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    After Yang
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    After Yang

    Science-Fiction-Wohnwelten, die nach Räucherstäbchen riechen

    Von Jochen Werner

    Die Familie der Zukunft ist nicht nur maximal multikulturell, sondern auch in Sachen Spezies ziemlich divers. Während sein Nachbar sich seine Zwillingstöchter direkt maßgeschneidert geklont hat – was auch in dieser Utopie/Dystopie noch Irritationen hervorruft und anscheinend regelmäßig Anlass zu Diskriminierung liefert –, greifen der traditionsbewusste Teehändler Jake (Colin Farrell) und seine Partnerin Kyra (Jodie Turner-Smith) auf das „traditionellere“ Mittel der Adoption zurück. Um jedoch sicherzustellen, dass ihre chinesisch-stämmige Tochter Mika (Malea Emma Tjandrawidjaja) im Kontakt mit ihren kulturellen Wurzeln aufwächst, stellt man ihr den Androiden Yang (Justin H. Min) als „großen Bruder“ zur Seite. Dieser hat zwar allerlei Fun Facts und Sinnsprüche aus dem chinesischen Kulturraum im Gepäck, leidet aber selbst unter veritablen Identitätskrisen – die er allerdings so gut verbirgt, dass die Familie erst nach seinem Dahinscheiden davon erfährt.

    Mit diesem Kaputtgehen des Androiden beginnt das elegische Science-Fiction-Drama „After Yang“. Während eines anscheinend rituell zelebrierten familiären Gruppentanzes vor einer Videospielkonsole bleibt Yang in einer Art Loop hängen – und es liegt nun an Jake, eine Möglichkeit zur Reparatur aufzutun. Die offiziellen Wege sind ausgeschlossen, denn Jake hat Yang gebraucht gekauft – und der mächtige Konzern Brothers & Sisters Inc. bietet nur an, ihn gegen ein neues Modell zu ersetzen. In Anbetracht des gebrochenen Herzens der kleinen Mika verbietet sich dies jedoch völlig, betrachtet sie Yang doch keineswegs als einfach auszutauschende Sache, sondern als Bezugsperson und Familienmitglied. Und so gerät Jake auf seiner Suche nach einer Möglichkeit, den Verblichenen zu reanimieren, an Hacker, Verschwörungstheoretiker sowie an eine Museumskuratorin, die den dysfunktionalen Androiden in einer an die „Körperwelten“ erinnernden Ausstellung präsentieren möchte.

    Auf der Suche nach einer Reparaturmöglichkeit stellt Jake (Colin Farrell) fest, dass sich im „Leben“ des Familien-Androiden Yang viel mehr als geahnt abgespielt hat.

    Beim (gesetzlich verbotenen) Einblick ins Innere des technoiden Leibs offenbart sich schließlich eine Spyware-Festplatte, die auf eine aus Datenschutzgründen schnell abgebrochene Versuchsreihe zurückgeht und auf der Erinnerungsfetzen nicht nur aus einem, sondern aus mehreren Androiden-Leben gespeichert sind. So wird die Suche nach einer möglichen Zukunft für den „verstorbenen“ Yang für Jake zu einer Reise in dessen Vergangenheit und damit auch die eigene Familiengeschichte – und gleichzeitig zu einem Prozess der Trauer und Akzeptanz, wird es doch mit dem Verstreichen der Zeit immer klarer, dass der Tod des geliebten Androiden nicht mehr rückgängig zu machen ist.

    Es ist letztlich ein klassischer Science-Fiction-Stoff, den der koreanisch-amerikanische Filmemacher und Videoessayist Kogonada in seinem zweiten Kinofilm wiedererzählt. Von „Blade Runner“ bis zum Lebenswerk des großen Schriftstellers Isaac Asimov wurden der komplizierten Frage nach der Menschlichkeit von Androiden unzählige Hauptwerke der humanistischen Science-Fiction gewidmet. Ein so komplexer wie letztlich zeitloser Stoff also. Leider funktioniert in der Form, die Kogonada für seine neue Abhandlung dieser Frage wählt, so gut wie gar nichts – und „After Yang“ wirkt fast schon wie eine Selbstparodie jener Form des elegisch-durchgestylten Indie-Kinos, für die das amerikanische Kult-Studio A24 inzwischen steht.

    Ein Film zum Einziehen statt Ansehen

    Das beginnt schon mit den Farbfiltern, jedenfalls im zentralen Handlungsstrang der Filmgegenwart. Alles ist da tief in blaugrünorange Herbstfarben eingetaucht und sieht aus wie der Instagramkanal eines schicken, teuren Möbelhauses – man würde sich eigentlich inzwischen nicht mehr wundern, wenn A24 neben dem ohnehin sehr vielfältigen Angebot an Merchandisingartikeln demnächst, ähnlich dem deutschen Tausendsassa Til Schweiger mit seiner „Barefoot Living“-Linie, auch ein eigenes Innenausstattungssortiment anpreist. Filme wie dieser entwerfen derart offenkundig und aufdringlich Ambient-Aufenthaltsräume, die nicht betrachtet, sondern letztlich bewohnt werden wollen.

    Ob man es aber in einer solchen Wohnwelt länger als 95 Minuten aushält, ist wohl vor allem vom persönlichen Temperament abhängig. Die Welt von „After Yang“ ist mit sentimentalen Pianomelodien und elegischen Ambient-Soundscapes unterlegt, während alle Dialoge derart gefühlig aus Schmerzensmienen geflüstert werden, dass man die Räucherstäbchen geradezu zu riechen glaubt. Aufgelockert wird das formal mit ein paar längst zur Masche geronnenen Form-Sperenzchen wie dem fortwährenden Wechsel zwischen gleich drei verschiedenen Leinwandformaten, vom ganz schmalen Academy Ratio 1,33:1 für eine Handvoll Szenen, in denen die Darsteller*innen in Dialogsequenzen direkt in die Kamera sprechen, über das halbbreite, hauptsächlich für die Erinnerungssequenzen verwendete 1,78:1, in dem auch natürlichere Farben strahlen dürfen als in der grünmatschigen Tristesse der Scope-Aufnahmen, in denen sich die Erzählgegenwart „nach Yang“ darstellt.

    Mika (Malea Emma Tjandrawidjaj) betrachtet Yang (Justin H. Min) wirklich ihren großen Bruder – und garantiert nicht als leblosen Elektrohaufen.

    Somit bleibt leider nach dem Abspann nur die Erinnerung an ein bestenfalls zwiespältiges Filmerlebnis zurück. Die spannenden, zeitlosen Fragen, die er inhaltlich aufwirft, reißt „After Yang“ allesamt nur mit oberflächlichen Kalenderspruch-Weisheiten an, statt sie wirklich konsequent durchzudenken – das ist vielleicht auch einfach der Preis, den er für seinen unbedingten Fokus auf eine penetrante Gefühligkeit zahlt. Nun ist es keineswegs per se verwerflich, sich intellektuellen Fragen wie die nach der Menschlichkeit der Maschine vorrangig auf einer emotionalen Basis zu nähern …

    … nur funktioniert dieser Ansatz hier nicht, auch weil das emotionale Spektrum von „After Yang“ so ungemein begrenzt erscheint. Alle Protagonist*innen scheinen durch den Film zu treiben wie auf einer schwerfälligen, dickflüssigen Welle traniger Melancholie jener Art, in der den darin Befangenen noch der platteste Sinnspruch wie eine tiefe philosophische Erkenntnis vorkommen mag. Für Außenstehende ist das, im realen Leben wie im Kino, mitunter schwer zugänglich.

    Fazit: Ein Zukunftsszenario zwischen Eso-Kitsch und Insta-Farbfiltern. Die hier behandelten Themen zählen zwar zum zeitlosen Repertoire des Science-Fiction-Genres, aber „After Yang“ bleibt dabei stets maximal an der Oberfläche und hat ihnen deshalb abseits seiner ausgestellten Gefühligkeit nichts Neues oder Nennenswertes hinzuzufügen.

    Wir haben „After Yang“ beim Fantasy Filmfest 2022 gesehen.

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