Die Unbestechlichen 2
Von Oliver KubeFünf Jahre ist es inzwischen her, dass die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey mit einer Reportage in der New York Times Harvey Weinstein, den wohl mächtigsten Hollywood-Produzenten der letzten Dekaden, zu Fall brachten. „She Said“ ist die Adaption des von Kantor und Twohey verfassten Sachbuches „#Me Too: Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“ (hier bei Amazon*), das ihre mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnete Arbeit dokumentiert und sich über weite Strecken wie ein Thriller liest.
Der erste US-Kinofilm der aus Hannover stammenden Regisseurin Maria Schrader („Ich bin dein Mensch“), die sich in Hollywood bisher vor allem mit ihrer gefeierten Netflix-Serie „Unorthodox“ einen Namen gemacht hat, ist dabei ein hochgradig spannendes und emotional mitreißendes Plädoyer für unnachgiebig die Wahrheit ans Licht zerrenden und dabei sauber recherchierten Investigativ-Journalismus. Damit steht „She Said“ in der Tradition von Titeln wie „Die Unbestechlichen“ oder „Spotlight“.
Es ist sicher kein Zufall, dass dieses Bild stark an eine ikonische Einstellung mit Dustin Hoffman und Robert Redford aus „Die Unbestechlichen“ erinnert.
Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) arbeiten als Journalistinnen in der Investigativ-Abteilung der New York Times. Als sie auf eine Meldung aufmerksam werden, laut der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein die bekannte Schauspielerin Rose McGowan in der Vergangenheit mehrfach sexuell belästigt und genötigt haben soll, beginnen sie zu recherchieren. Schnell stellt sich heraus, dass die „Death Proof“-Kinoheldin längst nicht die einzige war, der es so erging – und es geht auch nicht nur um aufstrebende Schauspielerinnen, sondern ebenso die weiblichen Angestellten seines global operierenden Indie-Studios Miramax.
Geschützt wird er dabei von einem System aus Vertuschung, Bestechung, Einschüchterung und Bedrohung, das es ihm erlaubt, immer weiterzumachen, ohne für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Reporterinnen setzen alles daran, zumindest eine der vielen betroffenen Frauen dazu zu bringen, sich offiziell zu äußern. Das würde womöglich andere ermutigen, es ihr gleichzutun. Aber das ist schwerer als man denken könnte, alle ihre Kontakte sind entweder zu traumatisiert, schämen sich wegen der Vorfälle oder befürchten berufliche Repressalien. Doch die von ihren Chef*innen (Patricia Clarkson, Andre Braugher) bedingungslos unterstützten Twohey und Kantor sind nicht gewillt, einfach so aufzugeben…
Es geht in „She Said“ weniger um die (zusätzliche) Verdammung von Harvey Weinstein, das ist ja auch gar nicht mehr nötig, sondern vor allem um eine Würdigung des Durchhaltevermögens der Journalistinnen sowie des Mutes der Frauen, die sich schließlich öffentlich zu Wort gemeldet haben. Dass das nicht nur kathartisch wirkt, sondern auch durchgehend fesselt, liegt vor allem an der starken handwerklichen Arbeit von Maria Schrader, ihrer Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz („Ida“) und ihres Chef-Cutters Hansjörg Weißbrich („Enfant Terrible“): Trotz der strengen Konzentration auf das journalistische Handwerk samt einer enormen Fülle an Informationen, Namen und Gesichtern laufen die vertrackten Recherchen ebenso flüssig wie übersichtlich ab.
Auch wenn angenommen werden muss, dass Weinstein zu Beginn der Handlung im Jahre 2016 seine Machtposition noch immer für sexuelle Übergriffe ausnutzte, liegen seine für die Recherchen entscheidenden Verbrechen bereits weiter in der Vergangenheit zurück. Dankenswerterweise verzichtet „She Said“ aber auf simpel-sensationslüsterne Rückblicke auf die Missbräuche, stattdessen nähern sich Schrader und Lenkiewicz den Vorgängen auf eine respektvolle und gerade deshalb so wirkungsvolle Weise: Wir sehen zwar ein paar kurze Flashbacks, aber diese zeigen nicht die Taten selbst, sondern lediglich ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Opfer.
Die Investigativjournalistinnen Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) haben mit ihren Recherchen die #MeToo-Bewegung mit ausgelöst.
Das Grauen wird allein mit Worten und den Gesichtern der eingeschüchterten Frauen vermittelt. Was allemal ausreicht und schrecklich genug ist. Besonders bemerkenswert ist hier Ashley Judd („Heat“), die sich als einzige der betroffenen Frauen selbst spielt. Auf herzzerreißende Weise durchlebt der Star das, was ihr geschehen ist, noch einmal für die Journalistinnen und damit auch für uns, die Zuschauer*innen. Ihren Augen und ihrer Körpersprache ist dabei unschwer anzusehen, dass mit diesen Erlebnissen etwas in ihr zerbrochen sein muss.
Es fällt dem einen oder der anderen womöglich jetzt schon schwer, Filme wie „Pulp Fiction“ oder „Shakespeare In Love“, bei denen gleich zu Beginn das Miramax-Logo aufpoppt, weiterhin unbeschwert zu genießen. Aber nach Ashley Judds Auftritt in „She Said“ dürfte es nahezu unmöglich sein, nicht daran zu denken, was insbesondere bei Filmen wie „Smoke - Raucher unter sich“, „Frida“ oder „Crossing Over“ hinter den Kulissen passiert sein mag.
Ähnlich berührende Auftritte absolvieren Samantha Morton, Angela Yeoh und Jennifer Ehle als gedemütigte, genötigte und missbrauchte ehemalige Angestellte von Weinsteins Studio Miramax. Ihre Szenen zeigen eindrucksvoll, dass sich das von dem Hollywood-Mogul aufgebaute, von einer Vielzahl nicht nur männlicher Steigbügelhalter*innen gestützte System nicht nur auf Schauspielerinnen beschränkte. Jede junge Frau, die für ihn arbeitete und damit abhängig von ihm war, war ein potentielles Opfer.
Die monatelange, oft frustrierende Ermittlungs- und Recherchearbeit wird angenehm nüchtern und gradlinig dargestellt. Die Chemie zwischen der sich zumindest nach außen emotional verhärtet gebender Twohey und der deutlich verletzlicher anmutenden Kantor wirkt jederzeit authentisch. Ihre Beziehung wächst von einer rein kollegialen Zusammenarbeit zu einer glaubhaften Vertrautheit und letztlich Freundschaft. Das Drehbuch gibt beiden Protagonistinnen ein wenig privaten Background, der sie uns als greifbare Menschen mit Ehemännern (Tom Pelphrey, Adam Shapiro) und Kindern, persönlichen Freuden und Rückschlägen, kurz gesagt mit einem Leben jenseits der Redaktionsräume wahrnehmen lässt. Dies erlaubt es Schrader sogar, ein paar leichtere Momente in diese oft bedrückende Geschichte einzuweben, ohne dass sie tonal deplatziert wirken würden.
Fazit: Ein journalistisches Thriller-Drama, das zum Nachdenken anregt und – nicht zuletzt dank großartiger Darsteller*innen – zugleich auch noch hervorragend unterhält.