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    Die Herrlichkeit des Lebens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Herrlichkeit des Lebens

    Ganz und gar nicht kafkaesk – und das ist auch gut so!

    Von Gaby Sikorski

    Von Franz Kafkas Werken blieb insgesamt wenig erhalten. Das meiste verbrannte er noch zu seinen Lebzeiten selbst. Doch sein Freund Max Brod, der auch noch den Rest der literarischen Hinterlassenschaft vernichten sollte, brachte es nicht übers Herz, den Wunsch des Sterbenden zu erfüllen. So wurde Frank Kafka zu einem der bekanntesten Dichter der Weltliteratur und ist laut der Wikipedia heute der meistgelesene deutschsprachige Autor. Seine Kurzgeschichten, Romanfragmente und Erzählungen ebenso wie seine Briefe und Tagebücher sind von einem skurrilen Humor durchzogen und von einer Atmosphäre, für die der Ausdruck „kafkaesk“ erfunden wurde – eine Mischung aus alptraumhaft, ausweglos und bizarr. Bei der Auseinandersetzung mit dem Autor und seinen Werken spielen seine Krankheit und das Wissen um seinen baldigen Tod eine wichtige Rolle. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass er davon beeinflusst wurde, so wie auch vom Expressionismus und von der allgemein desolaten wirtschaftlichen Situation in Mitteleuropa nach dem 1. Weltkrieg.

    Durch seine Herkunft und seine Familie – er gehörte der deutschsprachigen jüdischen Minderheit in Prag an – war er zudem ein Getriebener, der sich unter dem Druck väterlicher Zwänge nirgendwo zu Hause fühlte. Doch so naheliegend es auch ist, Franz Kafka vor diesem Hintergrund als düsteren Einzelgänger darzustellen: Das wäre viel zu einfach. Wie so oft gilt aber vermutlich auch im Falle Kafkas, dass die Interpretation manchmal ein sinistres Eigenleben entwickelt, das gelegentlich mehr über die Interpreten und ihre Wünsche erzählt als über den Künstler und sein Werk. Kafka galt und gilt vielen als notorischer Schwerintellektueller, vom Tode gezeichnet, chronisch depressiv und daher so etwas wie der Inbegriff des leidenden Kreativen – bis heute ein beliebtes Bild im bildungsbürgerlichen Verständnis von Kunst und Künstlern.

    Perfekte Besetzung: Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant. Majestic/Mathias Bothor
    Perfekte Besetzung: Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant.

    Von daher war es ziemlich mutig, dass sich der Schriftsteller Michael Kumpfmüller dem Autor auf ganz andere Weise näherte und in seinem Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ über Kafkas letztes Lebensjahr schreibt, das trotz der dramatischen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes noch einmal eine glückliche Wendung nahm. Er fand seine große Liebe, Dora Diamant, die mit dem kranken Franz Kafka zusammenlebte und ihn bis zum Schluss pflegte.

    „Manchmal ist das Glück am größten, wenn es ganz klein ist“, schrieb Franz Kafka in sein Tagebuch – und nun steht das Zitat als Motto über vom „Zwei Leben“-Regie-Duo Georg Maas und Judith Kaufmann inszenierten Kino-Adaption des Romans. Ihr Film bewahrt dabei ein atmosphärisches Gleichgewicht zwischen dem gelebten Glück des Moments und der allgegenwärtigen Bedrohung durch die Krankheit. So balanciert „Die Herrlichkeit des Lebens“ ziemlich elegant auf dem schmalen Grat zwischen Melodram und Romcom (ein Genre, das man im ersten Moment nun wirklich nicht mit Kafka in Verbindung bringen würde, das ihm aber dennoch erstaunlich gut steht).

    Kafka als romantischer Held

    Im Zentrum steht ganz und gar die Liebesgeschichte der beiden ungleichen Persönlichkeiten Dora und Franz, fantastisch gut besetzt mit Henriette Confurius („Das Mädchen und die Spinne“) und Sabin Tambrea („Ludwig II.“). Der Film bewahrt eine stimmungsvolle, leise Spannung, die nur wenig mit Kafkas absehbarem Tod zu tun hat, sondern eher mit dem, was sich die Liebenden gegenseitig geben und wie sie mit dem Wissen um das baldige Ende ihrer Liebe umgehen. Das hat etwas sehr Poetisches, eine fein ziselierte Auseinandersetzung mit dem Unausweichlichen.

    Visuell gelingt das durch ein zeitloses Setting ganz ohne den aktuell schwer angesagten (und deshalb auch schon wieder ausgelutschten) 20er-Jahre-Glamour sowie die Verwendung weicher, warmer Farben und einem klassisch motivierten Soundtrack. Doras Engagement für die Kommunistische Partei, ihr Bekenntnis zur Arbeiterklasse und zum Judentum … all das wird nicht groß thematisiert, sondern gehört wie selbstverständlich zu ihrer Persönlichkeit. Auch das macht den Film interessant und spannend, er hat überhaupt nichts Besserwisserisches oder Belehrendes. Es ist eine Liebesgeschichte und kein Literaturseminar!

    Solch sommerliche Bilder hätte man sich von einem Kafka-Film nun wirklich nicht erwartet – und gerade das macht ihn so spannend. Majestic/Christian Schulz
    Solch sommerliche Bilder hätte man sich von einem Kafka-Film nun wirklich nicht erwartet – und gerade das macht ihn so spannend.

    Dabei steht Dora nahezu ebenso stark im Fokus wie der Dichter. Sie begegnen sich am Ostseestrand, wo Dora eine Schar Berliner Kinder betreut. Sie fällt ihm sofort auf, und umgekehrt gilt dasselbe: Er ist tatsächlich eine faszinierende Persönlichkeit, nicht nur, weil er im Hochsommer am Ostseestrand im schwarzen Anzug mit Krawatte herumläuft: ein schmaler, blasser Mann von beinahe ätherischer Schönheit. Sabin Tambrea sieht Kafka sogar ein wenig ähnlich und macht aus ihm glaubhaft einen humorvollen Feingeist, der vielleicht nicht direkt charmant, aber sehr aufmerksam ist. Wenn er lächelt, dann hat das etwas Rührendes, als ob er das Lächeln erst noch üben muss. Tambreas Kafka ist zurückhaltend, aber nicht bedrückt – und entspricht damit kaum dem landläufigen Bild des Autors.

    Dora ist eher der fröhliche und zupackende Typ. Henriette Confurius spielt sie mit viel natürlichem Selbstbewusstsein als mutige junge Frau, die sich ihr eigenes Leben erkämpft hat. Franz Kafka beobachtet sie am Strand beim Tanzen, ganz ohne Voyeurismus, eher neidisch. Die beiden begegnen sich immer wieder, so kommen sie ins Gespräch und werden ein Liebespaar: der 40-jährige schwerkranke Schriftsteller, der bisher kaum etwas veröffentlicht hat, und die lebensfrohe Polin, die allein nach Berlin ging, wo sie in einem jüdischen Volksheim arbeitet. Berlin ist die Traumstadt für Kafka, der Dora für ihren Mut bewundert, sich von der Familie abzunabeln. Er versucht sich als Schriftsteller durchzuschlagen, ist aber auf finanzielle Unterstützung durch den Vater angewiesen. Für Dora macht er seinen Traum wahr und folgt ihr nach Berlin, wo sie zusammenleben.

    Schonungslos ehrlich

    Es sind glückliche Tage, auch wenn sich Kafkas Gesundheitszustand immer mehr verschlechtert. Das Wissen um das nahe Ende ihrer Beziehung schwebt als ständige Bedrohung über dem Paar. Wie geht man damit um, wenn der geliebte Partner zum Patienten wird und wenn die Partnerin von der sinnlichen Bettgenossin zur Pflegekraft mutiert? Hier gibt es keine gepflegte, elegante TBC-Atmosphäre à la „Der Zauberberg“. Die Krankheit wird relativ schonungslos dargestellt. Dazu zwei Menschen, die sich lieben und die wissen, dass sie nur wenig Zeit miteinander haben. Nur der Moment ist wichtig, sagt der Film. Das Jetzt, denn in der nächsten Sekunde kann alles vorbei sein.

    Fazit: Ein poetischer, sehr gelungener Arthouse-Film, der mit seiner Aussage: „Es zählt nur der Augenblick!“ gleichzeitig die Tragik und die Schönheit einer großen Liebe darstellt, ohne auf die Tränendrüsen zu drücken. Das Drama um Franz Kafka und seine letzte Liebe ist kein Kafka-Biopic und handelt nur peripher von seinen Werken. Stattdessen hält der Film gekonnt die Balance zwischen Melodram und romantischer Komödie, wobei Sabin Tambrea und Henriette Konfurius in den Hauptrollen die Idealbesetzung darstellen. Sie überzeugen in ihrer Darstellung eines Liebespaars, das sich im Angesicht des Todes findet und zusammenbleibt – bis zum bitteren Ende.

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