Ein wunderbares Weihnachtsmärchen für die Adventszeit
Von Helena BergDer Weihnachtsmann war nicht immer ein alter, dicker Mann mit Rauschebart, sondern vor vielen, vielen Jahren ein kleiner Junge namens Nikolas. Aber wie wurde aus dem ganz gewöhnlichen Kind der stets in Rot gekleidete Mann, der uns einmal im Jahr mit seinem Rentier besucht und Geschenke durch den Kamin bringt? Dieser Frage widmet sich Regisseur Gil Kenan („Monster House“) in seinem Familien-Abenteuer „Ein Junge namens Weihnacht” nach dem gleichnamigen Buch von Matt Haig – und zwar auf eine ebenso unterhaltsame wie zum Nachdenken anregende Weise…
Nikolas (Henry Lawfull) wohnt mit seinem Vater Joel (Michiel Huisman) in einer winzigen Hütte im tiefsten Finnland. Seine einzigen Freunde sind eine Gemüsepuppe, die ihm seine verstorbene Mutter geschnitzt hat, sowie eine Maus, die ihm zugelaufen ist. Eines Tages erhalten Nikolas und sein Vater eine Einladung vom König (Jim Broadbent), der die Bevölkerung bittet, gen Norden zu fahren, um die Hoffnung zurückzubringen. Im Norden, so erzählt man sich, befindet sich das Dorf Wichtelgrund, in dem Wichtel, Trolle und Elfen leben. Um sich die hohe Belohnung zu verdienen, macht sich Joel auf den Weg, während Nikolas bei seiner Tante Carlotta (Kristen Wiig) bleibt. Nach wochenlanger Schikane in seinem neuen Heim beschließt Nikolas, seinem Vater bei der Suche nach Wichtelgrund zu helfen. Der Beginn eines großen Abenteuers für den kleinen Jungen mit der roten Mütze…
Nikolas reist seinem Vater hinterher - mit seiner geliebten Maus in seiner Brusttasche.
Um die Geschichte von Nikolas strickt der Film noch eine Rahmenhandlung: Die Sage vom kleinen Weihnachtsmann wird von einer alten Frau (Maggie Smith) erzählt, die in der Weihnachtszeit auf drei Kinder aufpasst, die ihre Mutter verloren haben. Vor dem Zubettgehen möchte sie ihnen ein Stück Glauben und Hoffnung zurückbringen. Zauberhaft ist dabei bereits die visuelle Gestaltung. Wenn sich die beiden parallel erzählen Geschichten abwechseln, gleiten sie auch bildlich ineinander. Da wird aus dem finnischen Schnee der Boden des Kinderzimmers – und über die Wände der warmen Stube hüpfen so lange Schatten, bis sie sich in die Figuren aus der Nikolas-Geschichte verwandeln. Die Geschwister stellen Nachfragen und sagen es auch, wenn ihnen der Verlauf der Erzählung nicht gefällt. So gleitet „Ein Junge namens Weihnachten“ nicht ins allzu romantisiert Kitschige ab – und stellt zudem einen Bezug zur heutigen Lebensrealität des jungen Kinopublikums her.
Aber nicht nur die Rahmenhandlung überzeugen durch ihre Bildhaftigkeit, sondern auch die Märchenerzählung selbst. Während die winterlichen Landschaften durch ihre Weite verzaubern, gibt es im farbenfrohen Wichteldorf an jeder Ecke etwas zu entdecken. Dazu kommt eine eingängige Moral von der Geschicht': Der König von Finnland lebt zwar in einem Luxus, von dem sein Volk nur träumen kann und der sogar ein wenig an den Sonnenkönig Ludwig XIV erinnert. Trotzdem ist er depressiv, weil ihm die Hoffnung fehlt. Die Anführerin von Wichtelgrund (Sally Hawkins) verbietet hingegen allen Menschen den Zutritt und ihrem eigenen Volk (womöglich ablenkendem) Spaß, seitdem ein Wichteljunge von Menschen entführt wurde. Die Aktualität dieser sich spiegelnden Figuren liegt auf der Hand: Ausbeutung, Fremdenhass und Machtmissbrauch, sowie der Gedanke, dass Menschen entweder „gut“ oder „böse“ sind, werden in „Ein Junge namens Weihnacht” auf anschauliche und kinderfreundliche Weise dargestellt – und regen dabei auch die erwachsene Begleitung zum Nachdenken an.
Der König von Finnland hat sicherlich nicht zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit einem gewissen Sonnenkönig aus Frankreich.
Besonders lobenswert ist auch die diverse Besetzung, die zudem nicht großartig thematisiert, sondern einfach als ganz natürlich präsentiert wird. Hier verzaubert unter anderem Zoe Colletti („Fear The Walking Dead”) als Wahrheitselfe und sorgt dabei mit ihrer quirligen Art, den farbenfrohen Knallbonbons und der Erkenntnis, dass einen kaum jemand mag, wenn man immer die Wahrheit sagt, für allerhand Lacher. Aber auch Erwachsene kommen beim Humor nicht zu kurz. So fragt der König bei seiner Audienz die Bürger*innen, was ihnen denn fehle. Die Antworten: „Ein gerechtes Gesundheitssystem“ und „höhere Löhne“! Leider kommen die lustigen Momente im ersten Teil des Films – trotz der von Sascha Grammel gesprochenen Maus – etwas zu kurz, weshalb sich Nikolas anfängliche Reise nach Wichtelgrund etwas zieht.
Für ganz kleine Kinder ist „Ein Junge namens Weihnacht“ wohl eher nicht geeignet, da auch dramatische Szenen wie etwa tödliche Unfälle vorkommen. Zugleich kann er jedoch besonders Kindern, die ein Elternteil verloren haben, neue Hoffnung geben. „Ein Junge namens Weihnacht” setzt sich auf märchenhafte, aber ehrliche Weise mit dem Tod und dem Weitermachen auseinander. Nur auf die eine oder andere pathetische Ausschmückung hätte der Film gerne verzichten dürfen: Da wird viel mit großen Worten wie „Trauer”, „Liebe”, „Hoffnung” und „Glaube” um sich geworfen, was es dem Zuschauenden eher schwerer als einfacher macht, die Aussagen zu fassen. Feststellungen wie „etwas zu glauben ist genauso gut wie etwas zu wissen” sorgen in Zeiten von Fake News & Co. ebenfalls für einen eher komischen Beigeschmack.
Was am Ende bleibt, ist jedoch eine sehr schöne Aussage: Wer anderen Freude bereitet, der bringt die Hoffnung zurück. Hoffnung ist also nichts Passives, nichts, worauf man warten kann oder was entsteht, wenn man jede Gefahrenquelle bekämpft. Wer mit diesem Gedanken aus dem Kino geht, dem steht hoffentlich eine (noch) schönere Weihnachtszeit bevor…
Fazit: „Ein Junge namens Weihnacht” erzählt die Entstehung von Weihnachten vollkommen neu – ein zauberhafter Film mit eindrucksvollen Bildern für Familien, die nicht nur gemeinsam lachen, sondern dabei auch ein wenig gemeinsam nachdenken wollen.