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    The Salt Of Tears
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Salt Of Tears

    Alterswerk ohne Altersweisheit

    Von Lucas Barwenczik

    Man mag Philippe Garrel nicht so recht glauben, dass er wirklich noch neue Filme dreht. Sie wirken auf den ersten Blick immer eher, als hätte man einen sehr alten wiedergefunden, auf einem verstaubten Dachboden oder in einer verlassenen Lagerhalle. Sie haben etwas von Artefakten. Fossilien, die den Geist einer anderen Zeit versiegeln. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt. Wenn in „The Salt Of Tears“ eine Figur beiläufig erwähnt, es sei das Jahr 2019, mag man auch ihr nicht glauben. Nahezu nichts in der Welt des Films weist darauf hin. Doch obwohl für den französischen Regisseur die Siebziger nie ganz zu Ende gegangen sind, ist das Liebesdrama auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Altern. Sein Blick ist vor- und zurückgerichtet, Erinnerung und Gegenwart treffen aufeinander.

    Die Geschichte ist ungemein französisch (ja, es gibt auch eine ménage à trois): Luc (Logann Antuofermo) will Kunst-Tischler werden und dafür in Paris an der Ècole Boulle studieren. Schon auf dem Weg zur Aufnahmeprüfung verguckt er sich an einer Bushaltestelle in die junge Djemila (Oulaya Amamra). Nach der Prüfung kehrt er zurück zu seinem Vater und trifft in seinem verschlafenen Heimartort schnell auf seine Jugendfreundin Geneviève (Louise Chevillotte). Alte Liebe wird neue. Während er derart von einer Beziehung in die nächste stolpert, muss er sich auch damit arrangieren, dass die Krankheit seines Vaters (André Wilms) schwerer ist als zunächst angenommen…

    Träumerisches Schwarzweiß - der Film sieht sehr viel besser aus als er ist.

    Luc ist nicht die Art von Hauptfigur, mit der man gerne sonderlich viel Zeit verbringt. Er behandelt die Frauen in seinem Leben herablassend, er fordert von ihnen viel und gibt wenig zurück. Schon auf den geringsten Widerstand gegen seine Avancen reagiert er frustriert oder sogar zornig. Der Übergang zwischen Selbstbewusstsein und Dreistigkeit ist bei ihm fließend. Sein „flirten“ ist manchmal nicht weit von Stalking entfernt. Er ist damit trotzdem ungemein erfolgreich, sein Bett steht nie lange leer. Nur selten gerät er an die Falsche. Als er eine Frau offen durch die Straßen von Paris verfolgt, und dabei seine Schritte immer weiter beschleunigt, droht sie ihm schließlich, die Polizei zu rufen. Und Betsy (Souheila Yacoub) zieht ihn gegen seinen Willen in eine komplizierte Dreiecksbeziehung mit ihrem Arbeitskollegen Paco (Martin Mesnier).

    Ansonsten aber vollzieht er die Verführung wie sein Handwerk: ruhig, konzentriert und mechanisch. Mit einem klaren Blick für das Ziel, das er nie ganz aus den Augen verliert. Sowohl das Tischlern als auch seine ewige „Suche nach der wahren Liebe“ hat er sich bei seinem Vater abgeschaut. Beide sind Spiegelbilder des jeweils anderen. Als würde derselbe Mensch zwei Mal existieren, in verschiedenen Phasen seines Lebens. Luc sieht in dem einsamen alten Mann eine Zukunft für sich selbst. Für den Vater ist der Sohn eine Möglichkeit, noch einmal die eigene Jugend zu erleben. Luc will ihn beeindrucken, indem er die Universität besucht, die er immer besuchen wollte, aber dann doch nicht konnte. Der Vater hingegen will seinen Sohn auf den richtigen Pfad lenken – also nicht auf seinen. Womöglich findet sich der Regisseur in diesen Figuren wieder: Der begabte Handwerker, dem mancher Pfad versperrt geblieben ist. Der junge Mann, in dem seine Arbeit weiterlebt.

    Skizzenhafte Sexabenteuer

    Der Film bleibt eine Sammlung von lose verbundenen Elementen und Episoden. Eine große Leinwand voll von kleinen Skizzen, wie beiläufig hingepinselt. Es gibt ein Drehbuch, doch viele Szenen könnten ebenso gut improvisiert sein. „The Salt Of Tears“ wirkt frei, rau und ein wenig unfertig. Regelmäßige Voiceover ordnen die Fragmente und geben Einblick in Lucs Gefühlswelt. Vor der Leinwand empfindet er selten und wenig. Luc und sein Innenleben scheinen mit der Handlung wenig zu tun zu haben. Er steht immer außerhalb der Dinge, gleichzeitig aggressiver Eroberer und passiver Zeuge. Wenn es das französische Wort Ennui nicht gäbe, müsste man es für ihn erfinden. Der Sex lenkt ihn vor allem ab. Er verdrängt die diffuse Langeweile, den Lebensüberdruss. Natürlich auch die Angst vor dem Tod, sowohl vor seinem als auch vor dem seines Vaters.

    Dadurch, dass Garrel Gegenwart und Vergangenheit parallel existieren lässt, bekommt der Film eine seltsam träumerische Qualität. Man glaubt oft nicht, wie schnell und widerstandslos sich eine weitere Dame dem angehenden Kunst-Tischler zu Füßen wirft. Geneviève duscht mit offenem Fenster. Es ist eine Welt, beherrscht von den erotischen Fantasien der Männer. Dadurch geht die analytische, beobachtende Qualität verloren, mit der Regisseure wie Èric Rohmer oder der Südkoreaner Hong Sang-Soo an ähnliche Stoffe herangehen. Auch sie erzählen immer wieder von schwierigen Beziehungen und den Abgründen der menschlichen Sehnsucht. Nur, dass sie sich dabei selten so umfassend in den Träumereien ihrer eigenen Figuren verlieren. Man glaubt Garrel nicht, dass Menschen so funktionieren sollen.

    Grabmal statt Schatz

    Einige Szenen wirken gänzlich fehl am Platz, als entstammten sie einem anderen Drehbuch oder einem anderen Film. Einmal besucht Luc mit einer kleinen Gruppe von Freunden, zu der auch eine junge schwarze Frau gehört, einen Nachtclub. Zu sanftem französischen Chanson-Rock tanzen sie wie verirrte Elfen. Die Menschen nehmen sich auf der Tanzfläche an den Händen und tanzen im Kreis herum. Als sie gehen, werden sie von Betrunkenen rassistisch angefeindet. Eine Situation, die eine düstere, sozialrealistische Szene sein sollte, gerät zur eigenen Parodie. Sie steht verloren im Raum, ohne Bezug zu irgendeiner anderen Szene. Ohne Mehrwert oder auch nur Wert.

    „The Salt Of Tears“ will melancholisch zurückblicken, kippt aber immer wieder in selbstverliebte Nostalgie. Eigentlich spricht vieles für den Film. Die rustikal eingerichteten Schwarzweiß-Bilder. Einige gelungene erotische Szenen, die betören, ohne zu explizit zu werden. Der trockene Humor, das grundsolide Handwerk. Doch unterm Strich ist der Film zu wenig wie die Bergung eines lange verborgenen Schatzes und zu sehr wie die Exhumierung eines Grabmals.

    Fazit: Mit seinem 27. Film erfindet sich Philippe Garrel nicht neu – wie könnte er? Doch seinem Alterswerk fehlt die Altersweisheit. Man findet vieles, was man an diesen Filmen schätzt – und noch mehr von dem, was immer schon ein wenig ärgerlich bei ihm war.

    Wir haben „The Salt Of Tears“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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