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    Schwesterlein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Schwesterlein

    Ein Meta-Krebsfilm ohne Meta

    Von Christoph Petersen

    Ein bisschen spielt Lars Eidinger sich in „Schwesterlein“ von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond („Das kleine Zimmer“) auch selbst. Man erfährt nur nie warum. Seine an Krebs erkrankte Figur Sven, ebenfalls Theaterstar, hat wie er 357 Mal den Hamlet an der Berliner Schaubühne gegeben – und sein Regisseur David wird mit Thomas Ostermeier von eben jenem Theatermacher verkörpert, der Eidinger seit 2008 tatsächlich in seiner wohl berühmtesten Bühnenrolle als dänischer Shakespeare-Prinz inszeniert hat. Ein potenziell faszinierendes Spiel mit Identitäten und ein guter Anlass für spezifische Einblicke in den Theaterbetrieb der Hauptstadt – aber beides hat der Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Schwesterlein“ nicht zu bieten.

    Lisa und Sven - wie "Hänsel & Gretel" gemeinsam gegen die böse Hexe.

    Stattdessen dient Sven im Film vor allem als Inspirationsstifter für seine zwei Minuten jüngere Zwillingsschwester Lisa (Nina Hoss), die ihn mit einer Knochenmarkspende überhaupt bis hierhin am Leben erhalten hat und sich nun um ihn kümmert. Auch das ist ein spannendes Thema: der kreative Schaffensprozess als ultimative Form des Abschiednehmens – wenn das „verarbeiten“ nicht nur eine metaphorische, sondern plötzlich eine ganz greifbare Bedeutung erhält.

    Und tatsächlich: Wenn Lisa, selbst Stückautorin, die gemeinsam durchlebten Qualen zu einem an „Hänsel und Gretel“ angelehnten Bühnen-Dialog umarbeitet, dann sind das die mit Abstand besten Szenen des Films. Leider gibt es sie erst in den letzten zehn Minuten. Bis dahin werden eine ganze Reihe weiterer Konflikte beackert, bei denen es deutlich schwerer fällt zu erkennen, warum genau man sich eigentlich für sie interessieren soll.

    Schweiz oder nicht Schweiz? Das ist hier die Frage!

    Da streitet sich dann zum Beispiel Lisa mit ihrem Mann Martin (Jens Albinus). Der arbeitet als Schuldirektor an einem internationalen Elite-Internat in dem Schweizer Nobelkurort Leysin und will dort nun für fünf weitere Jahre verlängern, während Lisa auf eine frühere Abmachung pocht, wieder nach Berlin zurückzukehren. Schließlich ist sie auch strikt dagegen, dass die gemeinsamen Kinder mit russischen Oligarchensöhnen und Industriesprösslingen aus Dubai auf eine Schule gehen.

    Eine solche Auseinandersetzung wird auch nicht besser, wenn die Regisseurinnen versuchen, sie ironisch zu untergraben. Immer wieder lassen sie ihre Figuren offen aussprechen, was sie im Theater nicht mehr sehen oder schreiben wollen, bevor uns der Film dann eben genau das zeigt: Lisa hat also natürlich keine Lust mehr, über streitende, sich auf die Nerven gehende Paare zu schreiben, nachdem sie genau damit ihre größten Erfolge als Autorin gefeiert hat. Kaum hat sie das erklärt, kommt sie sich kurz darauf mit Martin über die Schweiz-Frage in die Haare.

    Gretel, das Schwesterlein

    Warum das interessante Konflikte sein sollen, vermögen die Regisseurinnen leider nicht zu vermitteln – eine zweite Ebene eröffnet sich erst rückwirkend, wenn Lisa kurz vor Schluss noch die „Hänsel & Gretel“-Adaption als Interpretationslinse, durch die man alles bisher Geschehene noch mal aus einer neuen Perspektive betrachten kann, mit ins Spiel bringt.

    Bis dahin muss man sich allerdings vor allem an den zwei Hauptdarstellern festklammern, die hier allerdings auch oft nur mit angezogener Handbremse agieren. Wenn Lars Eidinger („Persischstunden“) zu Beginn noch einmal – diesmal todkrank – als Hamlet auf die Bretter der Schaubühne zurückkehrt, wird schon anhand der wenigen Zeilen klar, wie sehr er die Rolle in den vergangenen zwölf Jahren in sich aufgenommen hat (und dass er einer der besten Hamlets ist, die den Part je im deutschsprachigen Raum verkörpert haben).

    Auch wenn es nur ganz kurz ist: Lars Eidinger noch mal als Hamlet zu sehen, ist trotzdem ein Ereignis!

    Aber anschließend geht es eben vor allem um Svens körperlichen Zerfall, gegen den Eidinger mit seinem Schauspiel auch nur noch selten – etwa in einer kurzen Tanzszene in einem Bowlingcenter oder einer Panikattacke beim Paragliding – aufbegehrt. Es sind die üblichen Kinobilder vom Krebssterben, das sich hier trotz Hämatomen am ganzen Körper und einer Kotzszene zudem erstaunlich sauber anfühlt.

    Nina Hoss spielt nach ihren zwei Powerhouse-Performances in „Pelikanblut“ und „Das Vorspiel“ diesmal die meiste Zeit über die abgeklärte Macherin, die sich nicht einmal von ihrer penetrant-weltfremden Mutter (Marthe Keller), die noch immer den Brecht’schen Theaterzeiten (und damit ihrer eigenen Jugend) nachtrauert, aus der Ruhe bringen lässt. Da gehört es eben dazu, dass sie sich auch schauspielerisch mehr zurücknimmt. So richtig spannend wird auch ihre Performance – ebenso wie der ganze Film – deshalb ebenfalls erst in den finalen Minuten.

    Fazit: Klar, Krebs ist immer ein existenzieller Konflikt und entgegen der Aussage der Brecht nachtrauernden Mutter haben auch kleinbürgerliche Seelenplagen sehr wohl einen Platz auf der Bühne und der Leinwand verdient. Aber Stéphanie Chuat und Véronique Reymond verpassen es in ihrem zweiten Langspielfilm trotzdem, dem Publikum zu vermitteln, warum es sich dafür interessieren sollte, ob Lisas Kinder zukünftig nun in einem Charlottenburger Altbau oder einem Luxusappartement im Schweizer Nobelkurort leben werden.

    Wir haben „Schwesterlein“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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