Mehr "Schweigen der Lämmer" als modernes Genre-Kino!
Von Oliver KubeDas Thriller-Drama „Catch The Killer“ ist das erste englischsprachige Werk des Argentiniers Damián Szifron, der 2015 mit seinem schwarzhumorigen Episoden-Kultfilm „Wild Tales“ für den Oscar als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert war (dort aber gegen den polnische Beitrag „Ida“ den Kürzeren zog). Gemeinsam mit dem „Midas Man“-Autor Jonathan Wakeham hat der Regisseur auch selbst das Skript geschrieben – und dabei trotz des Themas Massenmord eine erstaunliche Zurückhaltung bewiesen. Das Ergebnis ist nämlich trotz eines feigen Scharfschützen-Anschlags mit 29 Toten kein typischer Hochglanzreißer: Ganz im Gegenteil wirkt der Film mit seinem behutsamen Spannungsaufbau und seiner elegischen Atmosphäre im besten Sinne wie aus der Zeit gefallen. Schließlich erinnert das alles eher an Filme aus den Siebzigern bis Neunzigern statt an die Setpiece-Hetzereien moderner Genrebeiträge.
Eleanor Falco (Shailene Woodley) wollte schon immer FBI-Agentin werden. Ihr gelegentlich aufbrausendes Temperament, ihre einzelgängerische Natur sowie frühere Drogenprobleme führten allerdings dazu, dass sie von der US-Bundespolizei beim Einstellungstest abgelehnt wurde. Trotz großen Talents als Ermittlerin und Profilerin reichte es für sie so nur zur Streifenbeamtin in Baltimore. Als solche ist sie vor Ort, als während der Silvesternacht in der Innenstadt eine große Anzahl von Menschen getötet wird – offenbar von einem Scharfschützen aus erheblicher Entfernung. Wie in solchen Fällen üblich, wird das FBI eingeschaltet. Per Zufall hört der zuständige Special Agent Lammark (Ben Mendelsohn), wie Eleanor im Pausenraum eine Theorie aufstellt, die einen vielversprechenden Ansatz bei der Mördersuche liefern könnte. Spontan verpflichtet er sie für seine Task Force, in der sie mit Agent Jack „Mac“ Mackenzie (Jovan Adepo) zusammenarbeiten soll…
Plötzlich bekommt die Streifenpolizistin Eleanor Falco (Shailene Woodley) doch noch die Chance, sich als FBI-Profilerin zu beweisen.
Der auslösende Massenmord ist in „Catch The Killer“ zwar angemessen schockierend – die Inszenierung suhlt sich allerdings nicht in Gewalt, dazu wirkt der ganze Fall erstaunlich komplex und authentisch. Für die Protagonist*innen ist das größte Hindernis bei der Lösung zur Abwechslung mal nicht der (übliche) Mix aus Intelligenz und Irrationalität, den der Täter an den Tag legt, sondern die Arroganz und der Eigensinn ihrer Vorgesetzten, die ihnen immer wieder Knüppel zwischen die Beine werfen. Auch dieser Aspekt wird nicht übertrieben sensationalisiert, sondern völlig glaubhaft rübergebracht.
Während die Auslöser für Eleanors persönlichen Probleme eher vage bleiben, sind ihre Auswirkungen auf ihren Alltag und ihre Gedankenwelt stark ausgearbeitet. Zudem ist es erstaunlich schlüssig, wie Lammark auf die junge Frau aufmerksam wird und warum er glaubt, dass gerade sie ihm helfen kann, den Fall zu lösen. Eleanor ist eigenbrötlerisch, aggressiv und hat Tendenzen zur Selbstzerstörung – sie zeigt also ähnliche Eigenschaften wie viele der Typen, die Lammark in seinem Alltag jagen muss. Deshalb scheint sie besonders gut geeignet, in den Kopf des Unbekannten vorzudringen. Nachdem sie dem FBI-Profiler zunächst noch mit Misstrauen begegnet, hilft ihr auch ein von ihm gewährter Blick in seine private Situation, doch noch Vertrauen zu fassen zu dem dem offensichtlich hochintelligenten Mann, der aber ebenfalls immer wieder an den Limitierungen des System zu zerbrechen droht.
Der Killer tötet innerhalb weniger Minuten 29 Menschen aus hunderten Metern Entfernung. Nicht eine Kugel verpasst ihr Ziel. Später gibt es eine dazugehörige Szene, in der die Opfer im Leichenschauhaus der Polizei allesamt fein säuberlich aufgereiht auf Bahren liegen: Geschlecht, Alter, Körperbau, Ethnizität, Beruf, sozialer Status – es gibt keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Es hätte also wohl ausnahmslos jeden treffen können. Die Sequenz zeigt schmerzhaft, wie verletzlich wir alle, trotz der Fortschritte innerhalb unserer Zivilisation, noch immer sind. Darüber sollte man als Zuschauer*in vielleicht besser nicht allzu lange nachdenken, denn das Szenario hat durchaus Potential, unter die Haut zu gehen und einen noch längerfristig zu beschäftigen.
Hin und wieder stehen die von „Argentinien, 1985“-Kameramann Javier Julia geschossenen Bilder kurzzeitig auf dem Kopf. Nicht bei besonders wichtigen Szenen, sondern im Rahmen von Übergängen – etwa wenn Eleanor versucht, sich mitten in der Nacht in einem leeren Schwimmbad durch Sport abzureagieren. Das ist ein etwas plumper Versuch, uns den mentalen Kampf mit ihren Emotionen beziehungsweise die Verlockung, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, greifbarer zu machen. Zumal dieser „Kunstgriff“ eigentlich überflüssig ist. Ihr turbulentes Innenleben wird schließlich deutlich subtiler und dennoch enorm effizient durch das Minenspiel samt erschöpfter Körperhaltung von Shailene Woodley („Enzo Ferrari“) vermittelt.
Die größte Herausforderung für das ermittelnde Trio ist gar nicht mal der Killer selbst – sondern mehr die hemmenden Strukturen innerhalb der Behörden.
Besonders gelungen sind zwei dialogfreie Soloszenen: In der einen bahnt sich Eleanor ihren Weg durch einen wie ein Schlachtfeld anmutenden Tatort in einem Einkaufszentrum, in dem es zu einem deutlich spontaneren Massaker als dem zu Beginn gekommen ist. In der anderen sitzt sie kurz darauf in der heimischen Badewanne und verliert komplett die Fassung, als sie versucht, das eben Erlebte irgendwie zu verarbeiten. Erst im letzten Drittel wird die Erzählung durch ein paar küchenpsychologische Ansätze und Klischees bezüglich der Motivation hinter solchen Taten geschwächt. Dennoch bleibt das Finale spannend und stimmig, gerade weil es weiterhin eher zurückhaltend ins Bild gesetzt ist.
Es fallen zwar einige Schüsse und es gibt auch ein paar durchaus überraschende Wendungen. Trotzdem bleibt das Ganze angenehm geerdet. Es gibt keinen überdrehten Showdown in Reißer-Manier und niemand mutiert dabei im übertragenen Sinne zum Superhelden bzw. zur Superheldin. Gerade hier offenbart sich die Nähe von „Catch The Killer“ zu hochklassigen (und qualitativ auch noch ein, zwei Level höher einzuschätzenden) Mördersuche-Thrillern wie Michael Manns „Blutmond“ oder Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“…
Fazit: „Catch The Killer“ bietet eine spannende, angenehm geerdet inszenierte Massenmördersuche, die besonders von der bedrückenden Atmosphäre der alltäglich anmutenden Schauplätze sowie dem extrem effizienten Spiel seiner Stars profitiert.