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    Was man von hier aus sehen kann
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Was man von hier aus sehen kann

    Zwei Drittel lang die deutsche Antwort auf Amelié

    Von Michael Meyns

    Die Schatten von einigen ikonischen Film sind dermaßen lang, dass man ihnen nur schwer entkommen kann. Wird es etwa skurril, auch ein bisschen Märchenhaft, zeigt man eine Welt, die von wundersamen Dingen, magischem Realismus und der Suche nach der großen Liebe geprägt ist, dann denkt man fast unweigerlich an „Die fabelhafte Welt der Amelié“. So auch bei Aron Lehmanns Bestsellerverfilmung „Was man von hier aus sehen kann“, die sich lange Zeit dem Vergleich mit dem großen Vorbild stellen muss und erst im letzten Drittel zu eigenen Qualitäten findet. Dann aber können deutsche Schauspielgrößen wie Luna Wedler, Karl Markovics und Corinna Harfouch ihre ganze Qualität ausspielen und auf der Zielgerade doch noch für einen anrührenden, emotionalen Liebesfilm sorgen.

    In einem kleinen Dorf im Westerwald lebt Luise (Luna Wedler), irgendwann in den 80er Jahren, so genau lässt sich das nicht sagen, ist die dargestellte Welt doch bewusst zeitlos. Luise lebt bei ihrer Großmutter Selma (Corinna Harfouch), trauert ihrem verstorbenen besten Freund aus Kindertagen nach und sucht nach ihrem Platz im Leben. Das fällt angesichts der seltsamen Menschen in ihrer Umgebung allerdings nicht leicht, angefangen beim namenlosen Optiker (Karl Markovics), der es seit Jahren nicht wagt, Selma seine Liebe zu gestehen, bis zur ständig schlecht gelaunten Marlies (Rosalie Thomass). Doch eines Tages taucht eine Gruppe Buddhisten im Dorf auf, darunter Frederik (Benjamin Radjaipour), der es mit seinen Gelübden nicht so genau nimmt. Schafft er es, Luise dabei zu helfen, sich der Liebe zu öffnen?

    Luise (Luna Wedler) fällt es schwer zu lügen – denn wenn sie auch nur etwas unwahres denkt, lässt sie wie automatisch irgendetwas fallen.

    Man kennt das Prinzip: Eine Erzähler*innen-Stimme, in diesem Fall die von Luise, berichtet über ihre Welt, stellt die Bewohner*innen ihres Dorfes und deren skurrilen Eigenarten vor. In kurzen Montagesequenzen sieht man da etwa den italienischen Eisdielenbesitzer Alberto, der in Luises Mutter verliebt ist und ihr Eiskreationen mit sprechenden Namen wie „Flammende Versuchung“ serviert, oder Selma, die immer wieder von einem Okapi träumt – einem seltsamen Zwitterwesen, das irgendwie wie ein Zebra, aber auch wie eine Giraffe aussieht. Für die Dorfbewohner*innen sind die Träume ein Signal, dass bald einer von ihnen sterben wird. Luise selbst besitzt wiederum die seltsame Eigenschaft, dass ihr stets etwas herunterfällt, sobald sie etwas unwahres denkt.

    Eine skurrile Welt etabliert Aron Lehmann, Regisseur von ebenso ungewöhnlichen wie originellen Filmen wie „Die letzte Sau“ oder „Das schönste Mädchen der Welt“, die an den in der Literatur der 1980er Jahre so beliebten magischen Realismus erinnert – oder eben an „Die fabelhafte Welt der Amelié“. Ein wenig krankt „Was man von hier aus sehen kann“ lange Zeit an seiner Struktur: Nicht nur in der Gegenwart der erwachsenen Luise spielt der Film, sondern auch in ihrer Vergangenheit, in der ihre Kindheit gezeigt wird, vor allem der Unfalltod ihres besten Freund aus Kindertagen – auch hier hatte Selma zuvor von einem Okapi geträumt. Sprunghaft wirkt der Film dadurch, zerfahren wie ein Okapi, holprig in seinem Versuch, alle möglichen Genres, Ideen und Ansätze zu einem kongruenten Film zu formen. Erst später, wenn die Zeitsprünge in die Vergangenheit beendet sind, beginnt sich Lehmann auf den eigentlichen Kern der Geschichte zu konzentrieren: Das Suchen und Finden der Liebe.

    Wenn Selma (Corinna Harfouch) von einem Okapi träumt, dann wissen alle im Dorf – bald wird einer von ihnen sterben!

    Ausgerechnet der buddhistische Mönch Frederik ist es, der Luises Herz erreicht, aber diese Liebesgeschichte ist nicht die einzige. Viele Menschen im Dorf tragen unerfüllte Sehnsüchte vor sich her, wagen es nicht, zu ihren Gefühlen zu stehen. Die Welt scheint ihnen im Weg zu stehen, die Risiken zu groß. Während die Erwachsenen es (fast) zu spät wagen, wir Luise sich rechtzeitig überwinden. So spät, wie sie sich traut, wagt es auch Aron Lehmanns Film, zu etwas eigenem zu werden. Nicht ein skurriler, magisch realistischer Film, wie man ihn schon oft gesehen hat, sondern ein berührender, emotionaler Liebesfilm, der sein Herz nicht länger hinter dem Seltsamen und Absurden versteckt, sondern ganz offen vor sich herträgt.

    Fazit: Lange Zeit bewegt sich Aron Lehmanns skurril-unterhaltsame Bestsellerverfilmung „Was man von hier aus sehen kann“ allzu sprunghaft zwischen den Stilen und Genres hin und her, bis sie sich im letzten Drittel endlich auf den Kern der Geschichte konzentriert und doch noch zu einer anrührenden, bewegenden Liebesgeschichte wird.

     

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