Ein gelungener Weltuntergang
Von Björn Becher„Jetzt rast auch noch ein Komet auf die Erde zu“ titelt der deutsche Verleih Tobis in einer Social-Media-Anzeige zu „Greenland“ – und deutet damit augenzwinkernd an, wie „gut“ der Katastrophenfilm mit Action-Allzweckwaffe Gerard Butler („Criminal Squad“) in das Pandemie-Jahr 2020 passt. „Greenland“ ist aber nicht deshalb gelungen, weil uns gezeigt wird, wie viel schlimmer es noch um die Welt stehen könnte – sondern weil das Thriller-Drama erstaunlich effektiv geraten ist.
Dabei unternimmt Regisseur Ric Roman Waugh („Angel Has Fallen“) gar nicht erst den Versuch, die übertriebenen Untergangsszenarien von Roland Emmerich („2012“) und Michael Bay („Armageddon“) mit noch mehr Explosionen & Co. zu toppen. „Greenland“ ist stattdessen immer dann am stärksten, wenn er auf Emotionen und Spannung statt auf puren Weltuntergangs-Bombast setzt – und das ist zum Glück sehr oft der Fall.
Gerard Butler kämpft mal wieder ums Überleben.
Während sich alle Welt darauf freut, dass ein riesiger Komet ganz nah an der Erde vorbeifliegen und dabei für ein eindrucksvolles Spektakel am Himmel sorgen soll, hat John Garrity (Gerard Butler) ganz andere Sorgen: Er muss Last-Minute-Einkäufe für eine Grillparty erledigen – und bekommt plötzlich eine mysteriöse Warnung auf sein Handy: Er sei auserwählt worden, um mit seiner Familie in einem geheimen Bunker unterzukommen. Weitere Details sollen folgen …
… und das tun sie dann auch wenige Minuten später, als John gerade nach Hause zu seiner Frau Allison (Morena Baccarin) und den bereits anwesenden Gästen gehetzt ist. Während im TV zu sehen ist, dass der Komet doch nicht an der Erde vorbeisaust, sondern ein erster Splitter die Großstadt Tampa zerstört, erhält John die Anweisung aufs Handy, an welcher Militärbasis er sich für den Weitertransport einzufinden hat. Vorbei an den panischen Nachbarn machen sich John, Allison und Sohn Nathan (Roger Dale Floyd) auf den Weg…
In ihrem angenehm knackigen Einstieg liefern Regisseur Ric Roman Waugh und Drehbuchautor Chris Sparling („Buried“) gleich mal eine ganze Fülle von Informationen in kurzer Zeit: Nachrichtenbeiträge im Hintergrund informieren über den Kometen, Gespräche verdeutlichen die Eheprobleme der Garritys und charakterisieren die Hauptfigur als ungeduldigen Workaholic, der am liebsten alles selbst erledigen will. So kommt „Greenland“ zügig auf den Punkt – und die Ereignisse beginnen, sich zu überschlagen.
Dabei verzichtet Ric Roman Waugh auf den für das Genre typischen Effekte-Bombast: Vom Kometen gibt es neben kurzen TV-Bildern vom Einschlag in Florida nur eine bis zu den Garritys in Atlanta reichende Druckwelle, welche die Scheiben zersplittern lässt. So rücken die dramatischen Entscheidungen in den Vordergrund: Als John die Nachricht erhält, dass er und seine Familie sich für die Rettung an einem bestimmten Ort begeben soll, bekommen das die versammelten Nachbarn mit – die selbst aber nicht vom Staat informiert wurden. Statt weiter Kometensplitter vom Himmel regnen zu lassen, konzentriert sich Waugh auf die erschütternde Erfahrung, wie die Garritys ihre flehenden Freunde zurücklassen. Eine Nachbarin streckt ihnen sogar ihre Tochter entgegen, damit sie sie mit in den Bunker nehmen.
Wenn die Welt untergeht, müssen schwere Entscheidungen getroffen werden.
Solche Szenen geben den Ton von „Greenland“ vor. Die komplette Laufzeit hindurch verbleibt der Fokus stets auf den Figuren. Weitere Einschläge von Kometensplittern in Japan oder Kolumbien sind nur Nachrichtenhintergrundrauschen, das den Ernst der Lage genauso verdeutlicht wie der schon bald lostickende Countdown bis zum Weltuntergang. Die Gefahr geht lange Zeit gar nicht direkt vom Kometen aus, sondern von den Menschen, die plündern, beten oder die letzte große Party schmeißen – und vor allem mit allen erdenklichen Mitteln um ihr eigenes Leben kämpfen.
Geschickt wird die Spannungsschraube immer weiter angezogen, während die Handlung einige Wendungen nimmt, von denen hier aber nicht zu viel verraten werden soll, außer dass es zwischenzeitig zur Trennung der Familie kommt. In einigen Momenten gehen die Macher etwas grobschlächtig zur Sache: Da zeigt die Kamera dann groß, wie der kleine Nathan seine Insulin-Spritzen verliert. Oder man spürt förmlich, wie es im Kopf eines Autofahrers (David Denman) rattert, der die Notsituation der von ihm mitgenommenen Allison für sein eigenes Überleben ausnutzen will. Aber auch wenn „Greenland“ nicht immer subtil daherkommt – effektiv ist das alles auf jeden Fall und deshalb auch so ungeheuer spannend.
Selbst nach der Trennung der Protagonisten, wenn dann mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden müssen, reißt die Spannung nie ab. Das liegt vor allem daran, dass sich die Zeit genommen wird, um die immer neuen Hindernisse und ihre Überwindung voll auszuspielen. Dabei fesseln die Situationen nicht einfach nur – es gibt in der zunehmend düsterer werdenden Welt von „Greenland“ immer wieder auch emotionale Einschübe, kurze Momente des Glücks, die kleinen Siege im Überlebenskampf.
Das Vorgehen der Regierungen, die ihre Bevölkerungen womöglich belogen haben, um bloß keine Panik auszulösen, spielt ebenso nur am Rande eine Rolle wie das Schicksal der übrigen Menschen. Wenn eine im ganzen Chaos weiter für Ordnung sorgende Offizierin (Merrin Dungey) enthüllt, dass die Militärs ihren Job machen, obwohl ihre Familien nicht zu den Auserwählten gehören, darf ganz kurz geschluckt werden – aber dann geht es auch schon direkt weiter. Der Fokus liegt voll und ganz auf den Garritys – und gerade aufgrund des starken Hauptdarstellergespanns fällt es leicht, mit ihnen mitzufiebern.
Eine Familie in Dauerangst.
Gen Ende haut Ric Roman Waugh dann doch noch die typischen, leider nicht immer überzeugenden CGI-Effekte raus – und er lässt John auf der Zielgeraden ein paar heroische Taten vollbringen, wie wir sie von dem Helden eines Katastrophenfilms eben doch erwarten. Aber selbst solche späten Zugeständnisse an die Genre-Konventionen stören kaum, denn es geht weiterhin nur darum, ob die drei Menschen, die einem bis hierher längst ans Herz gewachsen sind, es irgendwie bis zu den angeblich in Grönland (englisch: „Greenland“) verborgenen Schutzräumen schaffen.
Es mag dem für das Genre sehr schmalen Budget von angeblich nur 35 Millionen Dollar geschuldet sein, dass Waugh kaum Kometeneinschläge zeigt – doch am Ende hilft genau das dem Film: Das Katastrophengenre diente den Hollywoodstudios zwar schon zu seiner Blütezeit in den 1970er-Jahren immer auch als Möglichkeit, ihre modernste Technik zu präsentieren. Aber dabei ging es zuletzt zu oft scheinbar nur noch um einen Wettstreit in Sachen Zerstörungs-Bombast. Am Ende sind es aber doch vor allem Spannung und Emotionen, die uns fesseln – und davon bietet „Greenland“ sehr viel mehr als seine meist um ein Vielfaches teureren Genre-Konkurrenten.
Fazit: „Greenland“ ist ein Katastrophenfilm, der mit Spannung und Emotionen statt mit Effektgewittern mitreißt. Haben wir in dieser Form lange nicht mehr gesehen – eine schöne Überraschung und damit praktisch das genaue Gegenteil des rund vier Mal teureren Gerard-Butler-Katastrophen-Flops „Geostorm“!