Was es wirklich heißt, fremd zu sein
Von Thorsten Hanisch„Rivale“ könnte auf den ersten Blick nicht besser zum aktuellen Zeitgeschehen passen. Ukraine, Flucht, Deutschland. Doch der zweite Film von Regisseur und Drehbuchautor Marcus Lenz, der bereits 2004 mit „Close“ sein Debüt gab, feierte bereits 2020 Premiere. Er handelt dementsprechend nicht vom Krieg, sondern von einer Frau aus der Ukraine, die als illegale 24-Stunden-Pflegekraft in Deutschland lebt und ihrem neunjährigen Sohn, der ihr nach dem Tod der Großmutter folgt und sich in einem völlig fremden Land zurechtfinden muss. Lenz’ Film will aber nicht nur Drama sein, sondern liebäugelt auch mit Thriller- und Horrorelementen. Ein Balanceakt, der nicht gut geht. Sehenswert ist „Rivale“ aber trotzdem – was an Hauptdarsteller Yelizar Nazarenko liegt.
Roman (Yelizar Nazarenko) wächst in einem ländlichen Bereich der Ukraine auf. Doch als die Großmutter stirbt, ist es vorbei mit der beschaulichen Kindheit. Da nun niemand mehr da ist, der sich um ihn kümmern könnte, wird er von einem Menschenschmuggler zu seiner Mutter Oksana (Maria Bruni) gebracht, die seit zwei Jahren in Deutschland für das Senioren-Ehepaar Schwarz als Pflegekraft arbeitet. Bei seiner Mutter angekommen, ist die Freude erstmal groß, allerdings ist vor ein paar Tagen die Frau des 62-jährigen, diabeteskranken Gert Schwarz (Udo Samel) gestorben. Dieser möchte den Rest seiner Tage nur ungern allein verbringen und hat in Romans Mutter die optimale Nachfolgerin gefunden, was dem Jungen allerdings ein Dorn im Auge ist.
Gert bemüht sich zwar, das Eis zu brechen, die Situation ändert sich allerdings erst, als die Mutter an einer Blindarmentzündung erkrankt. Da ihr als illegale Einwanderin die Ausweisung droht, setzt der Witwer sie vor einem Krankenhaus ab und flieht mit Roman in ein abgelegenes Häuschen auf dem Land. Oksanas Sohn ist nun nicht nur von Gert abhängig, sondern isolierter als je zuvor. Problematisch, da der alte Mann gesundheitlich selbst schwer angeschlagen ist…
Nach und nach entwickelt sich „Rivale“ immer mehr zum Kammerspiel mit zwei Menschen, die nicht miteinander kommunizieren können.
„Rivale“ taucht voll und ganz in die Perspektive von Roman ein, man erlebt das Geschehen komplett aus seiner Perspektive: Von der völligen Freiheit in der Ukraine (der Junge steht am Anfang in einem weiten Feld) in ein beengtes neues Zuhause in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht spricht. Während er anfänglich wenigstens noch mit seiner Mutter ein wenig durch die Stadt toben kann, nehmen diese kurzen Momente an Unbeschwertheit bald ein Ende und die Geschichte wird vollends zu einem Kammerspiel.
Hauptdarsteller Yelizar Nazarenko macht dabei die Unsicherheit, Hilflosigkeit und Aggression seines Charakters angesichts einer Welt, die er nicht versteht, jederzeit nachvollziehbar. Das läuft in besonders unangenehmen Szenen zwischen Roman und Gert auf ein Grunzen und Brüllen hinaus – hier wird die herrschende Sprachlosigkeit zwischen dem Neunankömmling und dem Einheimischen, der sich in sein Leben gedrängt hat, besonders schmerzhaft auf den Punkt gebracht. Nazarenko trägt den Film voll und ganz auf seinen kleinen Schultern, schafft es aber leider nicht, die Drehbuchschwächen vergessen zu machen.
„Rivale“ deutet schon zu Beginn Thriller-artige Spannungselemente an, die er dann aber nicht einlösen kann oder will.
Es ist Lenz anzurechnen, dass er aus Gert keinen eindimensionalen Unhold macht, aber gleichzeitig bleibt die Beziehung zwischen ihm und Oksana unbestimmt. Die ökonomische Abhängigkeit, die natürlich im Raum steht, wird mit einer kurzen Szene, in der Oksana und Gert halbnackt unbeschwert im Schlafzimmer herumtollen, unterminiert – ist vielleicht tatsächlich (auch) eine Form von Liebe im Spiel? Immerhin bemüht sich Gert bemerkenswert ernsthaft um Roman und Oksana macht nicht gerade den Eindruck einer gequälten Seele. Der Film mag nicht so recht den Finger auf die Figuren legen, er traut seiner eigenen Geschichte nicht, will keine Tiefen auslosten und so werden immer wieder kleine Schlenker Richtung in Richtung Genrekino gemacht, ohne sich allerdings auch hier je wirklich drauf einzulassen.
Zum Beispiel gibt es vor dem Titelvorspann einen völlig sinnfreien, reißerischen Teaser, der einen Ausblick (Roman hantiert mit einem Jagdgewehr) auf das Ende gibt und Spannung schüren soll, was angesichts eines Films, der alles andere als ein Thriller ist, merkwürdig wirkt. Aber auch während des Films werden immer mal wieder kurze Spannungsequenzen aufgebaut, die im Nichts enden, zudem gibt es ein paar kleine Ausflüge in psychologisierende, surreale Gefilde, die angesichts des sonst spröden, dokumentarischen Stils allerdings wie Fremdkörper wirken und inhaltlich wenig bereichernd sind.
Fazit: „Rivale“ weiß nicht so recht, was er will. Er mag sich nicht zum Drama bekennen und macht stattdessen immer wieder Ausflüge in Richtung Genrekino, ohne sich aber auch hierauf einzulassen. Zurück bleibt ein unentschlossenes Wabern. Dass der Film von Markus Lenz trotzdem nicht abstürzt, ist dem grandiosen, gerade mal neunjährigen Hauptdarsteller Yelizar Nazarenko zu verdanken, der eindrucksvoll deutlich macht, was es heißt, fremd zu sein.