Viggo Mortensen kann auch Regie
Von Björn BecherDemenz wird immer wieder auch als Krankheit der Neuzeit bezeichnet, weil sie erst in einer modernen, immer älter werdenden Bevölkerung gehäuft auftritt und nach übereinstimmender Meinung in der Forschung in Zukunft sogar noch häufiger auftreten wird. Es verwundert daher nicht, dass inzwischen auch immer mehr Filmschaffende das Thema für sich entdecken – und die tückische Krankheit in Kinoproduktionen wie „Honig im Kopf“, „Still Alice“ oder „Das Leuchten der Erinnerung“ auf zwar ganz unterschiedliche, aber dabei doch stets betont emotionale Weise angehen.
In seinem Regiedebüt „Falling“ scheint „Herr der Ringe“-Star Viggo Mortensen es dagegen fast schon verhindern zu wollen, das Publikum auch emotional zu involvieren. Komik gibt es abgesehen von einem Kurzauftritt von Regie-Altmeister David Cronenberg („Tödliche Versprechen“) nicht und auch das Mitfühlen wird einem ziemlich schwer gemacht. Und dennoch: Obwohl „Falling“ immer etwas sperrig bleibt, packt einen Viggo Mortensen am Ende vor allem deshalb, weil er gerade nicht den einfachen (Tränendrüsen-)Weg geht.
Viggo Mortensen spielt auch eine der Hauptrollen in seinem Regie-Debüt.
Weil Willis (Lance Henriksen) aufgrund seiner fortschreitenden Demenz auf seiner abgelegenen Farm nicht mehr allein klarkommt, holt ihn sein Sohn John (Viggo Mortensen) nach Los Angeles. Der verwirrte Willis sucht auch am neuen Ort immer wieder nach Johns toter Mutter oder seiner ebenfalls verstorbenen zweiten Frau. Aber das ist gar nicht die größte Belastung.
Stattdessen macht Willis seinem Sohn immer wieder klar, wie sehr er ihn wegen seiner Homosexualität verachtet. Während er John und dessen Ehemann Eric (Terry Chen) mit seinen homophoben, rassistischen und misogynen Ausbrüchen zunehmend an die Grenze der Belastbarkeit treibt, gibt es immer wieder Rückblenden in die Vergangenheit, in der Willis (hier: Sverrir Gudnason) nicht viel anders war…
Willis hatte für seinen Sohn nicht einmal freundliche Worte über, als der noch ein Baby war. Viggo Mortensen, der auch das Drehbuch selbst geschrieben hat, zeichnet mit knallharter Konsequenz das Bild eines kalten Mannes, der nur in seltenen Momenten gegenüber seiner Enkelin Monica (Gabby Velis) zu einem Funken Empathie fähig ist, bevor er deren Väter oder sonst irgendjemanden sofort wieder unflätig beleidigt. Dabei driften die Ausbrüche des alten Mannes nie ins Komische ab. Der einfache Ausweg, über die Beleidigungen zu lachen und sie als Irrungen des kauzigen Opas abzutun, bleibt verschlossen. Nein, Willis hasst andere Menschen, insbesondere wenn sie nicht seinem Wertekanon entsprechen.
Durch die vielen Rückblicke, in denen Willis seine Frau missachtet oder den Sohn mit überholten Methoden erzieht, entkoppelt Viggo Mortensen den Hass des Mannes von dessen Krankheit, die so nicht als Entschuldigung für seine Ausbrüche taugt. Willis war schon immer ein Arschloch, nun ist er halt ein dementes Arschloch. Es dürfte nicht wenige Menschen im Kinopublikum von „Falling“ geben, die sich irgendwann die Frage stellen, warum sich John das antut und den Vater nicht einfach auf der Farm in seinem Dreck verrotten lässt. Und genau das ist die eigentliche Stärke des Dramas.
Nur selten ist Willis mal ruhig und nett.
Während sich nach und nach die Geschichte zusammensetzt, wird immer deutlicher, wie sehr sich John aller Abneigung zum Trotz für seinen Vater verantwortlich fühlt. In einer besonders intensiven und trotzdem kein bisschen forciert wirkenden Szene in Willis‘ alter Hütte entlädt sich einmal die Situation – und nicht nur in solchen dramatischen Momenten brillieren die beiden Hauptdarsteller: „Aliens“-Legende Lance Henriksen, der lange nicht mehr im Kino zu sehen war, liefert naturgemäß die lautere, den Zuschauer immer wieder vor den Kopf stoßende Performance. Trotzdem begeistert vor allem das subtilere Minenspiel von Viggo Mortensen. Immer wieder ist John im Gesicht abzulesen, wie er seine Wut herunterschluckt.
Gerade die durch die Bank starke Besetzung, darunter auch Laura Linney in einer kleinen Rolle als Johns jüngere Schwester, trägt „Falling“ auch über die ein oder andere Länge, die sich gerade in den düsteren Rückblenden einstellen. In einer solchen erlebt der kleine John (hier: Etienne Kellici) auch den einzigen glücklichen Augenblick mit seinem Vater, als er seine erste Ente schießt. Doch als der kleine Junge danach mit dem geschossenen Tier badet, es in sein Bett nimmt und am nächsten Tag der Mutter (Hannah Gross) interessiert bei der Zubereitung hilft, ist an Willis abschätzigem Blick bereits abzulesen, dass kein vergleichbarer Vater-Sohn-Moment mehr folgen wird.
Fazit: Der schon dreimal oscarnominierte Schauspielstar Viggo Mortensen liefert mit „Falling“, den er seinem 2017 verstorbenen Vater gewidmet hat, ein ebenso unbequemes wie sehenswertes Regiedebüt ab.