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    Pleasure
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Pleasure

    Eine Entzauberung der Pornoindustrie

    Von Teresa Vena

    Das Spielfilmdebüt der schwedischen Regisseurin Ninja Thyberg war 2020 zwar Teil der offiziellen Auswahl des abgesagten Filmfestivals in Cannes, seine offizielle Premiere hatte „Pleasure“ dann allerdings Corona-bedingt erst beim Sundance-Filmfestival im darauffolgenden Januar – und seitdem wird über das provokante Porno-Drama heiß diskutiert. Thyberg ist eben auch mit spürbarer Leidenschaft bei der Sache, schließlich engagiert sie sich bereits seit ihren Jugendjahren als Aktivistin gegen die Pornoindustrie. Später hat sie ein Studium der Geschlechterforschung absolviert und zudem mehrere Kurzfilme gedreht, in denen sie sich mit Geschlechterrollen und den damit verbundenen Machtstrukturen auseinandersetzt.

    2013 erschien dann Thybergs ebenfalls „Pleasure“ betitelter Kurzfilm, der bei seiner Premiere in Cannes gleich aus mehrerlei Gründen einen Skandal auslöste – unter anderen auch deswegen, weil die Regisseurin im Anschluss offenbar Morddrohungen erhielt. Ähnlich heftige Reaktionen sind nun auch bei der Langfilmversion des Stoffes zu erwarten. Dies lässt sich unter anderem an den Kommentaren ablesen, die allein schon der Trailer des Films beispielsweise auf YouTube hervorruft. Aus diesen spricht gleichermaßen Häme und Empörung. Es besteht also kein Zweifel: „Pleasure“ sticht offensichtlich mitten hinein in ein emotional schwer aufgeladenes Wespennest.

    Linnéa (Sofia Kappel) stellt sich das Leben als Pornostar glamourös vor ...

    Linnéa (Sofia Kappel) verlässt Schweden, wo in ihren Augen eh alles monoton und langweilig ist, um in Los Angeles als Bella Cherry zum neuen Pornostar aufzusteigen. Doch bereits der erste Dreh bringt seine unerwarteten Herausforderungen mit sich. Mit dem Luxus der großen Villen mit Pool, in denen die Pornos vornehmlich gedreht werden, hat ihre schäbige Unterkunft jedenfalls nichts gemein. Aber immerhin trifft sie dort auf eine junge Frau namens Joy (Revika Reustle), die sie in einige der Geheimnisse der Branche einweiht.

    Linnéas Ehrgeiz ist groß und ihr Ziel ist es, eine der sogenannten Spiegler Girls zu werden, die in der Szene zur Luxusgarde gehören. Um sich möglichst schnell einen Namen zu machen, befolgt sie den Rat des begehrten Agenten Mark Spiegler (als er selbst) und lässt sich auch auf „extreme“ Jobs wie Sado-Maso-Sex oder Doppel-Anal-Penetrationen ein. Bei einem Dreh, in der eine Vergewaltigung nachgespielt werden soll, kommt es für Linnéa jedoch zum Bruch. Sie muss sich entscheiden, wie weit sie für ihren Traum wirklich zu gehen bereit ist…

    Wo bleibt das Vergnügen?

    Business oder Pleasure“, fragt der Beamte bei der Einreisekontrolle. Die junge Schwedin hat aber gar nicht die Absicht, zwischen Arbeit und Vergnügen zu unterscheiden. Dabei ist es einer der meistverbreiteten Mythen über die Pornographie, dass Pornodarsteller*innen ihren Beruf auswählen, weil sie Freude an Sex haben und im Grunde sowieso nur dafür bezahlt würden, konstant Spaß zu haben. Es sei der beste Job der Welt, glauben dennoch einige. Doch mit dieser Vorstellung räumt „Pleasure“ gnadenlos auf. Der Film zeigt nicht nur, wie wenig echtes Vergnügen die aktiven Teilnehmer*innen an Pornodrehs verspüren, sondern auch, wie belastend dieser Beruf für Frauen und Männer – körperlich wie emotional – ist.

    Schon beim ersten Auftrag bekommt Linnéas ach so glamouröse Vorstellung von der Pornoindustrie erste Risse. Ihr praktisches Wissen beschränkt sich nämlich darauf, dass man sich als Pornodarstellerin einen passenden Künstlernamen wie Bella Cherry zuzulegen hat. Von der besonderen Körperhygiene wie zum Beispiel dem Gebrauch einer Vaginaldusche, die vor dem Geschlechtsverkehr gefordert wird, hat sie hingegen noch nie gehört. Diese naive Ader, die Sofia Kappel auch glaubwürdig transportiert, verliert die Protagonistin bis zum Schluss nicht ganz.

    ... aber die verlangten Praktiken werden immer entwürdigender ...

    Es mischen sich aber eine wachsende Abgebrühtheit und ein weiter angestachelter Ehrgeiz hinzu. Thyberg setzt nicht auf eine eindimensionale Sympathieträgerin, an der sie dann moralisch hochtrabend die Fallstricke der Pornoindustrie durchexerziert. Stattdessen schafft sie eine komplexe Figur, die man als Zuschauer*in zwar nicht besonders sympathisch findet, mit der man aber doch mitfühlen kann. Selbst zum Schluss mag man sie noch immer nicht wirklich, aber man respektiert sie.

    Thyberg erlaubt mit „Pleasure“ einen Blick hinter die Kulissen des Pornogeschäfts, wie es ihn in einem Spielfilm vermutlich noch nie so entzaubernd gegeben hat. Selbst in Sean Bakers „Red Rocket“, in dem ein gefallener Pornostar im Zentrum der Handlung steht, ahnt man zwar etwas von den Schwierigkeiten, die der Beruf mit sich bringt, aber richtig ans Eingemachte geht es auch dort nicht. Dass sich Thyberg hingegen intensiv mit der Branche auseinandergesetzt hat, ist sofort zu erkennen. So verwischt sie an manchen Stellen gar die Grenze zwischen Fiktionalisiertem und Dokumentarischem, wenn sie echte Pornodarsteller*innen und sogar den realen Agenten Mark Spiegler mit einbezieht.

    Die Institutionalisierung von Gewalt

    Wenn Linnéa sich auch zu „extremeren“ Praktiken bereiterklärt, um ihrem Traum näherzukommen, dann weiß sie selbst in dem Moment noch gar nicht so genau, was das eigentlich heißt. Während es etwa bei einer Sado-Maso-Szene noch respektvoll zu- und hergeht, weil sich alle vor Ort darum bemühen, Linnéa ein möglichst sicheres Umfeld zu bieten, kommt es bei einer Vergewaltigungsszene mit mehreren Männern zum emotionalen Zusammenbruch der Figur – und mit einer guten Chance auch des Publikums von „Pleasure“.

    Die Heftigkeit der Szene liegt gar nicht mal darin begründet, dass sie den Sexualakt ziemlich explizit nachstellt, sondern in der Erkenntnis, dass auch diese nachgespielte Vergewaltigung nichts anderes ist als eine „genehmigte“ Vergewaltigung. Zum einen wird da unmissverständlich klar, dass ein Machtungleichgewicht zwischen Mann und Frau, sobald die reine Körperkraft ins Spiel kommt, nur noch schwer oder gar nicht ausgeglichen werden kann. Außerdem zeigt sie einmal mehr, dass Pornographie eben auch ein Spiegel für gesellschaftliche und moralische Wertevorstellungen ist (oder sogar aktiv dazu beiträgt, sie aufrechtzuerhalten, schließlich geht es hauptsächlich um männliche Fantasien, bei denen häufig Gewalt zum Lustempfinden dazugehört).

    ... und auch hinter den Kulissen ist schnell nicht mehr alles Eitelsonnenschein.

    „Pleasure“ stellt das Pornogeschäft als bestenfalls etwas Mechanisch-Steriles dar, wenn man die charakterlosen Sets und den Wettbewerbsdruck zwischen den Darsteller*innen, die sich vor allem über ihre Follower-Zahlen in den sozialen Medien definieren, betrachtet. Schlimmstenfalls ist es jedoch ein Hort des Machtmissbrauchs, des selbstzerstörerischen Verhaltens und schließlich der Institutionalisierung von Gewalt an Frauen. Rassismus in seiner reinsten Form findet ebenfalls seinen Ausdruck. Zumindest laut ihren Produzenten ist der extremste Sex nämlich nicht die Gruppenvergewaltigung, sondern der Geschlechtsverkehr mit einem Mann mit einer anderen Hautfarbe.

    Vermutlich werden Zuschauer*innen den Film sehr unterschiedlich lesen und vermutlich spielt dabei die eigene Haltung zu Pornographie eine zentrale Rolle. Doch wer hinsieht und hinsehen will, wird nachhaltig betroffen sein. Dabei sind die verschiedenen Gewaltszenarien gar nicht mal entscheidend – es reicht völlig, wenn einer der männlichen Darsteller hinter vorgehaltener Hand davon berichtet, dass er nur eine Erektion bekommt, wenn er sich vor den Drehs schmerzhafte Medikamente ins Geschlechtsteil spritzt. Vom nur scheinbaren „Vergnügen“ bleibt da endgültig nichts mehr übrig.

    Fazit: „Pleasure“ offenbart eine schonungslose Sicht auf die Pornoindustrie, die mit etlichen Mythen aufräumt und verschiedene Praxen beschreibt, die in diesem Maße wohl den allermeisten Zuschauer*innen vorab nicht bekannt waren. Der Film besitzt dabei die Fähigkeit, konkret zu sein, ohne voyeuristisch zu wirken. Die einzelnen Akteur*innen bewahren sich weitgehend ihre Würde, selbst wenn der Film als Ganzes als klare Anklageschrift gegen diesen Wirtschaftszweig zu lesen ist.

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