AGENTINNEN MIT HERZ
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Tatsächlich? Wirklich noch ein Profikillerinnen-Action-Vehikel? Und wieder Frauen gegen Männer? Muss diese Schwarzweißmalerei denn wirklich sein? Die Filmbranche reizt das Thema der weiblichen Emanzipation auch im Actionfach mittlerweile so sehr aus, dass sich kaum jemand mehr nach ballernden Amazonen umdrehen will. In letzter Zeit sind es nicht mal mehr Einzelkämpferinnen wie gefühlt jeder zweite Film von Luc Besson, wie in Kate oder Code Ava oder wie sie alle heißen. Wir haben es nun mit wohlgecasteten Grüppchen zu tun, bevorzugt dogmatischen Killerorden angehörend, die gegen das böse Patriarchat aufbegehren, so gesehen in Gunpowder Milkshake. Auch in The 355 schließen sich vier Frauen zusammen, um den Männern zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wir wissen schließlich – sie können es. Ist daher der ganze Action- und Agentenschmafu demnach wirklich nur zum Gähnen? Nicht so sehr wie befürchtet. Und alle Achtung: Simon Kinberg entfernt sich in seinem femininen Schulterschluss von aus der Kindheit traumatisierten X-Chromosom-Kampfmaschinen und holt sich vier namhafte Schauspielerinnen ans Set, die als Agentinnen des jeweils anderen Geheimdienstes einfach nur ihren Job machen wollen.
Doof nur, dass sich alle vier (später sind es fünf) beim Versuch, einen Datenträger brandgefährlichen Inhalts einzukassieren, kontinuierlich in die Quere kommen. Da gibt’s den BND, die CIA und den MI6 – Penélope Cruz als Psychiaterin scheint nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, doch sie vertritt die kolumbianische Fraktion. Das Interessensnetz spannt sich also über den halben Erdball. Und die Sache wäre auch so gut wie ausgestanden, gäbe es nicht die Männerdomäne der Bösewichte, die damit einen Weltkrieg anzetteln wollen. Die vier unterschiedlichen Frauen schließen sich klarerweise bald zu einem Team zusammen, denn der Feind meines Feindes… eh klar. Und das ist auch schon die ganze Geschichte.
Relativ dürftig, um ehrlich zu sein. Doch seltsamerweise fällt diese Banalität weniger ins Gewicht, wenn man sich ansieht, wie herzhaft unprätentiös die vier Ladys – Jessica Chastain, Lupita Nyong’o, Diane Kruger und eben Penélope Cruz – die exponierten Skills resoluter Expertinnen mit einem langweiligen, aber glücklichen Privatleben vereinbaren wollen. Hier ist sich keine zu gut, um die Hilfe der anderen anzunehmen. Keine zu zynisch, um sich von irgendwelchen Fesseln befreien zu wollen. Dieser Umstand erdet The 355 zumindest ein bisschen. Was die dreistellige Zahl wohl bedeutet? Chastain, die den Film auch mitproduzierte, hat darüber Auskunft gegeben. 355 ist der Code der ersten weiblichen Agentin der USA, die im 18. Jahrhundert zur Zeit der Amerikanischen Revolution tätig gewesen war. Seit damals wird der Code immer wieder mal von Geschlechtsgenossinnen angewandt – und somit auch von den vier toughen Damen, die durchaus mal emotional werden oder sich durchaus mal gegenseitig mit der Waffe bedrohen können, das Herz aber am rechten Fleck haben. Diese Sympathie geht einigen Filmen ähnlicher Machart so ziemlich ab. Dort sind die Protagonistinnen unnahbare Ikonen, die nach ihrem Einsatz, so scheint es, lieber wieder auf ihren eigenen Planeten zurückkehren wollen. Chastain & Co allerdings scheinen den Feierabend auf der Couch allen militanten Selbstbehauptungen auf alle Fälle vorziehen zu wollen.
____________________________________________
Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!