Psychoanalyse pur, mit allen Erklärungen, das heißt einem enormen Aufwand an Dialogen – das ist „Spellbound“ (mit dem pathetisch-unerträglichen deutschen Titel „Ich kämpfe um dich“) sicherlich auch. Und mancher mag heute über die lehrbuchhafte und inzwischen in mancherlei Hinsicht überzogene Darstellung psychoanalytischer Kategorien leise lächeln. In „Spellbound“ jedoch geht es vor allem – einmal wieder – um eine Liebesgeschichte mit allerlei Hindernissen. Hitchcocks starke Zweifel an der romantischen Liebe sind bekannt. In „Spellbound“ „versteckt“ er diese Zweifel – trotz eines hart erkämpften Happyends – hinter der Fassade eines psychoanalytischen Falls, dessen Spannung über zwei Stunden hinweg durchgehalten wird.
Der Leiter der psychiatrischen Klinik Green Manors irgendwo in Vermont, Dr. Murchison (Leo G. Carroll) ist pensioniert worden. Er und seine Kollegen, Dr. Graff (Steven Geray), Dr. Hanish (Paul Harvey), Dr. Fleurot (John Emery) und Dr. Constance Peterson (Ingrid Bergman), erwarten den berühmten Dr. Edwardes als Nachfolger Murchisons. Der erscheint auch (Gregory Peck), doch schnell kommen Zweifel an der Identität dieses Mannes auf, der in Wirklichkeit John Ballantine heißt, davon aber nichts weiß. Schon bei einem Dinner wird Ballantine schwindlig, als Constance auf der weißen Tischdecke mit einer Gabel Linien zieht. Ballantine hat das Gedächtnis verloren. Die Linien machen ihm Angst, sind Zeichen eines dunklen und wunden Punktes in seiner Vergangenheit.
Constance verliebt sich in den gut aussehenden Mann und setzt alles daran – gegen den Widerstand ihrer Kollegen, vor allem Dr. Fleurots, der hinter ihr her ist –, Ballantine zu helfen. Der, so erfährt sie, hält sich für schuldig am Tod des richtigen Dr. Edwardes. Hinter diesem Schuldkomplex und der Amnesie vermutet Constance richtigerweise aber noch ein anderes Geheimnis aus der Kindheit Ballantines.
Inzwischen ist die Polizei auf der Spur Ballantines, da Dr. Edwardes mit ihm gesehen wurde, bevor er starb, ermordet wurde. In ihrer Verzweiflung weiß sich Constance nicht anders zu helfen, als dem inzwischen geflüchteten Ballantine, der unter einem anderen Namen in New York untergetaucht ist, nachzureisen und mit ihm ihren alten Lehrer Dr. Brulov (Michael Chekhov) aufzusuchen. Brulov durchschaut sofort, dass beide kein Paar sind, wie Constance ihm weismachen will, und ist fest entschlossen, Ballantine der Polizei auszuliefern. Mit großer Mühe überredet Constance ihren Lehrer, zunächst zu versuchen, über eine Traumdeutung hinter das Geheimnis zu kommen, das Ballantine derart belastet. Als sie es gelüftet haben, bleibt allerdings eine Frage: Wenn Ballantine nicht der Mörder Edwardes ist, wer dann?
Zeichen bestimmen die Beziehungen in Hitchcocks Filmen. Constance wird als eine scheinbar frigide Frau vorgeführt – von ihrem Kollegen Dr. Fleurot, einem Schürzenjäger, der sich nichts mehr wünscht, als seine Kollegin zu verführen. Constance wehrt ihn ab. Nur Vernunft und Verstand (also Wissenschaft) sollen herrschen, meint sie. Aber insgeheim sagen Ingrid Bergmans Augen etwas anderes. Constance ist wählerisch, auf eine zutiefst positive Art. Constance wartet, bis „es“ passiert. Sie ist nicht frigide, sie schwankt zwischen der Angst vor und dem Wunsch nach Liebe und verbirgt dies hinter einer (psychoanalytischen) Mauer. Dann erscheint dieser junge, gut aussehende, verwirrte Mann, dessen Veröffentlichungen sie bewundert. Der erste Moment ist der entscheidende, der, der alles entscheidet. Die Psychoanalyse erscheint in diesem Moment als eine fahle Fassade, und bis zum Schluss des Films bleibt in der Schwebe, ob es die psychoanalytische Wissenschaft oder die Liebe war, die Ballantine aus der dunklen Versenkung ins Licht zurückgebracht hat.
Das Tischtuch, weiß, steht als Zeichen für die verdrängte Erinnerung, für den Selbstschutz für ein tragisches Ereignis in der Kindheit Ballantines. Aber es steht auch und vor allem für die Liebe. Constance fährt mit der Gabel über das Tischtuch; das Weiß, das auch für Unschuld, Reinheit steht, erfährt dunkle Spuren, die genau das Gegenteil bedeuten. Noch weiß sie nicht, was dies für John Ballantine bedeutet. Wiederum ist es Constance, die das Betttuch bei ihrem väterlichen Lehrer Dr. Brulov über ihren Körper zieht, ein helles Betttuch mit dunklen Linien. Bett und Tisch, wiederum Synonyme für eine Beziehung.
Constance fordert das Glück heraus. Wiederum ist es die starke Frau, die trotzdem Schwächen hat, aber dem Mann zeigt, wo es lang geht. In „Spellbound“ – verzaubert – ist es der Mann ohne Erinnerung, der sich schleunigst eine andere Identität zulegen musste, um zu leben und zu überleben, ein schwacher Mann, dessen Subjektivität, dessen Menschsein durch den Tod überschattet wird. Wie ein Damoklesschwert hängt dieser Tod über John Ballantine. Niemand konnte ihm bisher helfen, schon gar nicht er selbst. Constance kann es.
In einem Gespräch auf der Treppe des Hauses von Dr. Brulov, dem verschmitzten alten Psychiater, der immer einen Witz oder ironischen Kommentar auf den Lippen trägt und der sich nur widerwillig und aus Zuneigung zu Constance von seinem Vorhaben abbringen lässt, Ballantine der Polizei auszuliefern, sagt der väterliche Freund und Lehrer zu den beiden: „Frauen sind die besten Psychoanalytiker, bis sie sich verlieben. Sobald sie heiraten, werden sie die besten Patienten.“ Der Fall Ballantine beweist das genaue Gegenteil. Zwischen John und Constance stehen Schatten seiner Vergangenheit. Ihre Unbeirrtheit und fast schon gnadenlose Konsequenz kann niemand konterkarieren. Die Entschlüsselung dieser Geheimnisse öffnet ihr erst den wirklichen Zugang zu John. Und genau darin besteht Constance Stärke, diesen Weg unbeirrt zu gehen.
Constance entschlüsselt den Traum (von Salvador Dali entworfen) aufgrund ihrer Liebe zu Ballantine mit Hilfe der Psychoanalyse. Brulov entschlüsselt den Traum aufgrund seiner Liebe zur Psychoanalyse. Constance ermöglicht dieser abweichende Weg, in der Enträtselung der Angelegenheit weiter zu kommen als Brulov. Sie findet sogar den Mörder. Was aus beiden wird, lässt Hitchcock offen. Wir wissen nicht, wie John Ballantine wirklich ist, genauso wenig wie Constance. Hitchcock eröffnet beiden eine Tür; was dahinter passieren wird, steht in den Sternen.
Man mag aus heutiger Sicht über die ausgedehnten psychoanalytischen Erklärungen in den Dialogen des Films leicht amüsiert sein. Aber immerhin war „Spellbound“ in dieser Form der erste Film, der sich mit der Wissenschaft derart eingehend befasste. Und auch wenn Constance ihrem Patienten und Liebhaber – eine verbotene Konstruktion für einen Analytiker – fast jeden Schritt ihrer Vorgehensweise erklärt – eine nicht gerade übliche Art nach dem Motto: Ich frage Sie jetzt dies und das, weil ich dies und das herausbekommen möchte –, so bleibt die Psychoanalyse doch „nur“ Beiwerk auf dem Weg, den Constance und John für und zu sich suchen.
„Spellbound“ gehört sicherlich zum „oberen Drittel“ der besten Filme Hitchcocks. Die zumeist düstere Atmosphäre des Films, in dem sich die Figuren in Räumen bewegen, in denen künstliches Licht und Schatten im übertragenen Sinn eine enge Verbindung eingehen, kann immer wieder faszinieren, ebenso die beiden Hauptdarsteller. Gregory Peck war in „Spellbound“ wesentlich besser aufgehoben als etwa in „Der Fall Paradin“.