Nach dem Hype: Ist es wirklich der gruseligste Horrorfilm des Jahres?
Von Stefan GeislerIm Vorfeld der Veröffentlichung von Rob Savages „The Boogeyman“ hat es viel medialen Buzz gegeben. Der Regisseur, der laut einer Untersuchung mit „Host“ einen der gruseligsten Schocker aller Zeiten gedreht hat, inszeniert einen Film nach Vorlage DER Horror-Ikone schlechthin: „ES“-Autor Stephen King. Meldungen, dass nach einer Testvorführung noch einmal umgeschnitten werden musste, weil sich das Publikum nach einem Schockmoment nicht mehr beruhigen konnte, schürten die Vorfreude unter Genre-Freunden.
Erwartet uns jetzt also der gruseligste Horrorfilm aller Zeiten – oder zumindest des Kinojahres 2023? Sicher nicht. Der sich lose an der gleichnamigen Stephen-King-Kurzgeschichte orientierende „The Boogeyman“ ist aber zumindest in der gelungenen ersten Hälfte ein durchaus unterhaltsames Horror-Vergnügen, das stellenweise in seiner Darstellung von unaufgearbeiteter Trauer überzeugen kann. Leider werden diese psychologischen Ansätze jedoch im Verlauf des Films für billige Jump-Scares und ein unnötig actiongeladenes Finale zunehmend vernachlässigt.
Der Boogeyman ist für Familienvater Will nur ein Hirngespinst.
Das Leben ist nicht fair: Die 16 Jahre alte Teenagerin Sadie Harper (Sophie Thatcher) und ihre kleine Schwester Sawyer (Vivien Lyra Blair) leiden noch immer unter dem tragischen Tod ihrer Mutter. Auch ihr Vater Will (Chris Messina), der eigentlich als Psychologe anderen Menschen bei ihrer Trauerbewältigung hilft, versucht irgendwie den plötzlichen Unfalltod seiner Frau zu verarbeiten und mit dieser neuen Situation umzugehen. Die Rückkehr in den Alltag gestaltet sich für keines der drei Familienmitglieder einfach.
Als eines Tages der verzweifelte Patient Lester Billings (David Dastmalchian) in der Praxis des zu Hause arbeitenden Vaters auftaucht, laufen die Ereignisse aus dem Ruder: Der sonderbare Mann erzählt nicht nur eine wilde Mär über eine sinistre Schattengestalt namens „Boogeyman“, die seine Kinder auf dem Gewissen hätte, sondern nimmt sich kurz darauf im Haus seines Psychiaters das Leben. Kurz darauf kommt es zu unerklärlichen und unheimlichen Vorkommnissen, unter denen insbesondere das jüngste Mitglied der Familie leidet...
Der Verlust eines geliebten Menschen ist immer schmerzhaft für die Hinterbliebenen. Insbesondere die Erfahrung, dass die Welt um einen herum weiterläuft, dass gelacht und gelebt wird, während man selbst in der Trauer erstarrt, ist ein Gefühl, das sich für die Betroffenen zu einem grausamen Monster entwickeln kann. Und dies kann in ganz verschiedenen Arten erscheinen – so auch in „The Boogeyman“.
Während Sawyer (herausragend gespielt von Vivien Lyra Blair, die schon als junge Leia Organa in „Obi-Wan Kenobi“ überzeugen konnte) immer wieder auf das Fehlen der Mutterfigur aufmerksam macht und eine zunehmende Angststörung entwickelt, will ihre ältere Schwester den Verlust nicht wahrhaben. Teenagerin Sadie flüchtet sich in ihre Erinnerungen, nutzt Kleidungsstücke und Artefakte ihrer Mutter als ein Schutzschild gegen die Realität. Sie versucht sogar über Youtube-Tutorials den Kontakt mit den Toten herzustellen. Auch Familienvater Will ist mit der Situation überfordert, zeigt sich dem Thema gegenüber verschlossen und würde gerne so schnell es geht eine neue Normalität etablieren, ohne dabei mit seinen Töchtern über das Thema gesprochen zu haben.
Sawyer sieht den Boogeyman überall im Haus.
Rob Savage erschafft aus dieser emotionalen Grenzerfahrung heraus ein Ungeheuer, das in den Schatten lebt und den Menschen die Lebensenergie entzieht. Der Boogeyman wird dabei zum fiesen Echo der Vergangenheit, das verzerrte Erinnerungen heraufbeschwört und die Protagonisten nie zur Ruhe kommen lässt. Der Terrorgeist im Kinderzimmer, der einem Schimmelfilm gleich die Atmosphäre im Familienhaushalt vergiftet und unter dem Bett auf seine Opfer wartet, ist zwar ein altbekannter Topos des Horrorkinos. Savage setzt ihn im Kontext der Trauerbewältigung jedoch gut und effektiv genug ein, um ein paar äußerst stimmungsvolle Szenen zu kreieren, die unter die Haut gehen. Gerade jene Momente, in denen das fiese Schattenmonster die Stimmen der verstorbenen Mutter imitiert, um die trauernden Kinder zu sich zu locken, sind ebenso unheimlich wie unangenehm.
Doch mit zunehmender Spielzeit entweicht die Spukgestalt immer häufiger den düsteren Winkeln und Nischen. Sie sucht zusehends das Rampenlicht, wodurch der Film auch hektischer und actionlastiger wird. Die Albtraum-Kreatur entpuppt sich dabei als recht unschön anzusehender CGI-Gollum, der immer wieder aus den dunklen Ecken hervorgesprungen kommt und seine Opfer in die direkte Konfrontation zwingt. Sich der Horror-Gestalt mit bloßer Waffengewalt entgegenzustellen, erweist sich dabei als recht plumpe Lösung für dieses tiefenpsychologische Monsterproblem, zumal im zunehmenden Krawall auch die beklemmende Atmosphäre untergeht.
Gruselig bleibt da höchstens noch die Zeichnung der Nebenfiguren. Dass die angeblichen „Freundinnen“ von Sadie schreckliche Schul-Rüpel sind, die aus einer 90er-Jahre College-Komödie entflohen zu sein scheinen, wird bereits beim ersten Wortwechsel klar. Auch die Frau des Boogeyman-Opfers Lester Billings, die in einem völlig verwahrlosten Haus mit einer Schrotflinte und Halogen-Scheinwerfer Jagd auf die Schattenkreatur macht, wirkt in ihrer schroffen Art fast etwas deplatziert im familiären Grusel-Treiben.
Fazit: Traueraufarbeitung im Kontext des Horrorkinos ist ein spannendes Thema. Auch wenn sich Rob Savage in „The Boogeyman“ größtenteils auf altbekannte Bilder verlässt, gestaltet sich der Einstieg in die Stephen-King-Verfilmung doch äußerst stimmungsvoll. Leider vertraut der Film dabei nicht auf seine eigenen Stärken und versucht mit laufender Spielzeit das Action-Tempo anzuziehen, wodurch das „Monster im Kleiderschrank“ leider zunehmend an Schrecken verliert.