Pixars putzige Pubertätsparade
Von Sidney ScheringGelegentlich kommt es vor, dass zwei unabhängige Filme in einen Dialog miteinander treten. Etwa, als mit „Spider-Man: No Way Home“ und „Matrix: Resurrections“ kurz nacheinander Franchise-Fortsetzungen voller Meta-Referenzen erschienen, als wären sie zwei Teile eines Puzzles. Nun gibt es einen weiteren solchen Fall, wobei „Luca“ und „Rot“ sogar vom selben Studio kommen. Natürlich erzählen die beiden neuesten Pixar-Filme keine zusammenhängende Geschichte und ergeben dennoch einen inoffiziellen Zweiteiler. „Luca“ und „Rot“ eint nämlich nicht nur, dass sie Langfilmdebüts von Pixar-Regietalenten sind, die zuvor in Kurzfilmen persönliche Kindheitserfahrungen verspielt verarbeiteten.
Die Coming-of-Age-Komödie „Luca“ des aus Italien stammenden Regisseurs Enrico Casarosa erzählte von sich verwandelnden Seeungeheuern, um Selbstakzeptanz und Toleranz zu behandeln. Die kanadisch-chinesische Filmemacherin Domee Shi folgt nun mit „Rot“ und verquickt ebenfalls Aspekte einer Coming-of-Age-Komödie mit dem übernatürlichen Element der Verwandlung. Wo aber „Luca“ vom Anderssein handelt, dreht sich „Rot“ um das Aussöhnen von Generationenkonflikten in einer Migrantenfamilie und das Akzeptieren des eigenen Körpers. Das Ergebnis ist ein quirliger Animationsspaß, der in seiner Umsetzung aber hin und wieder pubertär-ungeschickt ins Stolpern gerät.
Die Pubertät kann peinlich sein.
Toronto, Anfang der 2000er: Meilin „Mei“ Lee (im Original: Rosalie Chiang) ist eine 13-Jährige wie viele andere – nicht superpopulär, aber ihre drei Freundinnen sind stets für sie da. Mei ist hibbelig und verspielt, hat aber eine schüchterne Seite. Die kommt zum Vorschein, wenn es um Jungs geht. Oder darum, ihrer Glucke von Mutter (Sandra Oh) Grenzen zu setzen. Als Mei in die Pubertät gerät, erfährt sie von einem ungewöhnlichen Familienerbe: Wann immer Mei gestresst, nervös oder überglücklich ist, verwandelt sie sich in einen großen Roten Panda. Was zunächst wie ein Fluch wirkt, könnte sich als Segen herausstellen – wären da nicht die Vorschriften ihrer Mutter, wie Mei mit ihrem inneren Flauschmonster umzugehen hat...
Während Casarosa in „Luca“ seine mit Fantasy-Element aufgepeppten Kindheitserinnerungen in ein Märchenitalien der 1950er bis 1960er verlegte, lässt Domee Shi, die mit Julia Cho („Fringe“) zudem das Drehbuch geschrieben hat, „Rot“ in ihrer Jugendzeit und langjährigen Heimatstadt abspielen. Das Lokal- und vor allem das Zeitkolorit rekreiert Shi mit bemerkenswerter Detailfreude – wer um die Jahrtausendwende Teenie war, wird unentwegt Dinge wiedererkennen, und die Kinder eben dieser Millennials werden sich von ihnen anhören müssen: „Ja! Genau so war das damals!“
Shi zündet die Nostalgiebomben nicht zum Selbstzweck, sondern unterstreicht mit ihrem verklärten Blick ins Toronto der Jahrhundertwende die Geschichte: Die (Jugend-)Kultur, in der sich Mei bewegt, befindet sich mit einem Bein in Ikonografie der 1990er-Jahre – von Tamagotchis bis Stickeralben. Doch mit einem Bein bewegt sie sich auf Dinge zu, die später Alltag werden sollten – wie etwa allgegenwärtige, kompakte Kameras und der ständige Drang, sich selbst zu inszenieren. Dieses „Zwischen den Welten“-Gefühl zeigt sich noch stärker in Meis Bemühungen, gleichzeitig ihr Ding durchzuziehen als auch die aus der alten Heimat mitgebrachten Familientraditionen zu ehren. Diese Motive der Übergangsphasen und des Weder-Fisch-noch-Fleisch-Gefühls gipfeln im übernatürlichen Element. Der Rote Panda dient als ebenso offensichtliche wie pfiffig gewählte Metapher für Pubertät: Plötzlicher Haarwuchs und das Erwachen gewisser animalischer Instinkte. Die Farbe Rot als Symbol für Zorn auf alles und jeden. Beschämt rot anlaufen. Und Rot wie Menstruation, die im Film beiläufig thematisiert wird, was einen wichtigen enttabuisierenden Schritt für Pixar darstellt.
Shi behandelt Meis Pubertätserfahrungen mit solider Situationskomik, in Form pointierter Fremdscham und mit einer guten Dosis pädagogisch aufgeladener Empathie: Das ältere Publikum kann erleichtert auflachen, wenn es an eigene, überstandene Peinlichkeiten zurückdenkt. Dem jüngeren Publikum vermitteln Shi und Cho, dass jede noch so monströs empfundene Lage vollkommen alltäglich ist. Der Rote Panda macht das Ganze auf putzige Weise verdaulicher, dient aber auch als kecke Abwandlung von Filmen wie „Teenwolf“ und Co., in denen die männliche Perspektive auf die Pubertät durch Werwolfmotive verarbeitet wird.
Der Panda sorgt für Chaos.
Mit der Tapsigkeit eines aufgescheuchten Roten Pandas hetzt „Rot“ somit durch generationen- und genderübergreifende Jugend-Ärgernisse, um sie dann auf ungewohnte Art abzuklopfen. Mal ist die Anwesenheit eines mimisch hyperaktiven Flauschmonsters ungewöhnlich genug, andere Male sorgt eher die weiblich-kanadisch-asiatische Perspektive für Frische, wurde sie doch in Film und Fernsehen bislang weitaus seltener bedient als die männlich-US-amerikanisch-weiße.
Mei dient dabei als gefällige Hauptfigur – ist vielleicht sogar zu gefällig: Sie ist quirlig, aber kleinlaut. Schräg, aber brav. Findet sich mal hip, mal uncool. Und so weiter... Das konstante „Weder/Noch“-Ausbalancieren geht weit über pubertäres Identitätschaos hinaus, stellt aber gleichzeitig enormes Identifikationspotenzial sicher. Die charakterlichen Widerhaken und Tiefen der spannendsten Pixar-Hauptfiguren bleiben so jedoch aus. Auch visuell ist das Konzept stärker als die Umsetzung:
Erneut versucht das Pixar-Team, den Hausstil mit Einflüssen aus Animes zu verquicken – bei „Luca“ waren es entspannte Studio-Ghibli-Glanzstücke, bei „Rot“ sind es Anime-Serien der 1990er und 2000er, die eine ähnliche unbändige Energie aufweisen wie Mei. Theoretisch ein cleverer Gedanke, das Ergebnis holpert allerdings. Die Szenen, in denen Mei wie auf Zuckerschock durch ihren Hormontrubel düst, sind spaßig und mitreißend. Aber in ruhigen Momenten gerät der Mix aus wirklichkeitsnahen Textur- und Fellsimulationen, karikierten Figuren voller filigraner Details und kreis- oder nierenförmigen, simpel animierten Anime-Mündern befremdlich.
Deutlich besser schlägt „Rot“ seine stilistische Brücken auf akustischer Ebene: Sowohl der launige Score von Oscar-Gewinner Ludwig Göransson („Black Panther“, „The Mandalorian“) als auch die als Hommagen an frühere Boybands dienenden Songs der Superstars Finneas O'Connell & Billie Eilish ergeben eine launige, peppige Geräuschkulisse für Meis liebenswürdig-peinliche Problemchen.
Party in "Rot". Die Musik stammt u. a. von Mega-Star Billie Eilish.
Deren Lösung kann sich emotional jedoch nur bedingt entfalten. Nicht nur, dass „Rot“ für Pixar-Maßstäbe recht simpel gestrickt ist und eine seiner Grundaussagen gar direkt zu Filmbeginn vorkaut: Während „Luca“ mit seinem deutlich weniger effekthascherischen Finale nah an den Gefühlswelten seiner Figuren bleibt, verliert „Rot“ vor Schluss den Fokus und mündet in ein holpriges, forciertes Action-Finale. Erst wenn die schleppend umgesetzte Zerstörungswut wieder für einen poetischen Einsatz seiner Metaphorik Platz macht, findet „Rot“ zurück zu seiner gewitzt-liebenswerten Seite.
Allerdings lässt „Rot“ dabei die Ausgewogenheit von „Encanto“ missen, in dem sämtliche Figuren vielschichtiger sind, als es eingangs den Anschein hat. In „Rot“ dagegen werden die eingangs messerscharfen Beobachtungen, befeuert durch eher schablonenhafte Nebenfiguren, gen Ende zunehmend simpler. Tragende Konflikte werden dann in einem hastigen Nachklapp als geklärt abgewunken. Dahingehend ist „Rot“ wieder das ergänzende Gegenstück zu „Luca“, der sich für das Aufarbeiten seiner Konflikte ausgiebig Zeit lässt – ganz im Sinne seiner gechillten Helden. „Rot“ spricht allerdings das, wofür seine Metaphorik steht, forscher als sein Vorläufer aus – ganz im Sinne seiner Protagonistin.
Fazit: Der 25. Pixar-Film wandelt Pubertätsproblemchen ebenso erfrischend wie plüschig ab und kann dank seines quirligen Energiebündels von Protagonistin packen. Doch während „Rot“ an der einen Stelle Tabus bricht, die längst gebrochen gehörten, halten ihn an anderer Stelle simple Nebenfiguren und ein holperndes Finale im Zaum.