Der Osten und wie er (nicht unbedingt) wirklich war
Von Oliver Kube23 Jahre nach dem Sensations-Hit „Sonnenallee“ beziehungsweise 17 Jahre nach dem nicht mehr ganz so erfolgreichen „NVA“ komplettiert der im sachsen-anhaltischen Quedlinburg geborene Leander Haußmann mit seiner „Stasikomödie“ nun seine DDR-Trilogie. Ob es wirklich noch einen weiteren Film in diese Richtung gebraucht hätte, ist sicher diskutabel. Allerdings beleuchtet die Tragikomödie mit Spionagefilm-Elementen den aus heutiger Sicht oft absurde Ausmaße annehmenden Alltag im Arbeiter- und Bauernstaat auf durchaus pfiffige Weise. Zudem ist „Stasikomödie“ dank eines engagierten, ansteckend spielfreudigen Casts nicht nur – wie meistens bei Haußmann – auf melancholische Weise sympathisch, sondern größtenteils auch einfach verdammt lustig.
Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf) ist ein erfolgreicher Schriftsteller, der mit Ehefrau Corinna (Margarita Broich) im Berlin der Gegenwart lebt. Auf Drängen seiner Angehörigen hat er sich endlich breitschlagen lassen, Einsicht in seine Stasi-Akte zu beantragen. Diese ist erwartungsgemäß sehr umfangreich, schließlich war Fuchs ein prominenter Regime-Oppositioneller. Sogar ein Institut, das den Widerstand in der DDR dokumentiert, zeigt Interesse und schickt einen seiner Historiker (Tom Schilling) vorbei. Doch bereits das erste Exponat aus der Akte ist eher peinlicher als heroischer Natur: ein Liebesbrief aus den 1980ern mit recht eindeutigem Inhalt.
Damals ist der blutjunge Ludger (jetzt: David Kross) noch ein wie ferngesteuert agierender Systemsoldat. Angeworben – beziehungsweise mehr oder weniger zwangsrekrutiert – wurde er von Oberstleutnant Siemens (Henry Hübchen), um undercover für die Staatssicherheit zu arbeiten. Sein Auftrag lautet, die gefährlich freidenkerische Künstlerszene am Prenzlauer Berg zu unterwandern. Zunächst liefert Ludger, der sich dabei als Dichter ausgibt, auch noch brav seine Informationen ab. Doch dann verliebt er sich in Natalie (Deleila Piasko), die ihn wie eine klassische Muse zu echter Kunst inspiriert…
Die zentrale Frage in "Stasikomödie": Wir wurde aus dem Spitzel Ludger (David Kross) ein gefeierter Widerständler gegen das DDR-System?
Zunächst erscheint die Rahmenhandlung mit dem gealterten Ludger Fuchs noch herzlich überflüssig. Zudem wirkt sie aufgesetzt, klischeehaft und sogar ein wenig fake – vor allem Tom Schillings Rolle als tölpelhafter Fan-Boy des Bestsellerautors lädt geradezu zum Augenrollen ein. In seiner vermeintlichen Belanglosigkeit wirkt das alles, als wäre es nachgedrehtes Füllmaterial, um „Stasikomödie“ mit ein paar müden Ostalgie-Gags auf eine abendfüllende Länge zu bringen. Doch je näher wir den jungen Ludger kennenlernen, umso mehr Sinn ergibt die Zweiteilung – und desto klarer wird es, dass sich die Segmente in der Jetztzeit genau so anfühlen müssen, wie sie es tun.
Als Henry Hübchens polternder Stasi-Offizier während des Abspanns die vierte Wand durchbricht und dem Publikum erklärt, dass die Märchenstunde hiermit nun beendet sei, sind wir als Zuschauer*innen völlig in die Figuren investiert. Die zweigeteilte Erzählung führt nämlich dazu, dass man die ganze Zeit intensiv miträtselt, wie sich die Wandlung vom Spitzel zum Revoluzzer denn nun genau vollzogen hat (ober ob nicht vielleicht sogar noch mehr dahintersteckt). Die Wendungen im weiteren Verlauf sind zwar nicht immer überraschend, aber durch die Bank glaubhaft und machen die zunächst noch wie Karikaturen anmutenden Charaktere zunehmend greifbar. Und das betrifft nicht nur den Protagonisten, sondern auch Nebenfiguren wie Ost-Hippie Robert (Matthias Mosbach), Ludgers Rivale um die Gunst der schönen Natalie, oder ein von Karl Schaper ausgelassen trottelhaft gespielter Stasi-Nachwuchsagent.
Überhaupt macht der Regisseur hier eine Menge richtig. Trotz der moralischen Ambiguität der Rolle drücken wir Ludger schnell und gern die Daumen. Wir wollen wissen, wie er sich aus der Situation wieder herauswindet, in die er durch seine Passivität hineingeraten ist. Wie wurde er zum Helden des Widerstands? Und wie konnte es dazu kommen, dass er mit Corinna verheiratet ist und nicht mit seiner Traumfrau Natalie? Dazu sind Kulissen, Kostüme sowie Ausstattung großartig. Die Dialoge haben Biss und auch die Anspielungen auf zeitgenössisches Kulturgut (u.a. mit dem DEFA-Kino-Western „Der Scout“ mit DDR-Chefindianer Gojko Mitic oder dem Album „Bochum“ von West-Popstar Herbert Grönemeyer) sind ebenso treffsicher wie unterhaltsam platziert.
Eine streckenweise leicht bühnenhafte Inszenierung sowie die Kameraarbeit von Michal Grabowski („LOMO: The Language of Many Others“) sorgen für eine Atmosphäre, wie man sie oft bei verfilmten Theaterstücken oder Kammerspielen verspürt. So wird aber zugleich auch eine Intimität vermittelt, die durchaus zu der Gemeinschaft der hier porträtierten Künstlerszene passt. Schließlich handelt es sich um einen recht überschaubaren Kreis von Individuen, die sich mehr oder weniger heimlich im halblegalen Bereich bewegen.
"Sonnenallee"-Kult-Polizist Horkefeld (Detlev Buck) ist in "Stasikomödie" auch wieder mit dabei!
Die lustigsten Momente in „Stasikomödie“ sind die eher subtilen. Leider geht an diversen Stellen aber auch die Liebe zum Klamauk mit Haußmann durch. Dann driften die Situationen allzu sehr ins Lächerliche ab. Viele der Szenen im Stasi-Hauptquartier etwa hätten sowohl inhaltlich als auch tonal besser beim insgesamt deutlich schwächeren „NVA“ reingepasst. Zudem zieht Haußmann manches unnötig in die Länge. Ein Beispiel dafür ist das Kostümfest, das zu Ehren von Stasi-Minister Erich Mielke (Bernd Stegemann) von dessen Untergebenen abgehalten wird. Der Witz hat sich längst verdünnisiert, da gibt es noch immer mehr absurde Tanzformationen und hohles Gequatsche in grotesken Outfits.
Ein echter Pluspunkt von „Stasikomödie“ ist hingegen das bestens aufgelegte Ensemble. David Kross („Ballon“) spielt den überforderten, nach seinem Weg in einem repressiven System suchenden „Helden“ passend naiv und stoffelig. Der größte Szenendieb ist indes einmal mehr Henry Hübchen als Ludgers Führungsoffizier, der mit seinen vom ständigen Qualmen dunkelgelb gefärbten Zähnen seine Untergebenen gnadenlos zusammensch…, äh, herumkommandiert. Das Sahnehäubchen sind die meist kurzen, aber effektiv eingebauten Gastauftritte von bekannten Gesichtern wie „Sonnenallee“-Star Alexander Scheer, Karsten Speck („Herr Lehmann“) oder Robert Stadlober („Crazy“) als das ostdeutsche Pendant zu James Bonds Quartiermeister Q. Obendrein darf Detlev Buck seine kultige Polizisten-Rolle aus dem ersten Teil der Trilogie noch einmal aufleben lassen – allein dafür hat sich die 22-jährige Wartezeit ja schon fast gelohnt.
Fazit: Ein ebenso amüsanter wie authentisch anmutender Mix aus Ostalgie-Satire und Liebeserklärung an das leicht bizarre Lebensgefühl der Kalter-Krieg-Ära. Am besten im Doppelpack mit „Sonnenallee“ anschauen.