Mitreißend, authentisch, wichtig!
Von Björn BecherFür die Araber ist er ein Jude, für die Deutschen ein Kanake und für die Juden der Terrorist aus dem Wedding. So fasst der Protagonist aus „Ein nasser Hund“ einmal seine missliche Lage zusammen. In der Verfilmung von Arye Sharuz Shalicars 2010 erschienenen Autobiografie „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ gibt es immer wieder solche deutlichen, manchmal auch plakativen Feststellungen. Trotzdem geht Regisseur und Drehbuchautor Damir Lukačević („Transfer“) bei der Vermittlung seiner Botschaft nicht mit dem Holzhammer vor.
„Ein nasser Hund“ ist als Antisemitismus-Anklage natürlich auch politisch. Aber in seinem Berlin-Wedding-Drama kommt Lukačević in erster Linie seinen Figuren ganz nah, zeigt nicht nur ihre Taten, sondern offenbart auch ihre Gefühle. Es sind nicht all Sympathieträger*innen, aber immer Figuren, mit denen man mitfiebern kann. So ergibt sich eine nicht immer runde, aber auch durch die Besetzung mit Laien in einigen Hauptrollen immer authentisch anfühlende Coming-of-Age-Geschichte.
Auch eine Liebesgeschichte wird in "Ein nasser Hund" erzählt.
Mit 16 zieht der iranisch-stämmige Soheil (Doguhan Kabadayi) mit seinen Eltern aus dem beschaulich-bürgerlichen Göttingen nach Berlin-Wedding. Soheil ist zwar nicht religiös, aber Jude, wovon auch ein Andenken an seine Oma zeugt: Schnell lernt Soheil, dass man so eine Kette mit Davidstern im Wedding besser versteckt. Durch seine Graffiti-Kunst findet er Anschluss an die Gang von Husseyn (Mohammad Eliraqui). Zudem verliebt er sich in seine Mitschülerin Selma (Derya Dilber).
Zum Entsetzen seiner hilflosen Eltern (Kida Khodr Ramadan, Dorka Gryllus) hat Soheil allerdings bald immer öfter Ärger mit der Polizei, etwa wegen Prügeleien mit rivalisierenden Gangs. Soheil ist inzwischen eben selbst einer aus dem Wedding – für Husseyn sogar wie ein Bruder. Aber all das ändert sich, als alle erfahren, dass er kein Moslem, sondern Jude ist...
Arye Sharuz Shalicars wahre Geschichte aus den 1990ern wurde für „Ein nasser Hund“ in die Gegenwart verlagert. Während einzelne Figuren und Ereignisse ziemlich direkt oder zumindest sehr ähnlich übernommen wurden, ist die Verfilmung ungemein verdichtet, gleichzeitig aber auch sehr elliptisch erzählt. Wie viel Zeit zwischen zwei Szenen verstreicht, lässt sich meist nur sehr grob erahnen. Dadurch wirkt „Ein nasser Hund“ unglaublich intensiv, weil Ereignisse, die in der Handlung wohl Monate auseinanderliegen, im Film Schlag auf Schlag folgen.
Trotzdem wirkt „Ein nasser Hund“ nicht gehetzt. Die Auslassungen gehen nicht auf Kosten der Charakterentwicklung und sorgen auch nicht für eine zusätzliche Distanz zu den Figuren – ganz im Gegenteil: „Ein nasser Hund“ ist ganz dicht dran an den Figuren, nimmt sich immer wieder Zeit, diese durchaus liebevoll zu porträtieren. Wenn Soheil und Husseyn mit dem Roller durch Wedding cruisen, erzählen wenige Bilder unglaublich viel über diese Bromance – was später dann auch ungemein wichtig wird. Denn so wird trotz der deutlich auf Soheil fokussierten Erzählung auch die massive Enttäuschung des besten Freundes klarer.
Wie Brüder: Husseyn und Soheil.
Husseyn ist ohnehin eine unglaublich schillernde und damit interessante Figur: Er ist der große Zampano, zu dem all die anderen Jugendlichen aus dem Wedding aufschauen und der im Teenager-Alter schon die ganze Welt verstanden haben will; der massive Anführer, der bei jeder Schlägerei vorneweg geht; der große Bruder, der sich zärtlich um alle kümmert und Soheil beim Suchen von Plastikdeckeln hilft, mit denen dieser seine große Liebe beeindrucken will; der gläubige Moslem, der in der Moschee um die Vergebung seiner Sünden bittet.
Vor der Kamera agieren neben den Erwachsenen wie „4 Blocks“-Star Kida Khodr Ramadan vor allem bislang unbekannte Jungdarsteller*innen, die sich im Rahmen eines mehrmonatigen Workshops die Geschichte selbst erarbeitet haben. Gerade beim zentralen Trio merkt man, wie sehr sie ihre Figuren leben – allen voran Derya Dilber, die 2015 schon mal eine Mini-Rolle als Tochter von Kida Khodr Ramadan im Berliner „Tatort: Das Muli“ hatte. Gerade weil von ihrer Figur fast nur in Relation zu Soheil erzählt wird, ist es beeindruckend, wie sie teilweise mit wenigen Blicken und Gesten aufzeigt, wie Selma um den richtigen Umgang mit der Enthüllung ringt.
Nicht alle Nebendarsteller*innen agieren auf diesem Niveau, da wirkt ein Spruch dann doch etwas aufgesagt, eine einzelne Geste zu bewusst gesetzt. Aber davon lenkt die mitreißende Inszenierung genug ab: Die Kamera von Sten Mende („Kidnapping Stella“) kommt den Figuren immer wieder ganz nah – besonders bei einer imposanten Actionszene rund um den Überfall der Weddinger auf ihre Kreuzberger Rivalen. Ohne Schnitt folgen wir mit wackeliger Kamera Soheil und seinen Kumpels bei einer mehrminütigen Schlägerei, die exzellent choreografiert und herausragend gefilmt ist.
Die Szene sticht aber nicht nur inszenatorisch heraus, sondern fügt sich auch nahtlos in die Erzählung ein. Denn für Soheil ist es seine erste Schlägerei und so wird das Publikum mit ihm gemeinsam von der rohen Brutalität, dem puren Chaos einer solchen regellosen Straßenprügelei sowie der schieren Geschwindigkeit, in der das alles abläuft, regelrecht überwältigt. Zugleich wird man selbst als Zuschauer*in durch das Adrenalin so sehr aufgeputscht, dass seine Überreaktion am dramatischen Schluss dieser Sequenz fast schon nachvollziehbar wirkt. Sicherlich eine der stärksten Szenen im Kinojahr 2021.
Fazit: „Ein nasser Hund“ ist ein ebenso intensiv wie authentisch erzähltes, zudem aber vor allem auch absolut mitreißend inszeniertes Coming-of-Age-Drama.