Mel Gibson vs. Gangster vs. Hurrikan
Von Christoph Petersen20 Jahre, nachdem sich Ben Affleck in „Auf die stürmische Art“ während eines Hurrikans in Sandra Bullock verliebt hat, erlebt das Supersturm-Genre in Zeiten des globalen Klimawandels offenbar eine neue Hochzeit: In „Crawl“ müssen es die Bewohner einer Küstenstadt in Florida während eines Hurrikans mit biestigen Alligatoren aufnehmen, in „The Hurricane Heist“ sollen während eines Hurrikans 600 Millionen Dollar gestohlen werden – und auch der Showdown von „The Equalizer 2“ findet während eines Hurrikans statt.
In „Force Of Nature“ erweist sich ein Stufe-5-Hurrikan hingegen eher als laues Lüftchen: Es regnet zwar die meiste Zeit und zwischendrin läuft auch mal ein Keller voll. Aber statt für spektakuläre Bilder zu sorgen, erfüllt der Supersturm hier vor allem eine dramaturgische Funktion: Weil die Funkgeräte während des Hurrikans nicht funktionieren, kann auch keine Verstärkung herbeigerufen werden. Regisseur Michael Polish scheint sich ohnehin mehr für seine Figuren und ihre kleinen Hintergrundgeschichten als für seine Schussgefechte zu interessieren – und da stellt sich schon die Frage, ob er damit den Geschmack von Leuten trifft, die sich einen VoD-Reißer mit Mel Gibson reinziehen.
Auch Mel Gibson ist eine Naturgewalt.
Nachdem sie im Supermarkt Griffin (William Catlett) einkassiert haben, der nach einer Schlägerei einfach nicht glaubhaft erklären kann, wozu er 50 Kilogramm frisches Hackfleisch benötigt, sollen Cop Cardillo (Emile Hirsch) und seine Partnerin Jess (Stephanie Cayo) die Evakuierung eines Apartmenthauses in San Juan beaufsichtigen. Schließlich rast ein Stufe-5-Hurrikan mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 km/h auf die Küste von Puerto Rico zu.
Allerdings zeigen sich nicht alle Bewohner kooperativ. So weigert sich etwa der auf ein Dialysegerät angewiesene Ex-Cop Ray (Mel Gibson) trotz des Drängens seiner Krankenschwester-Tochter Troy (Kate Bosworth) standhaft, seine Wohnung zu verlassen. Aber als ob der Sturm nicht schon genügend Probleme mit sich bringen würde, taucht plötzlich auch noch eine Verbrecherbande auf, die in dem Wohnkomplex nach einem multimillionenschweren Nazischatz sucht...
Vom desillusionierten Cop über den grummeligen Veteranen bis zum eiskalten Killer – die Figuren in „Force Of Nature“ erfüllen zwar die gängigen Genreklischees, zugleich nehmen sich Michael Polish („The Astronaut Farmer“) und sein Autor Cory Miller aber auch erstaunlich viel Zeit, um vergleichsweise elaborierte Hintergrundgeschichten für die Belagerten zu entwickeln: Von Cop-Rentner Ray erfahren wir, dass seine Tochter eine Stuhltransplantation für ihn will – und mit dem Schwarzen Griffin und dem deutschstämmigen Bergkamp (Jorge Luis Ramos) wagt sich „Force Of Nature“ sogar an einen ethischen Vergleich von Polizeigewalt-Entschädigungen und Nazi-Beutekunst.
Das ist auf der einen Seite natürlich erfreulich – zumal hier nicht nur Emile Hirsch („Once Upon A Time... In Hollywood“), sondern auch Mel Gibson („Dragged Across Concrete“) eine weit bessere Leistung zeigt, als man es in VoD-Reißern dieser Preiskategorie gemeinhin gewohnt ist. Kein Vergleich zu den gelangweilten Gastspielen von Gehaltscheck-Absahner Bruce Willis („Vice“, „Trauma Center“). Auf der anderen Seite hilft aber auch das nicht, für mehr Spannung zu sorgen – denn die bleibt trotz stürmischem Dauerregen konsequent auf der Strecke.
Troy und Cardillo kommen sich näher.
Die gesichtslosen Gangsterschergen werden in kurzen, kaum erwähnenswerten Schusswechseln dezimiert – und ihr Anführer John (gespielt von „Dexter“-Kultcop David Zayas) soll zwar ein superheftiger Kunstkenner sein, der jede Auktion in der Geschichte des Bilderhandels auswendig kennt, lässt sich aber trotzdem mit einer megaoffensichtlichen Fälschungsfinte an der Nase herumführen. Die ganze Stürmung des Komplexes ergibt wenig Sinn – und ohne glaubhafte Bedrohung bleibt eben auch die angestrebte Intensität aus.
Nur die unmotivierte Flirterei von Cardillo und Troy inmitten der blutigen Belagerung ist noch weniger stimmig. So fiebert man abseits der erwähnten Hintergrundgeschichten schon bald nur noch der Auflösung einer einzigen Frage entgegen: Was für eine wilde Kreatur, die Griffin mit 50 Kilo (!) Fleisch füttert und die er speziell für Angriffe auf Menschen in Polizeiuniformen abgerichtet hat, steckt denn nun in dem abgedunkelten Raum mit den vielen, vielen Vorhängeschlössern?
Fazit: Viel Regen, kaum Action - „Force Of Nature“ bietet wenig Spannung und noch weniger Sinn, dafür aber unerwartet viele Charaktermomente und überwiegend gut aufgelegte Schauspieler.