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    Nope
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Nope

    Der weiße Hai in der Wüste

    Von Björn Becher

    Zu was für einer Marke der ehemalige Sketchshow-Comedian Jordan Peele als Regisseur nach gerade einmal zwei Filmen („Get Out“ und „Wir“) bereits geworden ist, zeigt schon das Marketing zu „Nope“: Der famose erste Trailer bietet neben ein paar schaurig-atmosphärischem Bildern vor allem den übergroßen Hinweis, dass wir es mit dem neuen Film von Peele zu tun haben. Über die Story wird hingegen quasi nichts enthüllt. Bei einer Marktuntersuchung zum US-Start gaben 56% der Kinogänger*innen den Namen des Regisseurs als Grund für den Ticketkauf an – eine herausragende Zahl, die sonst nur gestandenen Kultregisseuren wie Quentin Tarantino oder Wes Anderson vorbehalten ist.

    Dass viele Zuschauer*innen ins Kino gehen, ohne etwas von der Story zu wissen (selbst wenn sie fälschlicherweise glauben, dass sie nach dem angeblich zu viel enthüllenden zweiten Trailer bereits alles wissen), ist durchaus gewollt. Peele möchte sein Publikum mit „Nope“ überraschen und auf dem falschen Fuß erwischen – und daher empfehlen wir an dieser Stelle: Hört nach diesem Absatz mit dem Lesen auf, schaut „Nope“ im Kino und kommt erst dann für den restlichen Text zurück. Denn nur so bekommt ihr ein erneut extrem überraschendes, spaßiges und vor allem unglaublich bildgewaltiges Spektakel geboten, was zwar deutlich ans Billig-Kino und die B-Movies der 1970er angelehnt ist, aber einen allein schon visuell im Kino aus den Socken haut...

    Ein modernes Trio auf den Spuren von Brody, Quint und Hooper aus "Der weiße Hai"

    Vor einem halben Jahr sind plötzlich kleine metallene Gegenstände auf dem Gebiet der Ranch eingeschlagen. Eine Münze hat sogar den Besitzer Otis Haywood Sr. (Keith David) getötet. Dessen Geschäft, Pferde für Filmdrehs abzurichten und auszuleihen, läuft seitdem noch miserabler. Sein introvertierter Sohn OJ (Daniel Kaluuya) hält das Unternehmen nur noch notdürftig am Laufen, indem er nach und nach immer mehr Tiere an den Ex-Sitcom-Kinderstar Ricky Park (Steven Yeun) verkauft, der in der Nachbarschaft einen Western-Vergnügungspark betreibt.

    Weil sie im Gegensatz zu ihrem Bruder mit Menschen umgehen kann, hätte Em (Keke Palmer) womöglich das Zeug, neue Aufträge zu beschaffen. Doch sie hat ganz andere Pläne für ihr Leben und will berühmt werden. Gerade als sie eher widerwillig auf der Farm weilt, wiederholen sich die mysteriösen Phänomene – und OJ ist überzeugt, dass er für kurze Zeit ein UFO am Himmel gesehen hat. Em sieht ihre Chance gekommen: Eine hochauflösende Aufnahme eines realen UFOs würde genug Geld zum Erhalt der Farm und ihr eine Einladung in die Talkshow von Oprah Winfrey einbringen. Gemeinsam mit dem Elektronikmarktmitarbeiter Angel (Brandon Perea), der eigentlich nur ein paar Überwachungskameras installieren soll, aber sich einfach uneingeladen anschließt, starten sie das Unternehmen Money Shot...

    Was soll der blutige Affe?

    Wenn „Nope“ mit einem blutverschmierten Affen inmitten einer verwüsteten Sitcom-Kulisse beginnt, könnte man kurz denken, im falschen Film zu sitzen – schließlich soll es bei „Nope“ doch um irgendwas mit UFOs gehen. Und wenn die Szene dann zum Logo von Jordan Peeles Produktionsfirma, die ausgerechnet Monkeypaw heißt, überleitet, mag man die kurze Szene gar für eine scherzhafte Spielerei des Filmemachers halten. Doch wir können euch versichern: In „Nope“ ist zwar vieles enthalten, was Spaß macht – aber nichts davon ist einfach nur ein selbstreferenzieller Gag.

    Stattdessen sind schon diese kleine Momente Vorboten für das bisweilen an Bong Joon Hos „The Host“ erinnernde, aber vor allem an Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ angelehnte Spektakel, bei dem sicher nicht zufällig ein ungleiches Trio in den Kampf mit der Bedrohung zieht. Die kommt hier nur nicht aus der Tiefe des Wassers, sondern aus einer Wolke über der Wüste –schlägt von dort aus aber ähnlich erbarmungslos und mit einem vergleichbaren Heißhunger vor allem auf Tourist*innen zu.

    Was ist da oben am Himmel?

    Wie sein offensichtliches Vorbild Steven Spielberg versteht es auch Peele, mit Bildern zu erzählen und die erklärenden Dialoge zu reduzieren. Gerade hier ist „Nope“ am stärksten. Der Horror-Thriller wird mit seinen Sci-Fi-Anleihen, der ein oder anderen Abstrusität, dem Humor, der punktuell auch mal oberflächlich bleibenden Figurenzeichnung sowie fehlende Erläuterungen sicher auch ein paar Menschen vor den Kopf stoßen und dafür sorgen, dass einige kopfschüttelnd das Kino verlassen. Es dürfte sich trotzdem kaum jemand dem Sog dieser Bilder entziehen können.

    Der bislang vor allem als Stammkameramann von Christopher Nolan bekannte Schweizer Hoyte Van Hoytema („Interstellar“) variiert dabei verschiedenste Stile: Er kommt Figuren mit der Handkamera ganz nah und filmt aus der Luft die Weite der Landschaft. Wir erleben einen wilden Ritt auf dem Motorrad genauso wie längere statische Einstellungen. Ein großer Anteil der Szenen wurden dabei mit IMAX-Kameras gefilmt. „Nope“ gilt gar als erster Horrorfilm, bei diesem diese bis zu 40% mehr zeigenden und vor allem viel hochauflösenderen Kameras zum Einsatz kamen – und Peele ist sichtbar stolz darauf: Er lässt mit dem von Michael Wincott gespielten Kamera-Veteranen sogar eine Figur auftreten, die die Vorzüge der Technik anpreist – und versucht, das angebliche UFO mit einer alten analogen IMAX-Kamera einzufangen.

    Daniel Kaluuyas Augen habe ihre eigene Oscar-Kategorie verdient

    Die Bilder sind berauschend, doch es ist kein bloßes Abfeiern technischer Brillanz. Alles hat seinen Zweck. So unterstützen die Bilder die Schauspielleistungen. Sie lassen das mitreißende Spiel von Keke Palmer („Hustlers“) als nur selten stillstehende Em noch energetischer wirken. Und aus einer Körperpartie von Daniel Kaluuya („Black Panther“) als in sich ruhender, so leicht nicht in Aufregung zu versetzender OJ macht die Kamera fast noch einen eigenen Hauptdarsteller: Es ist beeindruckend, wie viel Peele nach „Get Out“ erneut nur über die großen, herausstechenden Augen seines Stars erzählt.

    Vor allem aber sorgt die Bildgestaltung auf gekonnte Weise für Spannung. Die Kamera bewegt sich so, dass wir uns vor allem im finalen Drittel immer wieder fragen, wo sich das mysteriöse Ding in der Luft gerade befindet. Gleichzeitig wird das Geschehen aber nie konfus und unübersichtlich. Selbst wenn es im Finale an verschiedensten Fronten ziemlich turbulent zugeht und ein ausgeklügelter Plan in Bewegung gesetzt wird, um das Money-Shot-Bild zu schießen, erkennt man stets, wo sich alle Figuren gerade befinden.

    Em will berühmt werden.

    Eines der eindrucksvollsten Bilder ist ein wahrer Blutregen, der sich über die Farm ergießt. „Nope“ ist gerade in solchen Momenten ein waschechter Horrorfilm. Doch immer wieder unterläuft Jordan Peele auch die typischen Genre-Konventionen. Gleich mehrfach macht er sich etwa über Jump Scares lustig: Wenn sich OJ in der Scheune von kleinen Alien-Wesen verfolgt sieht, ahnen wir angesichts der grotesken Kostümierung direkt, dass da wohl etwas ganz anderes dahintersteckt. Doch Peele hat einen ansteckenden Spaß dabei, die Szene auf die Spitze zu treiben.

    Doch so sehr man auch darüber lacht, wenn OJ mit einem kopfschüttelnden „Nope“ den Fehler vermeidet, das sichere Auto zu verlassen, so kalt erwischt es einen, wenn Peele seine unvermittelten Gewaltspitzen auspackt. Als zurück in die 1990er-Jahre gesprungen wird, um aufzulösen, was damals am Set der Sitcom „Gordy's“ wirklich passiert ist, entwickelt sich eine an die Nieren gehende Sequenz. Mit dieser beweist Peele, wie effektiv es im Horrorkino gerade sein kann, Dinge nicht explizit zu zeigen. Was passiert, als der von Performance-Capture-Veteran Terry Notary („Kong: Skull Island“) verkörperte Affe ausrastet, ist aufgrund eines teilweise verdeckten Sichtfelds nur in Ansätzen zu erkennen, größtenteils sogar nur zu hören. Doch gerade so entfaltet das Szenario seine ganze schockierende Wirkung.

    Kein Film von Jordan Peele ohne Sozialkritik

    Die Story rund um den Sitcom-Vorfall, der in der Welt von „Nope“ dazu geführt hat, dass keine Schimpansen mehr vor der Kamera eingesetzt werden, wirkt auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper. Von Peele wissen wir aber, dass Sozialkritik in seinen Filmen eine deutliche Rolle spielt. Auch wenn sie in „Nope“ weit stärker hinter dem Spektakel zurücksteckt als noch in „Get Out“ und „Wir“, unterstreicht Peele mit solchen Szenen seine Aussagen. Sie etablieren OJ und Ricky Park als Gegenpole. Der eine weiß, dass man ein wildes Tier niemals endgültig zähmen kann, der andere glaubt, dass er nun zu jedem eine spezielle Verbindung aufbauen kann, nur weil er einmal von einem verschont wurde.

    Es ist kein Zufall, dass in dieser Erzählung über das ungehemmte Streben nach Ruhm, das Verlangen nach einem Spektakel um jeden Preis und das Ausnutzen vermeintlich Schwächerer auch die Namen der berühmten Raubtierdompteure Siegfried und Roy fallen. Der insgesamt dann doch etwas unterbeschäftigt bleibende Steven Yeun („The Walking Dead“) ist als rücksichtsloser Showman, der sogar seine entstellte ehemalige Kollegin für den kurzen Applaus ausbeutet, so etwas ihr Wiedergänger.

    Fazit: Jordan Peele verbeugt sich mit „Nope“ vor billigen UFO-Verschwörungsfilmen und Monsterabenteuern, liefert dabei im selben Moment aber einen Film, der so bombastisch ausschaut, wie man es von einem modernen Blockbuster nur erwarten kann. „Nope“ ist so trotz kleiner Schwächen ein absolutes Must-See im Kino – und zwar auf einer größtmöglichen Leinwand mit dem bestmöglichen Soundsystem!

     

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