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    Till - Kampf um die Wahrheit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Till - Kampf um die Wahrheit

    Ein grausamer Mord, der Geschichte geschrieben hat

    Von Michael Meyns

    Manchmal kann ein Bild den Lauf der Geschichte verändern. So wie das eines versklavten Afroamerikaners aus dem Jahr 1863, der auf den Namen „Gepeitschter Peter“ getauft wurde und dessen vernarbter Rücken die Stimmung endgültig zu Gunsten der Absolutionsbewegung umschwingen ließ (und mehr als 150 Jahre später den Anstoß für das Apple-Epos „Emancipation“ mit Will Smith lieferte). Oder eben das des toten Emmett Till, sein Gesicht zu einem undefinierbaren etwas aus Fleisch und Knochen zerstört, nachdem er von weißen Rassisten gelyncht wurde. Der Mord an Emmett Till war einer der grausamsten Momente in der an grausamen Momenten wahrlich nicht armen Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung – und steht nun auch im Mittelpunkt von Chinonye Chukwus „Till – Kampf um die Wahrheit“. Das Herz des Films ist dabei Emmetts Mutter Mamie Till-Mobley, die am Mord ihres Sohnes nicht verzweifelt, sondern ihn zu einem regelrechten Fanal umwandelt, der erst viele Jahre später zu einem Anti-Lynch-Gesetzt führen sollte.

    1955. Der 14-jährige Emmett Till (Jalyn Hall) und seine Mutter Mamie (Danielle Deadwyler) leben in Chicago, wo der Rassismus zwar spürbar, aber in der Regel nicht lebensbedrohlich ist. Ganz anders als im amerikanischen Süden, in Mississippi, wo die Verwandten der Familie leben und wo Emmett ein paar unbeschwerte Tage mit seinen Cousins verbringen will. Doch ein paar unbedachte Worte zu einer weißen Frau sind im rassistischen Süden genug, das Leben eines Schwarzen in Gefahr zu bringen: Emmett Till wird gekidnappt, gefoltert und ermordet, seine kaum zu identifizierende Leiche in einen Fluss geworfen. Der Anblick seines geschundenen Körpers ist für seine Mutter kaum zu ertragen, doch dann fällt sie eine historische Entscheidung: Sie verlangt, dass er in einem offenen Sarg aufgebahrt wird…

    Die Verabschiedung am Bahnhof ist das letzte Mal, dass Mamie (Danielle Deadwyler) ihren 14-jährigen Sohn Till (Jalyn Hall) lebend sehen wird.

    Im Gegensatz zu Deutschland ist es in den USA immer noch üblich, Verstorbene in einem offenen Sarg aufzubahren, um Angehörigen und Freund*innen die Möglichkeit zum Abschied zu geben. Im Fall des ermordeten Emmett Till wurde seiner Mutter abgeraten, an dieser Tradition festzuhalten – allzu verstörend erschien der Anblick des zerstörten Gesichts des ermordeten Jungen. Genau dieses Bild aber wollte Mamie Till jedoch der Welt zeigen, um allen, die den Rassismus Amerikas banalisierten klarzumachen, in welchem Land sie lebten. Es war der Moment, der Mamie Till von einer Mutter in eine Bürgerrechtsaktivisten verwandelte, die ihren Sohn nicht mehr nur als ihren kleinen Jungen, sondern als Mahnmal betrachtete.

    Obwohl das Leben für Emmett zunächst gänzlich unbeschwert zu sein scheint, lauert vom ersten Moment an ein Gefühl des Schreckens in den Bildern von „Till“, wenn der selbstbewusste Teenager die Warnungen seiner Mutter in den Wind schlägt: „Down there“, da unten, im Süden, läuft das Leben anders ab, dort müsse er sich als Schwarzer vorsehen, dort sollte er sich zurückhalten, versucht Mamie ihrem Sohn einzubläuen. Wenn sie ihn dann am Zug verabschiedet und ihren Verwandten, mit denen Emmett in den Süden fährt, das Versprechen abringt, auf ihren Sohn aufzupassen, dann weiß man, dass es das letzte Mal sein wird, dass sie ihn lebend sieht.

    Ein Blick auf den geschundenen Leichnam sagt alles

    Ein wenig dick aufgetragen wirkt das zwar in manchen Momenten, ein wenig grobschlächtig, wenn Emmett sich im Süden beim Baumwollpflücken ungeschickt anstellt, er seine immer ein wenig verängstigt wirkenden Verwandten nicht recht ernst nimmt. Doch spätestens in dem Moment seines „Vergehens“ wird auch Emmett klar, dass die Uhren im Süden anders ticken: In einem kleinen Laden wagt er es, mit der weißen Verkäuferin Carolyn Bryant zu plaudern, flirtet ein wenig mit ihr, pfeift ihr gar nach. Ihre Reaktion: Ein Gewehr ziehen und die voller Angst fliehenden Schwarzen zu bedrohen. Ein paar Nächte später dringen dann Bryants Mann und seine Komplizen, darunter sogar einige Schwarze, in das Haus von Emmetts Verwandten ein und entführen ihn.

    Wie er gefoltert und ermordet wird, sieht man zum Glück nicht, der Anblick seiner entstellten Leiche ist dann jedoch ein bewusst verstörender Moment, der die ganze Brutalität des Rassenhasses in den USA versinnbildlicht. Hunderte Menschen ziehen schließlich im Beerdigungsinstitut an Emmetts Leichnam vorbei, das Foto wird in Zeitungen weltweit gedruckt und wurde zum Fanal der Bürgerrechtsbewegung. Kaum vorstellbar, welchen Emotionen Mamie Till ausgesetzt war – und wie Danielle Deadwyler („The Harder They Fall“) diese emotionale Tour-de-Force verkörpert, ist die größte Qualität von „Till“. Selbst im unmittelbaren Moment, als sie von Emmetts Tod erfährt, bleibt sie beherrscht, hat ihre Emotionen im Griff. Nicht weil sie kalt wäre, sondern weil sie schmerzhaft gelernt hat, dass es für einen schwarzen Menschen im Amerika der 1950er Jahre besser ist, manchmal gar lebenswichtig, nicht zu zeigen, was man wirklich empfindet.

    Mamie nimmt den Kampf um die Wahrheit an – mit unerschütterlicher Miene.

    In einem der stärksten Momente des Films sitzt Mamie bei der Verhandlung gegen die Mörder ihres Sohnes im Zeugenstand. Im weißen, rassistischen Süden ist die Verhandlung eine Farce, die Wahrscheinlichkeit, das weiße Geschworene ihresgleichen verurteilen, tendiert gegen Null. Tatsächlich sieht sich Mamie selbst dem absurden Vorwurf ausgesetzt, dass sie den Tod ihres Sohnes nur vorgetäuscht habe, um die Lebensversicherung zu kassieren (da muss man fast zwangsläufig an heutige Verschwörungs-Profiteur*innen wie Alex Jones denken). Während der ganzen Szene bleibt die Kamera starr auf ihrem Gesicht, in dem es brodelt, weil es kaum fassen kann, was hier gerade passiert; das aber trotz allem beherrscht bleibt, so gut es eben geht.

    Gerechtigkeit gab es für Emmett Till durch den Prozess nicht, Gerechtigkeit wurde der schwarzen Bevölkerung im Lauf der nächsten Jahrzehnte nur langsam zuteil. Doch der Mord an Emmett Till, das Foto von seinem entstellten Leiche, der Aktivismus seiner Mutter, brachten die Zustände im amerikanischen Süden endgültig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mamie Till engagierte sich fortan in der Bürgerrechtsbewegung, die gerade in den 60er Jahren wichtige Erfolge erzielte. Doch erst Anfang 2022, also nur wenige Monate vor dem Release des Films, wurde ein Gesetz verabschiedet, das Lynchen als Hassverbrechen ächtet, der „Emmett Till Antilynching Act“ – und das zeigt, dass „Till“ zwar ein historischer Film sein mag, aber deshalb ist er offensichtlich kein bisschen weniger aktuell.

    Fazit: In ihrem mitreißenden Drama „Till – Kampf um die Wahrheit“ stellt Chinonye Chukwu die Ereignisse um den Lynchmord an Emmett Till nach, wobei sich vor allem die grandiose Danielle Deadwyler als die Mutter des ermordeten Teenagers unauslöschlich in das Gedächtnis der Zuschauenden einbrennt.

     

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