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    Bruder Schwester Herz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Bruder Schwester Herz

    Harmlose Geschwistergeschichte

    Von Lucas Barwenczik

    Im Kino drängt die Sehnsucht die Protagonisten meist anderswohin. Wer im Lärm des Betonmolochs erstickt, den zieht es ins ländliche Paradies. Wer in der verschlafenen Provinz haust, will in die lebendige Großstadt. So ist es auch in „Bruder Schwester Herz“ von Tom Sommerlatte („Im Sommer wohnt er unten“). Es ist ein Film über die Sehnsucht nach der Ferne und die Kräfte, die dennoch an Ort und Stelle fesseln. Eine Mischung aus Drama und Komödie, mit ganz dezenten Westernelementen, die aber viel zu harmlos ist, um nachhaltig zu begeistern. Daran können auch die beiden starken Hauptdarsteller nichts ändern.

    Die Geschwister Franz (Sebastian Fräsdorf) und Lilly (Karin Hanczewski) verbindet eine sehr innige Beziehung. Seitdem ihr Vater schwer verletzt wurde, betreiben sie gemeinsam seine Rinderfarm. Doch langsam merken beide, dass ihr bisheriges Leben nicht ewig so weiterlaufen kann. Die Farm weiterführen ist ein schwieriges Geschäft, sie zu verkaufen ein Risiko, das möglicherweise in noch härtere Jobs führt. Lilly sehnt sich nach mehr. Bei einem Fest verliebt sie sich in den Musiker Chris (Godehard Giese). Den wilden Franz versucht derweil seine Mitarbeiterin Sophie (Jenny Schily) zu domestizieren. Doch was bleibt von der Geschwisterliebe, wenn das Erwachsenwerden mit ihr fertig ist?

    Lilly und Franz sind hier unzertrennlich.

    „Bruder Schwester Herz“ verwendet viel Zeit darauf, Alltag und Gemeinschaft der Geschwister zu zeigen. Franz tanzt zu „Sunny“ von Boney M. etwas ungelenk durch die Abendsonne, klagt bei Lilly über einen erfolglosen Flirtversuch und schläft an sie gekuschelt ein. Sie sind sich ungewöhnlich nah. Wir sehen ihnen bei Kneipenbesuchen zu, beim Billardspielen gegen den unsympathischen reichen Großbauern mit seinen Genkartoffeln. Oder bei der Arbeit, beim Fleischverkauf und bei der Schlachtung auf freier Weide mit dem Jagdgewehr. Sie kümmern sich um ihren Vater, den die Mutter seit seinem Unfall verlassen hat. Ein Bruch in der Familie, der einen weiteren androht.

    Es ist kein Szenario, das im deutschen Kino übermäßig präsent ist: Das Landleben, irgendwo zwischen Cowboyromanze und ökonomischer Angst. Über den Aktenordnern hängt der Kopf einer Kuh als Trophäe. Leider fühlt sich das ganze Szenario ein wenig wie in einer TV-Vorabendschnulze an: Es wird viel überzeichnet und dadurch auch verklärt. Es ist eine Arbeit ohne Schmutz, ein übermäßig idyllisches Herumlungern und Feiern. Mehr Wurstwerbung als Realität. Eine Einstellung zeigt ein gespaltenes Bild: Links zieht sich eine Straße voller Autos entlang, rechts reiten Franz und Lilly auf ihren Pferden durch ein endloses Feld. Sie leben in einer Parallelwelt, in einer wundervollen Blase.

    Verweise auf den Western

    Immer wieder reichert Sommerlatte die Bilder mit Verweisen an das Westernkino an. Reiter in weiten Aufnahmen, unberührte Landschaften, wie zum Erobern gemacht. So versteht sich Franz wohl selbst: Als echter Cowboy, fernab der beengenden Großstadt. Im Haus der Familie hängt ein altes Bild der Geschwister im Karnevalskostüm, natürlich mit Hüten und Sheriff-Sternen. Doch Franz hat sein Kostüm nie abgelegt, sondern lebt auch mit über dreißig noch die ewige Kindheit. Wenn er mit der deutlichen älteren Sophie zusammenkommt, dann wirkt sie dabei wie seine Mutter. Eine strenge Erzieherin, die dem Mittdreißiger die letzten Flausen austreibt. Als die Beziehung zu Chris droht, ihm seine geliebte Lilly zu nehmen, reagiert er ungehalten. Er träumt vom Status Quo in einer Welt, die sich um ihn herum verändert. Sebastian Fräsdorf („Nix Festes“) spielt ihn als eigentlich sympathischen Verlierer, der immer dezent zwischen Selbstüberschätzung und Zweifel pendelt.

    Lilly ist die stärkere, klügere und zielstrebigere von beiden. Sie hat Ambitionen, will expandieren und eine neue Scheune bauen. Sie ist ein Cowgirl, ganz und gar, nichts kann diese Identität auch nur antasten. „Tatort“-Ermittlerin Karin Hanczewski verleiht ihr eine besondere Abgeklärtheit, ein breitbeiniges Selbstbewusstsein. Sie weiß um ihre Stärken und Schwächen und ist auf beide stolz. Allerdings findet Regisseur und Autor Sommerlatte Franz und seine Sorgen interessanter, was sich schon daran zeigt, dass die Geschichte bei ihm beginnt und endet. Auch als Lilly für eine Weile mit dem etwas albernen Hippie Chris verschwindet, wird nicht ihre, sondern die Erfahrung des Bruders geschildert. Natürlich gibt es bei ihm mehr Möglichkeiten zur Entwicklung, mehr Veränderung. Und doch: Wo Bruder und Schwester so gleichwertig im Titel nebeneinanderstehen, fühlt es sich falsch an, so zu gewichten. Zumal der Film immer dann am stärksten ist, wenn ihre chaotischen Gefühlswelten aufeinanderprallen.

    Lilly und Hippie Chris.

    Obwohl „Bruder Schwester Herz“ eine Komödie ist, entlockt das Geschehen selten mehr als ein Schmunzeln. Witze über die morgendlichen Yoga-Übungen des Musikers oder die etwas hohlen Landeier sind nicht unbedingt aufregend. Franz und Lillys Mutter hat mit ihrem neuen Lebensgefährten eine oberflächliche Obsession für Indien entwickelt. Das mag eine treffende Beobachtung über ältere Paare sein, die aber auf eher klischeehafte Weise umgesetzt wird. Ohnehin wirken viele der Nebenfiguren wie Karikaturen, die aber nicht einmal überzeichnet sind. Die Harmlosigkeit ist Programm. Bei allen Konflikten, die nicht nur angelegt, sondern auch ausgeführt werden, entsteht nie der Eindruck, es stehe wirklich viel auf dem Spiel. Fallhöhe wird behauptet, spürbar ist sie nicht. Es ist ein Film über die Sehnsucht nach mehr, der aber das Thema höchstens auf einer Meta-Ebene gut behandelt: Denn nach dem Film sehnt man sich definitiv nach mehr…

    Fazit: „Bruder Schwester Herz“ ist ein wahnsinnig unspektakulärer Film. Aber die beiden Hauptdarsteller und ihr Zusammenspiel können überzeugen.

    Wir haben „Bruder Schwester Herz“ auf dem Filmfest München gesehen, wo er als Teil der Reihe Neues Deutsches Kino gezeigt wurde.

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