Der "Avengers: Endgame" für die U-12-Generation
Von Christoph PetersenNicht nur die aktuellen Box-Office-Zahlen deuten an, dass die lange Zeit ungebrochene Begeisterung für Comic-Blockbuster seit dem großen MCU-Finale in „Avengers 4: Endgame“ nun doch langsam abschwillt. Aber während MARVEL und DC mit sinkendem Interesse ringen, hat sich in den Kindergärten und Grundschulen zuletzt ein ganz neuer Superheld*innen-Hype entwickelt: Inzwischen hat die Animations-Serie „Miraculous - Geschichten von Ladybug und Cat Noir“ eine solch massive Gefolgschaft auf den Schulhöfen der Nation erreicht, dass das zugehörige Merchandise nicht nur die Regale der Spielzeuggeschäfte nach Belieben dominiert, sondern sogar die reelle Chance besteht, dass der erste Leinwand-Ableger „Miraculous: Ladybug & Cat Noir - Der Film“ hierzulande auf Augenhöhe mit der Erwachsenen-Konkurrenz zu einem der erfolgreichsten Superheld*innen-Film des Jahres avancieren könnte.
Nachdem lange Zeit ein Realfilm-Ableger zur bereits fünf Staffeln umfassenden Serie geplant war, ist stattdessen nun ein animiertes Musical dabei herausgekommen. Unter der Regie von Franchise-Mastermind Jeremy Zag wird darin noch einmal eine alternative Origin Story der beiden titelgebenden Held*innen erzählt Dabei gibt es genügend Abweichungen von der Serie, um auch all jene, die die 124 Episoden längst in- und auswendig kennen, noch zu überraschen. Während einige besonders beliebte Nebenfiguren im Film eher hintenanstehen müssen, was sich aber angesichts von zwei Origin Storys sowie den Musical-Songs eben auch kaum vermeiden ließ, zündet vor allem das zentrale Liebesviereck (bzw. doppelte Liebesmissverständnis) auch im Kino – und das mit einer finalen Szene, die bei der Deutschlandpremiere im Berliner Zoopalast buchstäblich den Saal zum Beben gebracht hat.
Dumm gelaufen: Cat Noir ist zwar in Ladybug verknallt …
Der Superschurke Hawk Moth (deutsche Stimme: Peter Flechtner) besitzt dank seines Schmetterlings-Miraculous die Fähigkeit, andere Menschen in seine ebenfalls mit Superkräften ausgestatteten Handlanger*innen zu verwandeln, solange sie nur gerade negative Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst verspüren. So will er zunächst Paris und dann die ganze Welt ins Chaos stürzen. Um ihn aufzuhalten, bedarf es zwei neuer Superheld*innen, die sich ihm gemeinsam entgegenstellen. Auserwählt werden dazu die tollpatschige Schülerin Marinette Dupain-Cheng (Lydia Morgenstern), die sich fortan mit Hilfe des Marienkäfer-Miraculous in die Superheldin Ladybug verwandeln kann, sowie ihr mysteriöser Mitschüler Adrien Agreste (Maximilian Artajo), der sein Katzen-Miraculous nutzt, um sich als Cat Noir über die Dächer der französischen Hauptstadt zu schwingen.
Aber bei ihren Einsätzen kommen dem Duo nicht nur immer wieder die Anschläge von Hawk Moth unter anderem auf den Louvre und ein Riesenrad in die Quere, auch die Sache mit der Liebe wird zunehmend zum Problem: Marinette ist nämlich heimlich in ihren Mitschüler Adrien verknallt – und Cat Noir in Ladybug. Sprich: Eigentlich sind die beiden schon die ganze Zeit über ineinander verknallt – sie wissen es nur nicht, weil sie die Geheimidentitäten nicht kennen und sich deshalb ständig gegenseitig abblitzen lassen…
Die Animations-Qualität wurde für den Kinofilm im Vergleich zur TV-Serie natürlich massiv hochgeschraubt – so sieht etwa die Seine-Metropole dank deutlich mehr Hintergrundfiguren auf der Leinwand längst nicht mehr so leblos-menschenleer aus wie noch auf dem Fernsehschirm. Mit der Hollywood-Konkurrenz von Pixar („Elemental“), Disney („Wish“) und Illumination („Der Super Mario Bros. Film“) kann die französische Produktion zwar längst nicht mithalten – aber dafür weiß der Serien-Erfinder Jeremy Zag eben auch ganz genau, auf welchen Gebieten er abliefern muss, um die Fans zu begeistern: Das Paris des Films ist wirklich malerisch schön – und gerade bei den angenehm abwechslungsreichen Actionszenen geht „Miraculous: Ladybug & Cat Noir“ (vergleichbar mit den Venedig-Sequenzen aus „Spider-Man: Far From Home“) auch touristisch in die Vollen, wenn nicht weniger als der Eiffelturm, Notre-Dame und der Louvre von Hawk Moth bedroht werden. So stimmen die Schauwerte, selbst wenn bei der technischen Qualität noch Luft nach oben ist.
Beim Design seiner Figuren hat sich Jeremy Zag offensichtlich an fernöstlichen Anime-Vorbildern bedient – das erkennt man schon direkt an den tellergroßen Augen von Ladybug und Cat Noir. Und das Schema funktioniert auch hier: Die tollpatschige Marinette ist eine augenblicklich sympathische Identifikationsfigur – und bei Adrien/Cat Noir schmilzt die Grundschul-Generation sowieso geschlossen dahin. Im Gegensatz zur visuellen Gestaltung hat Zag bei den nun im Kinofilm hinzugekommenen Musical-Songs aber weniger nach Japan & Co. geschielt, sondern sich vielmehr an die erfolgreichen Vorbilder des Mäusestudios angehängt: Die in der deutschen Fassung von den Castingshow-Stars Sarah Engels und Mike Singer beigesteuerten Songs könnten klangtechnisch im ersten Moment auch aus dem nächsten Disney-Märchen stammen – erreichen dabei aber nicht ansatzweise die Ohrwurmqualität eines „Let It Go“ aus „Die Eiskönigin“ oder „We Need To Talk About Bruno“ aus „Encanto“.
… aber Marinette ist in Adrien verknallt!
Die größte Stärke von „Miraculous: Ladybug & Cat Noir - Der Film“ bleibt aber das tragische Liebesviereck (mit nur zwei Personen), das die Fans in der Serie nun schon seit der Ausstrahlung der ersten Folge im Jahr 2015 bei der Stange hält. Dabei nimmt der Film sein junges Publikum angenehm ernst – macht es ihm aber zugleich auch möglichst leicht. Die Figuren sprechen ihre Gefühle oft geradeheraus aus. Das klingt dann (zumindest für Erwachsene) nach schlechten, weil zu offensichtlichen Dialogen. Aber genau die führen dazu, dass selbst Vorschul-Kinogänger*innen bei vertrackten Beziehungskonstellationen oder persönlichen Dilemmata voll investiert bleiben, obwohl man sie in dieser Komplexität in Filmen für diese Altersklasse gemeinhin gar nicht unbedingt erwarten würde. Und das zahlt sich aus – spätestens im letzten Bild vor dem Abspann, wo sich all die angestaunte Erwartung auf einmal entlädt – erwachsene Begleiter*innen sollten sich da im Kino ruhig schon mal vorsorglich die Ohren zuhalten…
Fazit: Für (junge) Fans eh der Oberhammer – aber auch für Uneingeweihte ein unterhaltsames Romantik-Superheld*innen-Musical, das umso mehr mitreißt, je mehr Kinobesucher*innen unter 10 Jahren mit im Saal sitzen (und sich speziell in der finalen Szene die Seele aus dem Leib kreischen).