Chinatown in Zeiten des Klimawandels
Von Christoph PetersenNachdem sie sich als Co-Schöpferin des Serien-Hits „Westworld“ einen Namen gemacht hat, gibt Lisa Joy nun mit dem selbstgeschriebenen Science-Fiction-Noir „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ ihren Einstand als Spielfilmregisseurin. Das auffällige Setting im fast vollständig von den Fluten verschlungenen Miami sowie die Andeutung einer gewissen Traumlogik sorgten nach dem ersten Trailer sofort für Vergleiche mit „Inception“ von Christopher Nolan (mit dessen Bruder Jonathan die Regisseurin zudem verheiratet ist). Aber das Ziehen solcher Parallelen ist natürlich unfair. Schließlich kann ein Erstlingsfilm, für den zudem nur ein gutes Drittel des Budgets von „Inception“ zur Verfügung stand, dabei eigentlich nur den Kürzeren ziehen.
Stattdessen entpuppt sich „Reminiscence“ als waschechter Film-Noir, dessen Plot ganz eng an Genre-Klassiker von „Tote schlafen fest“ über „Chinatown“ bis hin zu „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ angelehnt ist. Die Science-Fiction- und Klimakatastrophen-Elemente sorgen zwar für teilweise spektakuläre Schauwerte, tragen darüber hinaus aber enttäuschend wenig zum Gesamtwerk bei. Man merkt aufgrund all der punktgenauen Anspielungen sofort, wie exakt Joy die Vorbilder studiert hat. Trotzdem scheitert sie am zentralsten Element: der düsteren Atmosphäre. Dass sie sich nie wirklich auf die fatalistischen Abgründe des Genres einlässt, sondern stattdessen irgendwann in Richtung Hollywood-Kitsch abbiegt, ist da auch keine Hilfe.
Nick Bannister (Hugh Jackman) ist der geheimnisvollen Barsängerin Mae (Rebecca Ferguson) augenblickblick verfallen.
Nick Bannister (Hugh Jackman) ist trotz des passenden Trenchcoats kein herkömmlicher Privatdetektiv. Statt auf den – ohnehin überfluteten – Straßen Miamis ermittelt er mit Unterstützung seiner Gehilfin (Thandiwe Newton) nämlich in den Erinnerungen seiner Mandant*innen. Wenn die sich bei ihm ins Wasserbecken legen, kann er mit Hilfe des Apparats viele ihrer Erinnerungen wie in einem 3D-Holodeck sichtbar machen. Viele wollen so einfach nur frühere, bessere Zeiten noch einmal frisch erleben …
… während andere wie die geheimnisvolle Mae (Rebecca Ferguson), die noch kurz nach Feierabend hereingeschneit kommt und Nick in ihrem knallroten Jessica-Rabbit-Gedächtniskleid augenblicklich den Kopf verdreht, einfach nur einen verlegten Schlüsselbund wiederfinden wollen. Nach einer kurzen, aber heftigen Affäre ist Mae plötzlich wie vom Erdboden verschluckt – und Nick, der bisher ganz bewusst darauf verzichtet hat, seine Maschine selbst in Anspruch zu nehmen, taucht immer und immer wieder in seine Erinnerungen ein, um herauszufinden, was mit Mae bloß geschehen ist…
Wie würde wohl eine Zukunft aussehen, in der von den Wolkenkratzern in Miami nur noch die obersten paar Stockwerke aus dem Meer herausragen? In der sich nur die Superreichen noch ein kleines Stück trockene Erde leisten können, während die Armen selbst zusehen müssen, dass sie nicht einfach absaufen? Wie auch immer eine solche Zukunft auch aussehen würde, auf jeden Fall nicht so wie in „Reminiscence“. Was solch eine radikale Veränderung der Lebensbedingungen für eine Gesellschaft bedeutet, spielt im Film nämlich praktisch keine Rolle …
… stattdessen erweist sich die Klimawandel-Prämisse als reines Kulissen-Gimmick – und in dieser Hinsicht hat „Reminiscence“ tatsächlich einiges zu bieten: Vom eröffnenden Kameraflug durch die fast untergegangene Stadt über einen Unterwasser-Fight in einem gefluteten Konzertsaal bis hin zu einer Bahnfahrt von Miami nach New Orleans einmal quer durch die versunkenen USA – thematisch kratzt der Film zwar allenfalls an der Oberfläche, aber zumindest gibt es immer was zu sehen.
Grandiose Schauwerte: In Miami ragen nur noch die oberen Stockwerke der Hochhäuser aus den Fluten.
Ähnliches gilt auch für das Sci-Fi-Gimmick: Die Erinnerungsmaschine macht den archetypischen Noir-Plot auch nicht viel cleverer – aber sie erlaubt zumindest eine Menge visueller Spielereien sowie den schönen Gag, dass sich die Polizei für ihre Verhöre nur ein altes Gerät leisten kann. Das stellt die Erinnerungen nicht in 3D und Farbe dar, sondern projiziert sie lediglich in Schwarz-Weiß an die Wand. Da kommt dann kurzzeitig doch noch mal so etwas wie Noir-Feeling auf, was „Reminiscence“ die meiste Zeit über aber leider völlig abgeht.
Das liegt ganz einfach daran, dass die fatalistischen, pessimistischen und düsteren Elemente des Films weitestgehend bloße Behauptung bleiben: Darauf, dass Thandiwe Newton eine funktionale Alkoholikerin verkörpert, kommt man auch nur, weil sie es einem in jeder zweiten Szene erzählt – das ist genauso wenig glaubhaft wie Hugh Jackmans Obsession für die verschwundene Mae. Seine Performance wirkt schlichtweg viel zu harmlos, um das selbstzerstörerische Elemente seiner Figur angemessen rüberzubringen.
Rebecca Ferguson, die ja an der Seite von Tom Cruise auch schon in den „Mission: Impossible“-Blockbustern so etwas wie eine Femme fatale gespielt hat, macht da noch den besten Job – vor allem in den Barszenen, in denen sie auch selbst singt. Tragisch, sexy, doppelbödig, potenziell abgründig – eben alles, was eine Film-Noir-Figur so mitbringen sollte. Aber dann muss sich Nick an einer Stelle des Films anhören, dass er gar nicht wissen will, wer Mae wirklich ist, weil ihn das nur endgültig kaputtmachen würde.
Aber da muss er sich wirklich keine Sorgen machen. Natürlich ist es völlig okay, erst recht im Jahr 2021, das Klischee der klassischen Femme fatale zu unterlaufen – aber doch möglichst nicht, in dem man stattdessen einfach Kitsch abliefert. Dazu passt auch der Kommentar, den Hugh Jackman als Noir-Protagonist den ganzen Film hindurch aus dem Off beisteuert. Der klingt zumindest im ersten Moment noch gewohnt abgeklärt und trocken, erweist sich bei genauerem Hinhören aber gar nicht als zynische Abrechnung eines desillusionierten Ermittlers, sondern als Ansammlung von hohlen Kalendersprüchen.
Fazit: „Reminiscence“ liefert einen mild spannenden Thriller-Plot und mit seinen spektakulären Kulissen (sowie den Stars Hugh Jackman & Rebecca Ferguson) auch immer etwas fürs Auge. Aber am Schluss bleibt der Film doch eine vertane Chance, weil sich Lisa Joy nicht traut, dahin zu gehen, wo es auch mal wehtut – und das drückt gerade in einem Film-Noir natürlich gewaltig auf die Atmosphäre.