Pandora bekommt Konkurrenz aus dem eigenen Studio
Von Björn BecherWeil die Schriftart so stark an den ikonischen Helden mit Hut und Peitsche erinnert, denkt man bei der Einblendung des Titels von „Strange World“ unweigerlich an die Filme mit Harrison Ford als Indiana Jones. Aber selbst wenn die in einem Prolog erzählte Vorgeschichte noch weitere Erinnerungen an den abenteuerhungrigen Archäologen weckt, sollte man sich nicht zu viel in diese Richtung erhoffen, denn sonst wird man womöglich enttäuscht. „Strange World“ ist erzählerisch ein sehr klassischer Disney-Familienfilm mit aufrichtiger Botschaft, der so auch passend in der Vorweihnachtszeit startet.
Die beiden im Mittelpunkt der Erzählung stehenden Vater-Sohn-Konflikte verlaufen in erwartbaren Bahnen und die Moral der Geschichte zeichnet sich schon früh ab. Die größte Stärke von „Strange World“ ist aber ohnehin das Visuelle: Der für „Baymax – Riesiges Robowabohu“ mit dem Oscar ausgezeichnete Don Hall und sein auch für das Drehbuch verantwortlicher Co-Regisseur Qui Nguyen erschaffen wie zuletzt auch schon bei „Raya und der letzte Drache“ eine eindrucksvolle Welt, die gerade im Kino ausgiebig zum Staunen einlädt. Wobei man korrekt sagen müsste, dass sie diesmal sogar gleich zwei atemberaubende Welten kreieren.
Die Clades erleben ein Abenteuer, welches die gesamte Familien zusammenbringt.
Komplett umschlossen von einem unüberwindbaren Gebirge fristet das Land Avalonia ein abgeschiedenes Dasein. Doch der legendäre Abenteurer Jaeger Clade (Stimme im Original: Dennis Quaid) ist fest entschlossen, herauszufinden, was hinter den schneebedeckten Gipfeln liegt. Er schleppt sogar seinen Sohn Searcher (Jake Gyllenhaal) mit auf die gefährliche Expedition, obwohl sich dieser mehr für die Landwirtschaft als für gefährliche Unternehmungen interessiert. Als Searcher tief in den Bergen eine Elektrizität erzeugende Pflanze findet, kommt es zum Zwist: Jaeger will weiter über die Berge, Searcher die Entdeckung zurückbringen.
25 Jahre später floriert Avalonia dank der Energie der zurückgebrachten Pflanze. Searcher arbeitet als Farmer mit seiner Frau Meridian (Gabrielle Union), übersieht dabei aber, dass sein Sohn Ethan (Jaboukie Young-White) nicht in seine Fußstapfen treten will. Als die Energie-Pflanzen von einer mysteriösen Seuche befallen werden und zu verrotten drohen, bittet Bürgermeisterin Callisto Mal (Lucy Liu) die Familie, tief ins Erdinnere zu reisen und dort nach der Ursache zu suchen. Dort finden die Clades eine in wundersamen Farben leuchtende, von verschiedensten Kreaturen bevölkerte Welt, in der wirklich alles zu leben scheint…
Gleich zwei Mal darf das Publikum in „Strange World“ über eine merkwürdige Welt staunen: Wenn wir nach dem 25-Jahre-Sprung zum ersten Mal das durch Searchers Entdeckung völlig veränderte Avalonia erblicken, quillt die Leinwand förmlich über von wunderbaren Ideen: Man kann so schnell gar nicht alle Arten erfassen, auf welche sich die Bewohner*innen hier ausschließlich mit Hilfe von Elektrizität ihr ganz eigenes Utopia aufgebaut haben – inklusive verschiedenster E-Autos und vor allem Fluggefährten. Man kann sich kaum sattsehen, bevor diese harmonisch-ökologische Traumwelt durch das noch spektakulärere Reich unter der Erde abgelöst wird.
Hier bewegen sich die absonderlichsten Wesen in glitzernden und funkelnden Farben, sodass man auch die komplette Laufzeit des Animations-Abenteuers damit verbringen könnte, einfach nur noch diese toll entworfene Welt zu bewundern. Und wenn nach einem Twist herauskommt, wohin es die Abenteurergruppe hier wirklich verschlagen hat, will man „Strange World“ eigentlich direkt noch einmal sehen. Denn erst dann wird wirklich klar, warum die Filmemacher*innen sich die Unterstützung eines umfangreichen Teams aus Wissenschaftler*innen gesichert haben, um diese „Strange World“ zu entwerfen – und es wird einem erst im Nachhinein so richtig bewusst, wie viele Anspielungen es da wohl noch zu entdecken gab.
Der abenteuerlustige Ethan findet in der wundersamen Welt schnell einen neuen Freund.
Dass „Strange World“ ein visuell so berauschendes Erlebnis ist, macht es ein Stück weit verschmerzbar, dass die Generationen-Geschichte dann doch sehr schematisch abgewickelt wird. Wie Jaeger und Searcher sowie Searcher und Ethan ihre Gegensätze überwinden, dürfte selbst ein junges Publikum nicht überraschen – zumal sehr viel dann auch noch deutlich ausbuchstabiert wird. Dies betrifft vor allem die Moral der Erzählung: In einem Meta-Kommentar regen sich Jaeger und Searcher gemeinsam darüber auf, dass es in Ethans Kartenspiel trotz lauter „Monstern“ keinen Bösewicht gibt. „Schlechtes Storytelling“ sei das, woraufhin der Teenager die beiden Erwachsenen zu den wahren Bösewichten erklärt – schließlich fällt ihnen bei den „Monstern“ der mysteriösen Welt, durch die sie da gerade reisen, auch erst mal nur das Töten ein.
Ein bisschen untergraben die Regisseure aber auch ihre eigene Botschaft. Da zeigen sie uns einerseits, dass Jaeger mit Machete und Flammenwerfer und Searcher mit Unkrautharke und Pestiziden doch irgendwie nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Nur wenige Sekunden nach Ethans Plädoyer für alles Lebende beschert man aber den beiden Erwachsenen ausgerechnet beim gemeinsamen Monster-Erledigen einen emotionalen Bonding-Moment. Das passt irgendwie nicht.
Mit Disney-typischen Sidekicks wie dem alles abschleckenden Familienhund und dem blauen Glibberkleckswesen Platsch werden solche erzählerischen Einbrüche mit einer ordentlichen Portion Humor aber schnell wieder ausgeglichen. Vor allem wird bei der rasanten Hatz, bei der hinter jeder Ecke auch eine neue visuelle Entdeckung lauert, ohnehin nicht innegehalten, sodass ein Gros des Publikums solche kleinen Widersprüche womöglich gar nicht bemerken wird.
Diese Rasanz geht im Finale dann aber auf Kosten der Dramatik. Denn dass die Clades hier etwas tun müssen, was zwar alternativlos erscheint, aber dennoch massive Konsequenzen hätte, wird zwar in Dialogen thematisiert, ein (eigentlich nur zu verständliches und logisches) Zweifeln gibt es aber nicht. Es wird genauso wie die Auswirkungen dieser Tat einfach überspielt. Da schien man sich nicht zu trauen, in einem Familienfilm zu tief in diesen komplexen Konflikt einzutauchen – dabei ist der brandaktuell und lässt sich einfach aus der fantastischen Welt des Films auf die reale Erde übertragen: Dort fällt es den Menschen eben gerade nicht so leicht, das zu tun, was vor allem Searcher Clade im Film ohne großes Zögern tut...
Fazit: „Strange World“ ist ein klassisches Disney-Familienabenteuer mit sehr modernen Botschaften, das neben der schieren visuellen Pracht aber auch etwas mehr erzählerische Tiefe hätte vertragen können.