Die irische Antwort auf "Der Babadook"
Von Christoph PetersenHorror-Kinder sind allein schon deshalb ein so ungemein effektives Stilmittel, weil viele Dinge einfach noch viel erschreckender wirken, nur weil Kinder sie tun. Das wissen wir spätestens seit dem schockierenden Schnitt am Ende des legendären Prologs von John Carpenters „Halloween - Die Nacht des Grauens“, der dem Zuschauer offenbart, dass wir da in Wahrheit gerade durch die Augen eines erst sechsjährigen Jungen dabei zugesehen haben, wie der seine halbnackte ältere Schwester niedersticht. Aber es gibt noch eine zweite, im besten Fall ebenso effektive Ebene – nämlich das Spiel mit der Urangst von Eltern, bei der Erziehung der eigenen Kinder zu versagen. Wobei der erst vor wenigen Wochen gestartete Satansbraten-Schocker „The Prodigy“ genau an diesem Punkt gescheitert ist.
Bedeutend besser gelingt dies nun dem irischen Regisseur Lee Cronin, dessen „The Hole In The Ground“ schon bei seiner Weltpremiere auf dem Sundance Filmfestival sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Mit einem guten Gespür für Atmosphäre und einer begeisternden Hauptdarstellerin erfindet er in seinem Langfilmdebüt zwar das Rad nicht neu, arbeitet dafür aber überzeugend und wirkungsvoll die Zerrissenheit einer alleinerziehenden Mutter heraus, die sich plötzlich nicht mehr sicher sein kann, ob ihr Sohn tatsächlich noch ihr Sohn ist. „The Hole In The Ground“ bietet dabei zwar eine Reihe von gut getimten klassischen Schockmomenten, aber der wahre Horror stammt woanders her – ein lohnender, wenn auch mindestens eine Nummer kleiner angelegter Film für Fans von psychologisch aufgeladenem Grusel à la „Der Babadook“, „Hereditary“ & Co.
Sarah kann sich nicht mehr sicher sein, ob sie da gerade wirklich ihren Sohn im Arm hält.
Sarah O’Neill (auch die Kamera kann sich an ihrem expressiven Gesicht kaum sattsehen: Seána Kerslake) ist offenbar vor ihrem gewalttätigen Ehemann geflohen und erst vor kurzem mit ihrem etwa siebenjährigen Sohn Chris (James Quinn Markey) in ein baufälliges altes Haus in einer abgelegenen ländlichen Gegend Irlands gezogen. Während Sarah bereits einen Job als Verkäuferin in einem Antiquitätenladen gefunden hat, fällt es Chris noch immer schwer, Freundschaften in seiner neuen Schule zu schließen. Aber dann stoßen Mutter und Sohn eines Tages auf eine gewaltige Senkgrube hinter dem Haus, die den halben Wald regelrecht zu verschlingen scheint. Doch das ist noch gar nicht mal das größte Problem: Chris wirkt mit einem Mal wie ausgetauscht – und Sarah stellt sich zunehmend die Frage, ob sie es ist, die hier den Verstand verliert, oder ob ihr Sohn tatsächlich nicht mehr derselbe ist...
Wenn Sarah und Chris in der ersten Szene ein Spiegelkabinett besuchen und anschließend zu ihrem halb auseinanderfallenden Kleinwagen zurückkehren, der ganz allein auf einem riesigen Parkplatz steht, während im Hintergrund eine Geisterbahn mit dem Namen „Road To Hell“ thront, wähnt man sich schon in einer postapokalyptischen Welt. Aber „The Hole In The Ground“ spielt einfach nur im abgehängten ländlichen Irland – und ist auch sonst kein Film der großen Überraschungen. Stattdessen konzentriert sich Lee Cronin ganz auf seinen zentralen Konflikt: Weil sich Sarah lange nicht sicher sein kann, was denn nun Sache ist, muss sie sich gegenüber Chris eigentlich immer so verhalten, als sei er ihr geliebter Sohn und ein potenzielles Monster zugleich. Eine intensive Erfahrung, auch dank dem herausragenden Spiel von Seána Kerslake. James Quinn Markey tut hingegen gut daran, das Höllenkind nicht zu sehr raushängen zu lassen – sein zurückhaltendes Spiel macht seine Figur fast noch furchteinflößender.
Gar nicht zurückhaltend ist hingegen Cronins Umgang mit den Metaphern in seinem Film. Als sei eine gewaltige Sinkgrube, die alles um sich herum mit in den Abgrund reißt, nicht schon offensichtlich genug, prangt auf Sarahs Stirn auch noch eine große Narbe, die einfach nicht verheilen will und immer wieder zu bluten anfängt (die einholende Vergangenheit und so). Nicht sehr viel subtiler, aber dafür sehr viel cleverer sind die zahlreichen kleinen inszenatorischen Einfälle, mit denen Cronin seinen Gruselfilm würzt: So spielen etwa Spiegel von der ersten bis zur letzten Einstellung eine ganz zentrale Rolle, was auch zwischen dieser Klammer immer wieder geschickt aufgegriffen wird, etwa mit einer ungewöhnlichen Einstellung, die überhaupt erst durch einen abgefahrenen Seitenspiegel möglich wird.
Und auch das titelgebende Loch klafft nicht nur buchstäblich hinter dem Haus, sondern wird auch in einigen Match Cuts integriert – etwa bei einem Schnitt von der Sinkgrube, die sich immerzu merkwürdig bewegt und dabei auch Geräusche macht, ganz so als würde es kauen, hin zum am Essenstisch sitzenden Chris, der gerade eine volle Gabel Spaghetti in seinen weit geöffneten Mund hineinstopft. Einer der ganz wenigen ironischen Momente in diesem ansonsten sehr ernsten, aber auch deshalb so effektiven Horror-Drama.
Fazit: Kein revolutionäres, aber ein wirkungsvolles und atmosphärisches irisches Horror-Kleinod.