommage an „Terminator 2“ zusammentut.
... und freundet sich beim Burgeressen mit der Stripperin Bonnie (Kate Hudson) an.
Gemeinsam mit „Midsommar“-Kameramann Pawel Pogorzelski inszeniert Amirpour „Mona Lisa And The Bloodmoon“ als wilden Trip durch das schillernd-pulsierende Partyviertel von New Orleans. Nicht alles fügt sich dabei stimmig zusammen. Wenn die Kamera lange Zeit entweder zu Beginn oder am Ende jeder Szene den blutroten Vollmond einfängt, sieht das zwar super aus und schlägt den Bogen ganz weit zurück bis zu den Anfängen des Horrorkinos, aber es führt am Ende doch zu nichts und wird auch bald wieder fallen gelassen.
Und wenn der schräge Fuzz sich mit einem „Wir sehen uns im Sequel“ verabschiedet, wird nicht ganz klar, ob sich die Regisseurin damit über das aktuelle Superheldenkino lustig macht, bei dem die Fortsetzung immer schon mit gedacht werden muss? Oder teasert sie womöglich sogar selbst einen zweiten Teil an? Oder ist jegliche tiefere Deutung dieses Satzes eine Überinterpretation und es einfach nur die spleenige Art von Fuzz, der sowieso ein wenig an James Francos Alien aus „Spring Breakers“ erinnert?
Immer wieder werden einem in „Mona Lisa And The Blood Moon“ Ideen und Ansätze hingeworfen, deren weitere Bedeutung dann bewusst offengelassen wird. Was soll etwa die Andeutung, dass Mona Lisa aus Nordkorea stammt? Warum weiß niemand von ihren Superkräften? „Mona Lisa And The Blood Moon“ ist kein Film der Erklärungen – das macht aber auch nichts. Wir sind schließlich nicht im MCU, wo jedes noch so winzige Detail in eine Timeline einsortiert werden muss. Stattdessen lädt Amirpour ihr Publikum ein …
… sich in der atmosphärischen Blutmondnacht einfach nur treiben zu lassen: Die pulsierend-dröhnende Musikuntermalung vereint nicht nur so grundverschiedene Genres wie amerikanischen Heavy Metal und italienischen Techno, sondern entwickelt zudem auch einen kraftvollen Vorwärtsdrang, der den Film ungemein kurzweilig wirken lässt. Zudem gerät im Finale selbst das simple Boarding eines Flugzeugs allein durch die drunter gelegten Beats unglaublich spannend und intensiv.
Fazit: Auch wenn viele Ideen nur angerissen werden und immer wieder der letzte Kick fehlt, ist „Mona Lisa And The Blood Moon“ ein ebenso atmosphärischer wie berührender Superhelden-Horror-Rausch der etwas anderen Art.
Wir haben „Mona Lisa And The Blood Moon“ beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.