Wie man drei Oscar-Gewinner auf einmal vergeudet
Von Oliver KubeDie Geschichte vom in die Jahre gekommen Cop, der an dem einen Fall, den er viele Jahre zuvor partout nicht lösen konnte, langsam psychisch zerbricht, zählt zu den Standards des Thriller-Kinos. Immer ist die Beziehung zu seiner Frau oder Familie an der Obsession zerbrochen, oft genug auch noch die Karriere des einstigen Star-Ermittlers den Bach runtergegangen. Nun wärmt auch „Blind Side“-Regisseur John Lee Hancock dieses altbekannte Szenario in „The Little Things“ einmal mehr auf – und liefert so einen reißbrettartigen Neo-Noir-Thriller, in dem nicht einmal mehr der herausragende Cast wirklich etwas ausrichten kann.
Dabei machen zumindest die ersten paar Minuten noch richtig Hoffnung. Immerhin liefern sie einen temporeich-intensiven, von Kameramann John Schwartzman („Jurassic World“) atmosphärisch bebilderten Einstieg, wenn ein nicht zu identifizierender Psychopath eine junge Frau auf dem nächtlichen Highway verfolgt. Anschließend entwickelt sich „The Little Things“ jedoch recht bald zu einem erzählerisch und visuell statisch anmutenden Slowburner mit klischeehaften Figuren, bei dem in Sachen Spannung leider über weite Strecken Fehlanzeige herrscht.
Denzel Washington & Rali Malek: Zwei Oscargewinner, zwischen denen aber einfach nicht die nötige Chemie entsteht...
Joe „Deke“ Deacon (Denzel Washington) arbeitet als Deputy-Sheriff im provinziellen Kalifornien. Widerwillig fährt er nach Los Angeles, um für seinen Chef ein paar rechtliche Formalitäten zu klären, als er dort den ehrgeizigen jungen Detective Jim Baxter (Rami Malek) kennenlernt. Der jagt aktuell einen Frauenmörder, dessen Vorgehensweise Deke an jenen seiner alten Fälle erinnert, der ihn damals seinen Job bei der Polizei von L.A. und noch eine ganze Menge mehr kostete.
Obwohl er es eigentlich besser wissen müsste, lässt Deke sich von Baxter überreden, ihm bei den Ermittlungen zu helfen. Dabei findet sich in Person des exzentrischen Albert Sparma (Jared Leto) auch schnell ein Verdächtiger. Aber weil dieser nicht auf Anhieb zu überführen ist, verfällt der Veteran zurück in alte Verhaltensmuster und muss sich schließlich seiner eigenen Vergangenheit voller dunkler Geheimnisse stellen…
Jared Leto (Oscar für „Dallas Buyers Club“) gibt hier einen ähnlich irren Typen wie zuletzt auch in „Blade Runner 2049“. Albert Sparma ist – genau wie seine gegen ihn ermittelnden Gegenparts – schwer klischeebeladen; quasi eine Art Charles Manson ohne dessen „Family“. Er hat sogar die Taschenbuch-Ausgabe des True-Crime-Bestsellers „Helter Skelter“ über die Manson-Morde in seinem Apartment herumliegen. Trotzdem ist Sparma noch die unterhaltsamste der drei Hauptfiguren – Jared Leto verleiht seiner Figur einen staubtrockenen, sarkastischer Sprachgestus, der immer wieder für einige der wenigen Highlights sorgt, etwa bei einer Verhör-Szene oder bei einem Psycho-Dialog-Duell mit Baxter bei einer nächtlichen Autofahrt.
Denzel Washington (Oscars für „Glory“ & „Training Day“) und Rami Malek (Oscar für „Bohemian Rhapsody“) gelingt es hingegen nie, eine Chemie zwischen ihren in den Solo-Momenten sogar noch blasseren Charakteren zu entwickeln. Obwohl die Figuren ähnlich angelegt sind, ist das Zusammenspiel nicht annähernd so spannend wie etwa das zwischen Morgan Freeman und Brad Pitt in David Finchers Thriller-Meisterwerk „Sieben“. Zwischen den beiden kommt da doch schon einiges an verschenktem schauspielerischem Potenzial zusammen…
Jared Leto macht einen auf Charles Manson - und sorgt so für die besten Momente des Films!
John Lee Hancock, der neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, bricht zumindest insofern mit den üblichen Thriller-Konventionen, als dass es ihm über weite Strecken tatsächlich egal zu sein scheint, ob Sparma nun der gesuchte Serienmörder ist oder nicht. Stattdessen will uns der Filmemacher zeigen, was die tägliche Konfrontation mit derlei Gräueltaten aus Menschen wie Deacon und Baxter machen kann und womöglich sogar zwangsläufig macht. Damit ein Publikum das aber auch nachvollziehen kann, wären ein paar mehr, sich real und relevant anfühlende Charaktermomente für Washingtons Figur aber zwingend vonnöten gewesen.
Währen Baxter einen solchen Moment zumindest in seiner finalen Szene bekommt, werden Deacons seelische Qualen vor allem dadurch vermittelt, dass er meist stoisch in seinem schäbigen, abgedunkelten Motelzimmer hockt und fast wie auf Autopilot die Beweise und Unterlagen seines alten Falls durchgeht. Die Einschübe, in denen er die bleichen, halbdurchsichtigen Geister der getöteten Mädchen sieht, funktionieren nicht, weil sie ebenso forciert und aufgesetzt wirken wie ein plötzliches Ausflippen des sonst so gefassten Polizisten während eines Verhörs. Da überlegt man sogar kurz, ob Deacon den zwischenzeitigen Ausraster vielleicht nur spielt, um den Kontrahenten aus der Reserve zu locken. Tut er allerdings nicht, denn so viel Tiefe besitzt die Figur gar nicht.
So verfehlt dann auch der allzu bemüht antiklimaktisch angelegte Showdown seine Wirkung. Zumal die finalen Wendungen entweder lange vorher absehbar oder unplausibel sind. So bleibt der Schock- beziehungsweise Aha-Effekt à la „Sieben“ oder „Die üblichen Verdächtigen“ aus. Hancocks Versuch, einen unkonventionellen Thriller mit konventionellen Mitteln zu machen, ist deshalb letztlich vor allem eines: ziemlich langatmig, ohne das Publikum für seine Geduld mit einer tiefgründigen Story oder zumindest interessanten Protagonisten zu belohnen.
Fazit: „The Little Things“ sieht klasse aus, ist beeindruckend atmosphärisch, hat einen tollen Score von Thomas Newman und bietet zudem drei hochdekorierte Stars. Wer aber „Sieben“, „Zodiac“, Michael Manns „Blutmond“ oder Phillip Noyces „Der Knochenjäger“ gesehen hat, dem wird hier vieles sehr bekannt vorkommen. Zudem ist „The Little Things“ nicht ansatzweise so clever geschrieben oder spannend inszeniert wie die vielen Vorbilder.