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    I Care A Lot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    I Care A Lot

    Rosamund Pike Vs. Peter Dinklage

    Von Markus Tschiedert

    Was sind uns unsere Alten wert? Eine Frage, die gerade in der derzeitigen Pandemie zum Teil erschreckende Wahrheiten ans Tageslicht fördert. Wer seinen sofort erkennbaren Nutzen für die Gesellschaft verloren hat, dem fehlt im Zweifel auch einfach die nötige Lobby. Wehren können sich viele dagegen kaum, dafür sie sind schlicht zu alt, zu langsam und oft auch zu gutgläubig. Das macht sie zugleich auch zu einem gefundenen Fressen für Nepper, Schlepper und Bauernfänger. Oft sind das Kriminelle, die sich auch noch die letzten Groschen der Senioren unter den Nagel reißen wollen. Aber mitunter geht das auch ganz offiziell über den behördlichen Weg, etwa wenn Menschen in die Demenz abdriften und per Gericht eine Vormundschaft eingeleitet werden muss. Heißt: Eine treusorgende Person kümmert sich fortan neben dem Aufenthaltsbestimmungsrecht und der Gesundheitsfürsorge auch um die Finanzen des Demenzerkrankten.

    Aber was, wenn dieser „gute Mensch“ die ihm übertragenden Möglichkeiten zu seinem eigenen Vorteil missbraucht und gar Aufsichtsbehörden hinters Licht führt? Dann ergibt sich daraus zumindest ein perfider Stoff für einen wirklich bösen Film! „I Care A Lot“ lautet der entsprechend zynische Titel der neuen Netflix-Produktion mit Rosamund Pike, die hier einmal mehr ihr durch „James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag“ und „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ erworbenes Schurkinnen-Talent unter Beweis stellen kann. Der oscarnominierte Star spielt eine gerichtlich bestellte Vormundin, die bereits etliche alte Menschen in Heime gesteckt hat, um sich deren Vermögen anzueignen. Gleich in den ersten Sätzen erzählt sie uns aus dem Off, was ihre wahren Absichten sind, wenn sie sagt: „Es gibt zwei Typen von Menschen: Lämmer und Löwen. Mein Name ist Marla Grayson und ich bin kein Lamm. Ich bin eine verdammte Löwin.“

    Eiskalt: Rosamunde Pike knüpft an ihre abgründige Rolle aus "Gone Girl" an ...

    Während die Kamera Momentaufnahmen aus einem Pflegeheim einfängt, behauptet Marla Grayson (Rosamund Pike), dass sie nicht daran glaubt, dass harte Arbeit und Fairness Erfolg und Glück mit sich bringen. Man muss sich nehmen, was man will – und sie habe einen Weg gefunden, sich mit zweifelhaften, aber letztendlich doch legalen Mitteln zu bereichern. Ihr nächstes potenzielles Opfer ist Jennifer Peterson (Dianne Wiest), eine wohlhabende Rentnerin, anscheinend ohne Verwandte und damit auch ohne Erben.

    Um auf Nummer sicher zu gehen, lässt Marla die Alte durch ihre Lebensgefährtin Fran (Eiza González) ausspionieren, um sich dann per Gerichtsbeschluss die Vormundschaft übertragen zu lassen. Mrs. Peterson landet im Heim, Marla und Fran nehmen sogar ihre Villa unter Beschlag. Als Marla in einem Schließfach auch noch Diamanten findet, ist sie sich sicher, dass die betagte Dame ein dunkles Geheimnis hüten muss. Und tatsächlich: Mit ihrem moralisch fragwürdigen, aber juristisch offenbar legalen Treiben zieht sie die Aufmerksamkeit eines Mann auf sich, dem jedes Mittel recht ist, um seine Mutter zurückzubekommen…

    Da haben sich zwei Psychos gesucht und gefunden

    Auftritt Peter Dinklage als dubioser, zu Wutanfällen neigender Gangsterboss Roman Lunyov: In seiner ersten Szene, in der er in einer Konditorei einkauft, wird der „Game Of Thrones“-Star noch ganz harmlos eingeführt – nur um uns seine Gefährlichkeit anschließend mit noch gewaltigerer Wucht vor Augen zu führen. Dieser Mann scheint absolut unberechenbar zu sein – und Dinklage kostet die Abgründigkeit seiner Figur mit jedem Blick, mit jedem Ausdruck seines vollbärtigen Gesichts genüsslich aus. Man kann sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher sein, ob man ihn für seine Taten ebenso verabscheuen wird wie Marla Grayson …

    … oder ob er einem gar sympathisch werden könnte, wenn er sich im Verlauf der Story womöglich zum Retter der Rentnerin aufschwingt. Wenig überraschend ist auch Rosamund Pikes gespielte Kaltherzigkeit ungemein beeindruckend. Die meist glatt gekämmten Haare lassen sie dabei noch strenger aussehen – nur ihre E-Zigarette, auf der sie ständig herumkaut, wirkt mitunter auch ein wenig albern.

    ... während man bei Peter Dinklage lange Zeit nicht weiß, ob man ihm nun die Daumen drücken soll oder nicht.

    Ziemlich schnell mündet der Plot in einem sich beständig hochschaukelnden Zweikampf zwischen den beiden. Denn selbst als Roman Marla mächtig unter Druck setzt, um seine Mutter wieder aus ihren gerichtlich bestätigten Klauen zu befreien, zeigt sie sich erstaunlich unbeeindruckt und dreht den Spieß sogar irgendwann um. Dieses Kräftemessen zweier potenzieller Psychopathen bringt die nötige Spannung ins Spiel, selbst wenn dabei keiner der beiden irgendwelche Sympathiepunkte sammelt. Das macht es uns Zuschauenden bisweilen schwer, sich auf die Seite der einen oder des anderen zu schlagen. Man schaut von draußen auf das Geschehen, findet aber zu keiner Figur eine emotionale Bindung, die einen noch tiefer hineinreißen könnte.

    „I Care A Lot“ ist trotz seines Themas eine räudige Räuberpistole, ein perfider Genre-Spaß, in dem es vor allem darum geht auszuloten, wer noch brutaler und noch böser ist. Kurz vor Ende deutet sich allerdings an, dass die Welt womöglich doch nicht so abgebrüht ist, wie es uns Marla zu Beginn weismachen will. Keine Gerechtigkeit! keine Bestrafung! Keine moralischen Zweifel? Das wäre in Anbetracht dessen, was wir zuvor fast zwei Stunden lang gesehen haben, ein konsequenter Schluss gewesen. Aber in letzter Sekunde macht Regisseur J Blakeson („Die 5. Welle“) dann doch noch einen Rückzieher. Trotzdem bietet „I Care a Lot“ aber ein kurzweiliges, superfieses Krimivergnügen, das einen anschließend aber kaum noch kümmert, auch weil einen das Ende ohne jeden Widerhaken einfach wieder aus dieser zuvor so gnadenlos-abgründigen Welt entlässt.

    Fazit: Es sind vor allem die Schauspieler, denen man hier gern zuschaut: Rosamund Pike und Peter Dinklage liefern sich ein gnadenlos unterhaltsames Duell, wer von ihnen noch boshafter und abgebrühter ist! Drum herum wird eine passable Story gestrickt, die den oft fragwürdigen Umgang der Gesellschaft mit alten Menschen zumindest anreißt und schließlich in einem eher aufgesetzten Ende mündet.

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