Elisabeth Moss spielt alle an die Wand
Von Lutz GranertShirley Jackson gilt mit 200 Kurzgeschichten und sechs Romanen überwiegend aus dem Horror- und Mystery-Genre als eine der einflussreichsten US-Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. In ihrem Romandebüt „Hangsaman“ von 1951 arbeitete sie einen mysteriösen Vermisstenfall auf, der in den USA landesweit für Aufsehen sorgte: 1946 brach die Studentin Paula Jean Weber zu einer Wandertour auf und kehrte nie zurück. Auch aufgrund schlampiger Ermittlungen der Polizei wurde ihr Verschwinden bis heute nicht aufgeklärt.
Doch es gibt viele Theorien – und im Mittelpunkt einer steht sogar Autorin Jackson selbst. War die verschwundene Studentin vielleicht eine Liebschaft ihres Ehemanns Stanley Edgar Hyman und sie die rachsüchtige Gattin? Diese Hypothese stellte Susan Scarf Mitchell in ihrem Roman „Shirley: A Novel“ auf, den Josephine Decker („Madeline's Madeline“) nun mit „Shirley“ adaptierte. Ihr gelingt damit gerade durch die starke Performance von Elisabeth Moss („Der Unsichtbare“) in der Titelrolle ein beeindruckendes Psychodrama um zwei labile Frauen, welches jedoch hin und wieder etwas zu eindimensional ist.
Shirley leidet unter ihrem Mann.
Im Herbst 1947 suchen der junge Literatur-Doktorand Fred (Logan Lerman) und seine schwangere Frau Rose Nemser (Odessa Young) eine Wohnung. Bei Shirley Jackson (Elisabeth Moss) und ihrem Ehemann Stanley Edgar Hyman (Michael Stuhlbarg) kommen sie unter. Stanley bietet dem Paar sogar freie Kost und Logis an, wenn Rose im Gegenzug im Haushalt hilft, kocht und sich um seine unter Angststörungen leidende Gattin kümmert. Nach einem schweren Start freunden sich die beiden ungleichen Frauen an. Und während Shirley an ihrem Romandebüt „Hangsaman“ arbeitet, entfremden sich Rose und Fred immer mehr voneinander.
Regisseurin Josephine Decker und Drehbuchautorin Sarah Gubbins („I Love Dick“) konzentrieren sich ganz auf die Beziehung der beiden Frauen zueinander. Mit einer beweglichen Kamera und vielen Nahaufnahmen ist „Shirley“ immer äußerst dicht dran an den Figuren. Das Duell der beiden Schauspielerinnen kann jedoch eindeutig die mit pickelig-unreiner Haut und dicken Augenringen unter starkem Make-Up agierende Elisabeth Moss für sich entscheiden. Wie die „The Handmaid's Tale“-Hauptdarstellerin mit forderndem Blick und spitzer Zunge ihren sie betrügenden Ehemann immer wieder aus der Reserve lockt oder bei einer Fakultätsparty gegenüber der Frau des Dekans zur Furie wird und eine Sitzecke mit Rotwein „verschönert“, ist großes Schauspielkino. Michael Stuhlbarg („Shape Of Water“) ist dabei als Hyman nicht mehr als ein jovialer, betont geschliffen daherredender Stichwortgeber.
Obwohl Odessa Young („Assassination Nation“) sogar etwas mehr Screentime zukommt, gelingt es ihr nicht, Moss auf Augenhöhe zu begegnen. Mit stets halb offenem Mund und erwartungsvoll-fasziniertem Blick legt sie ihre Rose mimisch sehr begrenzt an, was jedoch anfangs zu ihrer psychologisch etwas unterentwickelten Rolle passt. Allerdings wandelt sie sich nicht genug mit ihrer Figur mit. Zunächst unterwürfig und schüchtern (wenn sie zum Beispiel Hymans Annäherungsversuchen in der Küche oder Shirleys Möchtegern-Suizidversuch mit Giftpilzen im Wald ohnmächtig begegnet) entwickelt sich Rose nämlich durch die auch homoerotisch aufgeladene Freundschaft mit der Autorin bald zu einer selbstbewussten Frau, die sich mit den sich andeutenden Liebschaften ihres Mannes Fred mit seinen Studentinnen nicht einfach so abfinden will.
Sowohl die charakterliche Wandlung von Rose wie auch die Faszination für die düstere Gedankenwelt der eigentlichen Titelfigur bleiben jedoch zu sehr bloße Hüllen, denen ein wenig das Innenleben fehlt. Denn Drehbuchautorin Sarah Gubbins fällt wenig mehr dazu ein, als beide Frauen als eher pragmatische Leidensgemeinschaft betrogener Gattinnen zu zeichnen. Das verdeutlicht auch ein Kunstgriff: Decker legt einige Textpassagen von „Hangsaman“ als Voice Over über Alltagsszenen von Rose – was zu der eher trivialen Erkenntnis führt, dass junge Frauencharaktere in der Nachkriegszeit sich nur durch eine selbstbewusste Absage an Geschlechterrollen gegen das Patriarchat erwehren können.
Shirley nimmt Rose unter die Lupe.
Der Fokus auf die immergleichen Streits in den beiden, zum Scheitern verurteilen Paarbeziehungen, ist auf die Dauer durchaus etwas ermüdend. Doch in den richtigen Momenten verleiht Decker ihrem Drama mit Psychothriller-Elementen wieder den nötigen Schwung. Da schwellen dissonante Streicher bei wohl dosierten surrealen Szenen an und verleihen etwa einem Alptraum von Shirley, in der eine nach einer Fehlgeburt stark blutende Frau einen Flur entlang humpelt, eine verstörende Wirkung.
Sehr gut wird damit auch Shirley Jacksons düstere, ebenso mysteriös aufgeladenen wie bedrohlichen Erzählwelten, die auch durchaus als eine Aufarbeitung privater Probleme verstanden werden können, illustriert. Die prägende Horror-Autorin litt unter ihrem Ehemann, der ihre Finanzen kontrollierte und sie immer wieder betrog. Jackson, die ohnehin schon mit Asthma und Herzproblemen kämpfte, entwickelte auch deswegen diverse Angststörungen (von Verfolgungswahn bis Agoraphobie), die Decker so gekonnt auf die Leinwand bringt. Trotz einiger künstlerischer Freiheiten gelingt es der Regisseurin, mit psychologischem Tiefgang hinter die Fassade der nach außen so schroffen Literatin zu blicken und zu zeigen, wie sich Kreativität und Wahnsinn im Schaffensprozess der wahren Shirley gegenseitig bedingten.
Fazit: „Shirley“ ist ein zuweilen etwas lang geratenes Beziehungsdrama mit einer brillanten Elisabeth Moss.
Wir haben „Shirley“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Teil der Reihe Encounters gezeigt wurde.