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    Lux Æterna
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Lux Æterna

    Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Gaspars

    Von Lucas Barwenczik

    Kann ein Film eine religiöse Erfahrung sein? Und waren viele religiöse Erfahrungen nicht vielleicht wie Filme, also eine körperliche Reaktion auf äußere Reize, auf Licht und Töne? In seinem von der Modemarke Louis Vuitton produzierten Experimentalfilm „Lux Æterna“ erhebt der umstrittene argentinisch-französische Regisseur Gaspar Noé („Irreversible“) ein Filmset zu einem Ort der Transformation. Wo sich sonst reale Menschen in fiktiven Figuren verwandeln, findet durch einen technischen Fehler plötzlich das titelgebende „ewige Licht“ Einzug. Und der Zuschauer soll daran teilhaben können – nicht einfach nur passiv, sondern ganz unmittelbar und körperlich.

    Erzählt wird von der Regisseurin Béatrice (Béatrice Dalle), die einen Film über Hexenverbrennungen dreht. Dafür hat sie unter anderem die populäre Schauspielerin Charlotte (Charlotte Gainsbourg) engagiert. Doch die Stimmung am Set ist angespannt: Es geht nur schleppend voran, von den Statisten bis in die Kostümabteilung sind alle frustriert. Der Produzent will Béatrice entlassen. Um ihr einen Fehler nachzuweisen, lässt er sie permanent mit einer Kamera verfolgen. Charlotte erhält unterdessen beunruhigende Nachrichten von ihrer Familie und ein aufdringlicher Amerikaner namens Karl (Karl Glusman) will Darsteller für sein neues Projekt zu gewinnen. Die chaotische Situation eskaliert immer mehr, bis weit über die Schmerzgrenze hinaus…

    "Lux Æterna" ist Gaspar Noés bisher experimentellster Film.

    Der Film beginnt mit einer Texttafel, die das Gegenteil einer Epilepsiewarnung enthält: „Ihr seid bei bester Gesundheit, aber ihr ahnt nicht, welch unfassbares Glück wir Epileptiker in der Sekunde vor dem Anfall empfinden. Keine Freude, die das Leben schenken kann, würde ich dafür eintauschen.“ So wird eine Aussage des Autors Fjodor Dostojewski zitiert. Das ist sicher programmatisch für Gaspar Noé: Was andernorts als Gefahr begriffen wird, umarmt er stolz. Biblische Berichte über Gotteserfahrungen oder Besessenheit wurden schließlich später ebenfalls oft als Beschreibung von epileptischen Anfällen gewertet.

    Es folgen Ausschnitte aus Benjamin Christensens Dokumentarfilm „Hexen“ und Carl Theodor Dreyers „Tag der Rache“. Beide erzählen von Hexenverbrennungen. „Für das grandiose Bild der Hexe in ‚Tag der Rache‘, die in die Glut stürzt, war die Schauspielerin zwei Stunden an die Leiter gefesselt. Kein Wunder, dass ihr Gesicht echtes Grauen ausdrückt“, erklären weitere Zwischentitel zu Dreyers Drama. Eine Erfahrung, die später so ähnlich auch Charlotte machen wird.

    Reize aus allen Rohren

    Im Hauptteil des Films werden die flüssig dahingleitenden Steadiecam-Aufnahmen meist im Splitscreen gezeigt. Ein oder zwei Bildkader mit abgerundeten Ecken füllen die Leinwand nicht, sondern lassen einen schwarzen Rand. So entsteht ein Gefühl von Bedrängung und Paranoia, ein Teil der Welt liegt im Schatten verborgen. Die Bildhälften haben keine eindeutig zugewiesene Rolle, oft sieht man sogar dieselbe Situation aus einem nur minimal anderen Blickwinkel. Mal werden zwei Figurenporträts nebeneinandergestellt, mal eine Situation mit dem Blick der Kamera, die Béatrice beständig verfolgt, kontrastiert. All das trägt zur allgemeinen Reizüberflutung bei.

    Sowohl die Regisseurin als auch ihre Darstellerin erleben so etwas wie eine moderne Hexenjagd: Béatrice wird zur Alleinschuldigen für die Probleme am Set erkoren. Ihre Hauptdarstellerin erfährt unterdessen von Gewalt gegen ihre Tochter und wird von verschiedenen Männern unfreundlich behandelt und sogar beschimpft. In einem anfänglichen Gespräch beschreiben die beiden frühere unangenehme Dreherfahrungen. Hexe und Schauspielerin eint, dass sie der Öffentlichkeit zum voyeuristischen Vergnügen vorgeführt werden.

    Triptychon des Hexen-Horrors.

    Gaspar Noé war nie ein subtiler Regisseur und wird wohl auch keiner mehr werden. Es ist leicht, sich an seinem Großkünstlergestus oder den oft wohlfeilen Provokationen zu stören. Sein Kino ist eher impulsiv als intellektuell, Filme wie „Enter The Void“ und „Climax“ drängen auf Rauscherfahrungen. Auch „Lux Æterna“ will überfordern und damit die kräftezehrende Situation am Set greifbar machen.

    Die Mittel dazu findet Noés in seiner eigenen Karriere: Dramatische Lichtstimmungen tauchen ganze Räume in kränkliches Grün oder mystisches Violett. Immer wieder eingestreute kurze Schwarzblenden geben das Gefühl, die Kamera wäre ein lebendes Wesen, das blinzeln muss. Die Kamera bewegt sich so hektisch wie die umherirrenden Figuren.

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    In seinen letzten Zügen nähert sich „Lux Æterna“ den so genannten Flicker Films an. Diese Spielart des experimentellen Kinos wurde in den 1960er-Jahren in der psychologischen Forschung entwickelt, um das Publikum mit stroboskopartigen Lichteffekten zu beeinflussen. So versucht der Regisseur das anfängliche Zitat von Dostojewski mit Leben zu füllen.

    Neu ist wenig von dem, was Noé stolz vorträgt, als hätte er es gerade erfunden. Motive wie Kunst, die aus Schmerz geboren wird, sind sogar ausgesprochen abgegriffen. Seine Symbole sind überdeutlich, der Film erklärt sich ein wenig zu sehr selbst. Mehr Mysterium und weniger sichtbare Mechanik hätten der Konstruktion nicht geschadet. Und wie er die Probleme von Frauen im Showgeschäft anspricht, brächte ihm in einem Arbeitszeugnis wohl das Urteil „stets bemüht“ ein.

    Fehlen nur noch die Mistgabeln...

    Noé erfindet sich mit „Lux Æterna“ nicht neu und entwickelt sich auch nicht unbedingt weiter. Trotz religiöser Themen wird er wohl nicht einen Skeptiker bekehren. Dennoch wohnt dem Film zweifellos eine gewisse Kraft inne. Er verwandelt sich immer wieder, das Bild wird geöffnet und beginnt zu schillern. Charlotte Gainsbourg und Béatrice Dalle werfen sich mit großer Überzeugung in ihr Schauspiel.

    Über die kurze Laufzeit von knapp 50 Minuten entwickelt sich so eine zittrige, unruhige Energie. Verstreute Einzelteile formen ein großes Ganzes, so wie das zunächst fragmentierte Bild eins wird. Vielleicht ergibt das keine Gotteserfahrung, dafür springen aber durchaus mitreißende Momente dabei heraus. Für die völlige Euphorie muss man wohl mit Leib und Seele an den heiligen Gaspar glauben. Aber wie auch der Abspann des Films verkündet: „Gott sei Dank bin ich Atheist.“

    Fazit: Ein schriller Experimentalfilm über die Beziehung zwischen Kunst und Glaube. „Lux Æterna“ wird nicht all seinen großen Ambitionen gerecht, aber man kann ihm definitiv nicht vorwerfen, er hätte keine gehabt.

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