Vom Stadtgespräch zum Scheidungsgespräch
Von Thomas Lassonczyk24 Jahre ist es nun her, da inszenierte Rainer Kaufmann eine typische Beziehungskomödie mit Katja Riemann, in der ausgerechnet eine von den Männern zutiefst frustrierte Radiomoderatorin Menschen mit Partnerproblemen wertvolle Tipps zukommen lässt. Der Film hieß „Stadtgespräch“ und war eigentlich nur als „kleine“ TV-Produktion fürs ZDF gedacht. Doch bei seiner Premiere auf dem Filmfest München ging das Werk so durch die Decke, dass es anschließend doch im Kino landete, mehr als eineinhalb Millionen Menschen vor die Leinwände lockte und damit sogar zum erfolgreichsten deutschen Film des Jahres 1995 avancierte.
Heute, knapp ein Vierteljahrhundert später, hat sich nicht allzu viel geändert. Kaufmann macht immer noch Filme, in diesem Fall direkt fürs Kino. Dem Genre ist er dabei ebenfalls treu geblieben. „Und wer nimmt den Hund?“ ist eine bitterböse Scheidungskomödie mit pointierten Dialogen, kluger Kameraarbeit und zwei versierten Hauptdarstellern. Diese sprechen wie bei einer Dokumentation zunächst frontal in die Kamera und erklären dem Betrachter detailliert, warum ihre Beziehung gerade vor dem Aus steht.
In der Folge erfährt der Zuschauer mehr über das Leben von Georg (Ulrich Tukur) und Doris (Martina Gedeck). Die beiden haben zusammen zwei Kinder großgezogen, sich aber im Verlauf von mehr als 25 Ehejahren letztlich auseinandergelebt. Inzwischen hat Georg mit seiner sehr viel jüngeren Doktorandin Laura (Lucie Heinze) eine Affäre begonnen und damit das Ende der Partnerschaft mit Doris wohl endgültig besiegelt. Um das Ganze wie zivilisierte Menschen „vernünftig“ beenden zu können, lassen sie sich auf eine so genannte Trennungstherapie ein, nicht ahnend, dass sie dadurch eine wahre Lawine geballter Emotionen lostreten …
Bei der Scheidungstherapie stellt sich auch die Titelfrage: Und wer nimmt den Hund?
„Und wer nimmt den Hund?“ ist ein Paradebeispiel deutscher Schauspielkunst. Ulrich Tukur (Deutscher Filmpreis für „John Rabe“, Grimme-Preis für „Tatort“) und Martina Gedeck (Deutscher Filmpreis für „Das Leben ist eine Baustelle“, Goldene Kamera für „Das Ende der Geduld“), beide hochdekorierte Veteranen ihrer Zunft, stacheln sich gegenseitig zu Höchstleistungen an, wenn es darum geht, die Psyche des anderen zu erforschen oder gar offenzulegen. Dabei nutzen sie die ganze Bandbreite ihres Talents, das vom nuancierten Mienenspiel über geschliffen scharfe Oneliner bis hin zum physischen Einsatz reicht. Festgehalten werden die Performances dabei von Kaufmanns langjährigem Kameramann Klaus Eichhammer (auch schon bei „Stadtgespräch“ mit an Bord), der oft ganz nah rangeht an die ausdrucksstarken Gesichter der Protagonisten, vor allem wenn sie sich im Zimmer der Therapeutin befinden.
Einen Großteil seines Humors bezieht „Und wer nimmt den Hund?“ aus seinen bissigen Dialogsequenzen, wenn sie etwa zu ihm sagt: „Ich will eine Firma gründen.“ Darauf er: „Ein Bauunternehmen für Luftschlösser?“. Oder er sagt zu ihr: „Ich hab‘ nachgedacht.“ Darauf sie: „Das muss ja nicht falsch sein.“ Aber Kaufmann verlässt sich nicht nur auf das Drehbuch und die darin verankerten virtuosen Texte, er sorgt auch auf körperlicher Ebene für komödiantische Action. Das äußert sich zum Beispiel, wenn Gedeck ihren Wagen vor lauter Trennungs-Frust gefühlte 20, 30 Mal gegen das geschlossene Garagentor rammt oder Tukur vor lauter Eifersucht über ihren neuen Lover alle vier Reifen an dessen Luxuskarren zersticht. Da fühlt man sich zuweilen an den bis heute unerreichten Hollywood-Klassiker „Der Rosenkrieg“ erinnert, in dem sich Michael Douglas und Kathleen Turner eine brachial-brutale Scheidungsschlacht liefern.
Midlifecrisis ick hör dir trapsen ...
Da auch die Nebendarsteller wie zum Beispiel Marcel Hensema als Doris‘ unberechenbar-cholerischer Liebhaber gut funktionieren und es ein paar schöne Querverweise auf andere Filme gibt (Kaufmann outet sich als Fan von William Hurt und Claude Chabrol), macht „Und wer nimmt den Hund?“ trotz seiner eigentlich ernsthaften Prämisse einen Heidenspaß. Und wenn die beiden Streitenden dann in der Therapie mit weißen und schwarzen Bällen bewerten sollen, was alles in ihrer Ehe gut bzw. nicht gut gelaufen ist, dann möchte man als Betrachter dieses Bewertungssystem am liebsten gleich auch auf den Film anwenden und möglichst viele weiße Kugeln in dem Glas versenken.
Fazit: Bitterböse, von Klaus Eichhammer exzellent fotografierte Scheidungskomödie, mit der Rainer Kaufmann an seinen einstigen Überraschungs-Publikumshit „Stadtgespräch“ anknüpft und die beiden Schauspiel-Ikonen Ulrich Tukur und Martina Gedeck als trennungswilliges Ehepaar zu Höchstleistungen antreibt.