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    Skin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Skin

    Was passiert mit den Tattoos, wenn man kein Nazi mehr ist?

    Von Michael Meyns

    So sehr Tattoos inzwischen auch gesellschaftsfähig geworden sind: Gesichts-Tattoos sind trotzdem noch einmal ein ganz anderer Schnack! Lässt man sich ausgerechnet dort tätowieren, wo es jeder jederzeit sehen kann, das Motiv das Gegenüber regelrecht anspringt, dann will man damit in der Regel der besonderen Treue zu einer Gruppe oder einer Lebenseinstellung Ausdruck verleihen – zumindest, wenn man sich nicht gerade im Vollsuff einen Penis auf die Stirn tätowieren lässt. Im Fall des Skinheads Bryon Widner war das die US-amerikanische Neonazi-Szene – und so wurde der eh schon schwierige Ausstieg für ihn noch einmal zu einer besonders schmerzhaften Prozedur, wie man nun in Guy Nattivs Drama „Skin“ buchstäblich hautnah miterleben kann. Besonders Jamie Bell als ehemals überzeugter Skinhead, der sein Leben ändern will, überzeugt in einem Film, der dramaturgisch ein wenig zu konventionell abläuft, um wirklich frische Einblicke in die Szene zu liefern.

    Viele Jahre lang war Bryon Widner (Jamie Bell, „Nymphomanic“) ein fester Teil der Hammer-Skins im amerikanischen Bundesstaat Ohio. Vom Anführer Fred „Hammer“ Krager (Bill Camp, „Midnight Special“) und dessen Frau Shareen (Vera Farmiga, „Conjuring – Die Heimsuchung“) wurde Bryon einst von der Straße geholt und zu eine Art Ersatzsohn. Die Nähe zu seiner neuen Familie manifestiert sich bei ihm nicht zuletzt in den zahlreichen Tattoos, die auch sein Gesicht fast vollständig bedecken. Doch angesichts immer neuer Gewalttaten gegenüber Schwarzen und Immigranten beginnt Bryon zunehmend an seinem gewählten Leben zu zweifeln. Als er bei einem Musikfestival die dreifache Mutter Julie (Danielle MacDonald, „Bird Box“) kennenlernt, erscheint ein anderer Weg plötzlich möglich. Doch erst mit Hilfe des schwarzen Aktivisten Daryle Jenkins (Mike Colter, „Luke Cage“) gelingt ihm schließlich der Bruch mit der Neonazi-Szene...

    Als vor gut 20 Jahren „American History X“ mit Edward Norton ins Kino kam, mutete ein amerikanischer Neonazi mit tätowiertem Hakenkreuz auf der Brust noch exotisch an. Inzwischen hat sich die Wahrnehmung von sogenannten White supremacists speziell in den USA jedoch gewandelt, zeigen Anschläge wie der in Charlottesville 2017 doch, dass sich diese Ewiggestrigen immer stärker fühlen, nicht zuletzt dank US-Präsident Donald Trump, der sie nur oberflächlich kritisiert. Da kommt ein Film wie „Skin“ eigentlich gerade recht, der mit Bildern einer Demonstration beginnt, bei der Neonazis America-First-Plakate schwenken, Shirts mit Blut-und-Ehre-Aufdruck tragen und sich mit Gegendemonstranten eine brutale Schlacht liefern. Wie man in so eine Szene reinrutscht, erzählt Guy Nattiv etwas unbeholfen über eine Nebenfigur, einen jungen Typen von der Straße, der vom Versprechen auf etwas Essen und vor allem eine Art Familie verführt wird. Man darf vermuten, dass es Bryon Widner einst ebenso ging, doch vom Entstehen seines Hasses und auch vom Innenleben der Szene erfährt man wenig.

    Stattdessen konzentriert sich der Israeli Nattiv, der hier seinen ersten in englischer Sprache gedrehten Film vorlegt, ganz auf den schwierigen Prozess des Ausstiegs. Warum es ausgerechnet diese Frau ist, die Bryon dazu veranlasst, sein bisheriges Leben zu überdenken, bleibt dabei wie so vieles offen. Man muss es wohl hinnehmen, ebenso wie den Wunsch Bryons, seine Familie hinter sich zu lassen, auch wenn sie ihn – wie er selbst oft betont – einst gerettet hat. Was dabei hilft, diese Drehbuchschwächen zu übersehen, ist vor allem die Performance des einstigen Kinderstars Jamie „Billy Elliot“ Bell. Mit ganzem Körpereinsatz, geschorenem Schädel und einem Gesicht, das großflächig mit martialischen Tattoos bedeckt ist, spielt sich Bell bisweilen in einen beeindruckenden Rausch aus Zweifeln und Selbsthass.

    Dass unter der harten Schale immer auch das zarte, verletzliche Wesen zu erkennen ist, das Bell zuletzt etwa auch in „Film Stars Don‘t Die In Liverpool“ zeigte, macht die Zerrissenheit Bryons spürbar und glaubwürdig. Wie der langwierige und offenbar sehr schmerzhafte Prozess des Entfernens der Tattoos ablief, der in „Skin“ nur angedeutet wir, kann man sich stattdessen besser in Bill Brummels „Hass auf der Haut“ ansehen. Diese Dokumentation ist eine sehenswerte Ergänzung zu „Skin“, der sich am Ende einfach zu sehr auf die Entwicklung seiner Hauptfigur beschränkt, um wirkliche Einblicke in die Neonazi-Szene liefern zu können.

    Fazit: Vor allem Jamie Bells Performance als von Zweifeln und Selbsthass geplagter Ex-Neonazi macht Guy Nattivs Aussteigerdrama „Skin“ sehenswert, selbst wenn es erzählerisch dann doch arg konventionell geraten ist.

    Wir haben „Skin“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.

     

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