Alligatoren sind die besseren Haie!
Von Christoph PetersenManchmal ist es doch ganz schön, wenn die Erwartungen im Kino enttäuscht werden. So bin ich (wie offenbar viele andere auch) nach dem Trailer von „Crawl“, in dem die Protagonistin gemeinsam mit einem ziemlich großen Alligator in einem überschwemmten Badezimmer eingesperrt ist, von einem augenzwinkernden Over-The-Top-Horror-Actioner ausgegangen. Und dass mit dem Franzosen Alexandre Aja („High Tension“) ausgerechnet der Mann hinter der splattrigen Bikini-Party „Piranha 3D“ für die Regie verantwortlich zeichnet, hat mich in dieser Annahme nur noch weiter bestärkt. Aber Pustekuchen: Der erste echte Gag ist die Wahl des launigen Bill-Haley-Songs „See You Later Alligtor“ als Abspannmusik! Statt als spaßiger Mini-„Meg“ erweist sich „Crawl“ nämlich als handwerklich hervorragender, angesichts der Alligatoren-Heerschaaren erstaunlich unironischer Katastrophen-Action-Horrorfilm, der zudem nicht nur an manchen Stellen ganz schön schmerzhaft, sondern vor allem verdammt spannend geraten ist.
Weil ihr Vater Dave (Barry Pepper) trotz Hurrikan-der-Stufe-5-Warnung einfach nicht an sein Handy geht, beschließt die Studentin Haley (Kaya Scodelario), den zweistündigen Unwetter-Roadtrip nach Florida in ihre Heimatstadt Coral Lake in Kauf zu nehmen und persönlich nach ihm zu sehen. Nicht einmal eine Straßensperre kann sie von ihrem Vorhaben abhalten. Nachdem Haley daheim zunächst nur auf den Familienhund trifft, hört sie plötzlich Radiomusik aus dem Kriechkeller (im Englischen „Crawl Space“, daher auch der Filmtitel): Dave wurde offenbar attackiert, er hat tiefe Bisswunden an der Brust und sein Bein ist glatt durchgebrochen. Als der Schwerverletzte langsam wieder zu Bewusstsein kommt, wird Haley erst das ganze Ausmaß der brenzligen Situation bewusst – denn offenbar sind Vater und Tochter nicht die einzigen hier unter im Keller, stattdessen hat sich noch ein ziemlich aggressiver Alligator in den engen Bereich unter dem Haus verirrt…
In der Regel nutzen Touristen die Schilder für Selfies - aber diesmal sollte man die Warnung tatsächlich ernstnehmen!
Statt einem Wackel-Elvis hat Haley in ihrem Auto einen Wackel-Hai, aus dessen Maul noch die Beine einer arglosen Schwimmerin herausragen. Makaber, aber irgendwie ganz niedlich. Nur eine Einstellung später fährt die Schwimm-Stipendiatin dann an einer Alligatorenfarm vorbei – und schon das Motiv der Werbetafel sieht tatsächlich furchteinflößend aus. Nach diesem Auftakt-Seitenhieb in Richtung Hai-Konkurrenz, die man in Anbetracht der anhaltenden Trash-Schwemme ja wirklich nicht mehr ganz ernstnehmen kann, muss „Crawl“ aber natürlich auch selbst erst mal liefern und beweisen, dass er das Maul nicht zu voll genommen hat. Aber keine Sorge: Nachdem er das tobende Hurrikan-Unwetter gleich zu Beginn nutzt, um dem Zuschauer klar zu machen, dass „Crawl“ schon auf einer handwerklichen und produktionstechnischen Ebene rein gar nichts mit Trash zu tun hat, zieht Alexandra Aja im beengten Keller-Setting mit seinen niedrigen Decken dann konsequent die Spannungsschraube an.
Dabei hält er offensichtlich nichts von der Idee, sein Filmmonster erst nach und nach zu enthüllen – stattdessen kracht direkt der erste Alligator in voller Pracht buchstäblich durch die Treppe (einer von vielen erfreulich wirkungsvollen Jump Scares). Dabei bekommt man direkt zu Anfang ein sehr gutes Gefühl für die schiere Kraft dieser Tiere: Ein Alligator packt Haley am Bein und klatscht sie immer wieder gegen eine Wand. Die Wunden sind klaffend und das Knacken, wenn Dave seinen glatt durchgebrochenen Schienbeinknochen wieder in den Körper hineindrückt, bekommt man anschließend ebenso wenig aus dem Kopf wie das schlürfend-schmatzende Geräusch der sich an Land fortbewegenden Alligatoren. Die Verbundenheit von Vater und Tochter aufgrund ihrer gemeinsamen Leidenschaft für das Wettkampfschwimmen ist thematisch naheliegend und erfüllt dramaturgisch ihren Job – viel wichtiger ist aber, dass die beiden echt was draufhaben und sich trotz schwerster Verletzungen nie wie Deppen benehmen. Sie sind eben nicht nur Frischfleisch, sondern ernstzunehmende Kontrahenten für die immer mehr werdenden Alligatoren …
Das Wasser steigt unaufhörlich weiter ...
… ganz im Gegensatz übrigens zu den ansonsten vorbeischneienden Personen, darunter Plünderer und Polizisten. Mit ihnen macht Aja in der Regel kurzen Prozess, oft verbunden mit kreativen Kameraeinstellungen (Highlight: der Anti-Ladendiebstahl-Deckenspiegel in einem Supermarkt) oder einer überraschenden Brutalität (Vierteilung zur Abwechslung mal mit Alligatoren statt Pferden). Das sind nicht nur für die hungrigen Tiere, sondern auch für den geneigten Zuschauer wohlschmeckende Snacks für zwischendurch, die dem zunehmend klaustrophobischen Horror im Keller aber zugleich nicht zu viel von seiner Intensität nehmen. Obwohl Aja alles andere als sparsam mit seinen Alligatoren-Auftritten umgeht, reicht schon nach einem Drittel des Films irgendwann nur noch der Blick von oben auf die dunkle, stille Wasseroberfläche, um eine richtig schön ungemütliche Atmosphäre zu erzeugen.
Und apropos Intensität: Die hat neben dem bodenständigen Badass-Schauspiel von Kaya Scodelario („The Maze Runner“-Trilogie) sicherlich auch eine ganze Menge mit der Animationsqualität der Alligatoren zu tun, die nicht nur verdammt echt aussehen, sondern sich für eine Produktion dieser günstigen Budgetklasse (Kosten = 13,5 Millionen Dollar) erstaunlich lebensecht bewegen. Man spürt tatsächlich ihre Schwere, wenn sie über festen Boden stapfen, und ihre Eleganz, wenn sie durchs Wasser gleiten und ihre Opfer mit einer tanzartigen Todesrolle nach unten ziehen. Nicht ganz so gut gelungen sind hingegen die CGI-Spinnen – aber die eine Szene ist auch so schon fies genug, um jeden Arachnophobiker in Richtung Herzinfarkt zu treiben.
Fazit: Ein Old-School-Tierhorror, der zur Abwechslung mal nicht mit augenzwinkernder Selbstironie, sondern mit einem konstant hohen Spannungslevel und handwerklicher Qualität überzeugt.