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    Betonrausch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Betonrausch

    Deutscher Netflix-Film auf den Spuren von Stone und Scorsese

    Von Sascha Westphal

    An Ambitionen mangelt es Cüneyt Kaya wahrlich nicht. Schon bei seinem Spielfilmdebüt „Ummah - Unter Freunden“ hat er versucht, zwei höchst unterschiedliche Genres zusammenzubringen. Auf der einen Seite ist die Geschichte um den jungen Verfassungsschützer, der nach einer gescheiterten Mission seinem bisherigen Leben den Rücken kehrt, klassischer Polit-Thriller-Stoff. Auf der anderen will Kaya aber auch ein differenziertes Porträt des Lebens arabischer und türkischer Muslime in Berlin zeichnen. Dieser Spagat ist ihm zwar nicht gänzlich geglückt, aber er zeugt von einem faszinierenden Mut, der nicht unbedingt selbstverständlich in der deutschen Kino- und Filmlandschaft ist. Genau diesen Mut beweist er auch mit der satirischen Betrügerkomödie „Betonrausch“, dem nach „Isi & Ossi“ zweiten deutschen Original-Film des Streamingportals Netflix.

    Zu Beginn ist schon alles vorbei. Ein rauschendes Fest, und am nächsten Morgen stürmt die Polizei Viktors (David Kross) protziges Anwesen, um den Immobilienmakler wegen Betrugs zu verhaften. Jahre später gibt er im Gefängnis einer Journalistin ein Interview, in dem er zurückblickt auf seine Kindheit, die von den Steuerschulden seines Vaters überschattet wurde, und auf die Zeit in Berlin. Als Viktor aus der Provinz in Berlin ankommt, träumt er gleich vom schnellen Geld und von einem Leben in Luxus. Doch für jemanden, der keinen festen Arbeitsvertrag hat, sind schicke Wohnungen praktisch unerreichbar. Also fälscht er einen Arbeitsvertrag und mietet ein Penthouse an, welches er dann schwarz an Arbeiter aus dem Osten weitervermietet. So lernt er den Kleinganoven Gerry (Frederick Lau) kennen, der ihn wiederum mit der ebenso skrupellosen wie ehrgeizigen Bankangestellten Nicole Klebe (Janina Uhse) zusammenbringt. Innerhalb kürzester Zeit errichten die drei mit Täuschungen und nicht einmal halblegalen Tricks ein riesiges Immobilien-Imperium.

    Rauschende Partys gehören fest zum Betrügerleben.

    Mutig und ambitioniert ist Cüneyt Kaya, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ohne Frage. Er greift mit seiner hochaktuellen Geschichte bewusst nach den Sternen des künstlerisch wie politisch engagierten Kinos. Moderne Klassiker wie Oliver Stones „Wall Street“, Martin Scorseses „The Wolf Of Wall Street“ und Adam McKays „The Big Short“ kommen einem schon gleich zu Beginn in den Sinn. Die dekadente Party, die Viktor in seiner aus den 1920er oder frühen 30er Jahren stammenden Festungs-artigen Villa schmeißt, könnte direkt aus einem dieser Filme stammen. Und wie Stone, Scorsese und McKay will auch Kaya etwas von dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Kriminalität, Blindheit und Gier, erzählen.

    In einigen Momenten gelingt Kaya das auf geradezu geniale Weise. Natürlich ist die Idee, dass Frederick Laus betrügerischer Biedermann die versammelten Angestellten einer großen Versicherungsagentur erst einmal „O du fröhliche...“ singen lässt, nachdem er und Viktor das Unternehmen aufgekauft haben, komplett absurd. Aber in diesem Augenblick offenbart sich eine simple, aber eben tiefe Wahrheit. Sobald es um das eigene Leben und Überleben geht, sind Menschen so ziemlich zu allem bereit. Dann stimmen auch distinguierte Geschäftsleute, die um einen Konferenztisch herumsitzen, ein Weihnachtslied an, nur um ihre gut dotierten Jobs nicht zu verlieren.

    Zu oft zu simpel

    Derart prägnant trifft Kaya den Nerv unserer Gesellschaft und Kern unseres Wesens leider nur selten. Meist begnügt er sich mit typischen Versatzstücken, die einem aus unzähligen Gesellschaftskomödien und Satiren bekannt sind. So müssen es zwei eng miteinander verbundene Kindheitstraumata sein, die Viktor antreiben. Zum einen die Erfahrung, dass das Finanzamt den kleinen Handwerksbetrieb seines Vaters in den Ruin getrieben hat, und zum anderen die Entscheidung seiner Mutter, ihn und den Vater für einen anderen, reicheren Mann zu verlassen. In der psychologisch doch arg simplifizierten Sicht des Drehbuchs haben diese beiden Kindheitserlebnisse Viktor in einen Menschen verwandelt, für den Geld alles ist und der entsprechend zu allem bereit ist, um an Geld zu kommen.

    Natürlich liegt Kaya damit nicht komplett daneben, und mit David Kross hat er den perfekten Darsteller für die Figur des gierigen Jungen, der so unschuldig wirkt, dass ihm jeder sofort vertraut. Kross gelingt wunderbar, Offenheit und Ehrlichkeit zu suggerieren und zugleich die endlose Leere hinter der Fassade gutbürgerlicher Anständigkeit anzudeuten. Aber Kayas Primat des Individuell-Psychologischen fordert einen hohen Tribut. Dass ausgerechnet die eisigkalte und zynisch berechnende Nicole von ihren mütterlichen Gefühlen überwältigt wird und deswegen auf alles verzichtet, was sie vorher unbedingt wollte, ist dann doch zu viel der Rührseligkeit. Die Wendung ins Melodramatische verhindert letztlich eine nüchterne Analyse der systemischen Verhältnisse, wie sie Kayas US-amerikanischen Vorbildern trotz aller inhaltlichen und visuellen Exzesse gelungen ist.

    Fazit: Der zweite deutsche Netflix-Original-Film nimmt einen mit seinem mutigen Versuch, an Wirtschaftsthriller wie „Wall Street“ und „The Big Short“ anzuschließen, erst einmal für sich ein. Doch leider hält Cüneyt Kayas Satire am Ende nicht, was sie zunächst verspricht. Der Regisseur und Drehbuchautor wagt einiges, kommt aber nicht aus dem Fahrwasser kleinbürgerlicher Vorstellung von dekadenten Wirtschaftskriminellen heraus.

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