Auf der Zielgeraden plötzlich Twilight Zone
Von Christoph PetersenDie Titel, unter denen der neue Film von „When Animals Dream“-Regisseur Jonas Alexander Arnby rund um den Globus vermarktet wird, lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Während das dänische Original „Selvmordsturisten“ (= Selbstmordtourist) oder der norwegische Titel „Mannen Uten Framtid“ (= Mann ohne Zukunft) gut zu einem kryptischen Drama passen würden, deuten die US-Abwandlung „Exit Plan“ sowie die deutsche Tagline „Es gibt kein Entkommen“ eher auf einen geradlinigen Thriller hin. Die Alternativen aus der zweiten Kategorie schreien dabei regelrecht nach einer Mogelpackung aus der Marketingabteilung.
Aber auch wenn bei Titeln oft genug und absichtlich falsche Eindrücke vermittelt werden: In diesem Fall ist es absolut verständlich, dass der Film derart unterschiedlich vermarktet wird – denn beim Schauen von „Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen“ bekommt man auch als Zuschauer mitunter den Eindruck, dass der Film selbst nicht so genau weiß, was er nun eigentlich sein will. Das allein wäre natürlich noch kein Problem – schließlich ist es begrüßenswert, wenn sich ein Film nicht widerstandslos in eine der vorgefertigten Genre-Schubladen einsortieren lässt. Aber Jonas Alexander Arnby verlässt sich zu sehr auf seine melancholische Atmosphäre, während die Erzählung weder für ein meditatives Drama noch für einen mysteriösen Thriller genügend Anknüpfungspunkte hergibt.
In dem architektonisch beeindruckenden Aurora-Hotel gehen „Drinnen“ und „Draußen“ fließend ineinander über.
Max (Nikolaj Coster-Waldau) verkauft Lebensversicherungen und hat einen wachsenden Gehirntumor. Weil er es nicht verkraftet, seiner liebenden Ehefrau Lærke (Tuva Novotny) zur Last zu fallen, will er sich das Leben nehmen. Aber die ersten zwei Versuche mit einem Strick aus dem Baumarkt schlagen fehl. Doch dann erfährt Max durch einen Klienten von Aurora: In dem Berghotel kann man einchecken, um dort mit Hilfe von Ärzten und Pflegern nach seinen ganz persönlichen Vorstellungen aus dem Leben zu scheiden. Allerdings gibt es eine klare Regel: Ist der Vertrag erst einmal unterzeichnet, dann ist die Entscheidung unumkehrbar...
Würde der Film bereits nach 70 seiner 90 Minuten Spielzeit enden, dann hätten wir es mit einem vergleichsweise „normalen“ Sterbehilfe-Drama zu tun: „Suicide Tourist“ ist dabei zwar immer extrem stylish, mitunter aber auch arg behäbig – und abgesehen von der einen oder anderen kleineren Eigenheit (etwa Johanna Wokalek als Bio-Beerdigungs-Beraterin) in dem Selbstmord-Hotel gibt es nichts, was einen mit der Nase darauf stoßen würde, dass sich dahinter noch ein Plot der Marke „Twilight Zone“ verbergen könnte. Zumal das Hotel selbst auch schon in diesem Part eine erstaunlich kleine Rolle spielt.
Mit der ebenso stilsicheren wie unpersönlichen Einrichtung sowie den großflächigen Fenstern, durch die die grandiose Gebirgslandschaft regelrecht in die Innenräume „hineinfließt“, inszeniert Jonas Alexander Arnby das Hotel zwar als zumindest visuell faszinierenden Nicht-Ort – über dessen spezifischen Abläufe man aber viel zu wenig erfährt, um ein echtes Interesse zu entwickeln. Stattdessen gibt es jede Menge Rückblenden: Von der Diagnose im Krankenhaus über ein belauschtes Telefongespräch der Ehefrau bis hin zu zwei gescheiterten Selbstmordversuchen gehen diese aber selten über die bekannten Stationen eines typischen Krebs-Dramas hinaus.
Dank der starken Leistung von Nikolaj Coster-Waldau, der hier das genaue Gegenteil seines extrovertierten „Game Of Thrones“-Charakters Jaime Lannister verkörpert, erreicht das sphärische Treiben zumindest eine gewisse Grundintensität – aber wirklich aufregend wird es viel zu selten. Die Mischung aus atmosphärischem Drama und eingestreuten Genre-Elementen ist Jonas Alexander Arnby in seinem meisterhaften Coming-of-Age-Werwolf-Debüt „When Animals Dream“ jedenfalls sehr viel besser gelungen. In „Suicide Tourist“ dagegen kommt die Mystery-Thriller-Wendung nicht nur kurz vor Schluss so ziemlich aus dem Nichts – sie führt dann auch zu nichts, statt den Zuschauer zumindest auf der Zielgeraden noch mit einem cleveren Twist zu überzeugen.
Fazit: Eine Meditation über das Sterben und den Verlust, die erst auf den letzten Metern plötzlich in Richtung eines surrealen Thrillers abdriftet. Das zieht sich mitunter ganz schön hin und liefert abseits der stark komponierten Bilder und einer melancholischen Grundstimmung zu wenige erzählerische Anstöße, um das langsame Tempo zu rechtfertigen.