David Fincher nach „Sieben“ (1995) und „Fight Club“ (1999), Quentin Tarantino nach „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994), James Cameron nach „Terminator 2“ (1991) und „Titanic“ (1997) – Filmemacher, die mit ihren Werken riesige Gefolgschaften, Kult und/oder kommerziellen Erfolg nach sich ziehen geraten unter einen ganz besonderen Druck. Nämlich etwas machen zu müssen, das der Verehrung gerecht wird und die Waage irgendwie im Gleichgewicht halten muss zwischen dem, was beliebt und bewährt ist und dem, was neu ist und irgendwie seine künstlerische Berechtigung findet. Fincher ging mit „The Game“ (1997), bzw. „Panic Room“ (2002) zwei schmaler skalierte Thriller-Glanzstücke an, Tarantino macht sowieso sein ganz eigenes Ding und huldigte Blaxploitation-Queen Pam Grier mit „Jackie Brown“ (1997), Cameron bombte zwischendurch „True Lies“ (1994) raus und ließ sich nach dem erfolgreichsten Film aller Zeiten, „Titanic“, schließlich zwölf Jahre Zeit, um mit dem 3D-SciFi-Knüller „Avatar“ im Jahr 2009 zurückzukehren, nur um gerade mal sechs Wochen später seinen eigenen Rekord zu knacken. Alles recht passable Wege, um auf den Druck der Erwartungen zu reagieren.
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Der Engländer Guy Ritchie ging es nach seinem kultigen Erstling „Bube, Dame, König, GrAs“ (1998) anders an. Mit einem selbstverständlichen Mehr an finanziellen Mitteln reicherte er seinen britischen (Almost-)Nobody Cast mit einigen Namen aus Hollywood an und machte sich an die Verfilmung seines Drehbuches zu „Snatch“, das dem Vorgänger nicht bloß in Grundzügen ähnelt, sondern aus den exakt selben Zutaten ein beinahe identisches Gericht zubereitet und nur ein paar Gewürze variiert. Aaaaber: was zum faden, geschmacksfreien Selbstzitat hätte werden können schmeckt auch beim zweiten Mal noch ausgezeichnet, da Ritchie ganz genau wusste, wo er zu verfeinern, wo abzumildern und wo zuzufügen hatte. So wurde aus Snatch nicht weniger, als eines der besten auf einen schon großartigen Vorläufer folgendes Werk, bei dem in Sachen Tempo, Figuren, Schauspiel und Balance zwischen Humor und Härte wirklich alles stimmt.
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Boxpromoter Turkish hat ein Problem: kurz vor einem großen Kampf, den der Gangsterboss Brick Top organisiert, lässt sich Turkishs Partner Tommy mächtig abzocken und ihr Kämpfer Gorgeous George wird von dem Gypsy One Punch Mickey in einem barenuckle fight auf die Bretter geschickt. Um nicht als Futter für Brick Tops Schweine zu enden schicken Turkish und Tommy Mickey in den Ring. Der hält sich allerdings an keine Absprache… Währenddessen erbeutet Franky Four Fingers einen enormen Diamanten. An dem ist ebenfalls der Russe Boris The Blade interessiert und engagiert ein paar Gelegenheitskriminelle, bei deren Versuch, Franky in eine Falle zu locken, jedoch einiges schiefgeht. Zudem macht sich der Juwelier Avi Denovitz von New York auf den Weg nach London und heuert den Auftragskiller Bullet Tooth Tony an, um ihm bei der Suche nach dem Klunker zu helfen. Schon bald kreuzen sich die Wege von Schweinen und Diamanten…
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Klingt kompliziert und ist mit einem prinzipiellen Defizit an Durchblick auch fraglos kaum kopfschmerzfrei konsumierbar; damit aber nicht ausschließlich ein Publikum mit der Kombinationsgabe eines Meisterdetektives wie Sherlock Holmes seinem Buch folgen kann setzt Guy Ritchie voll auf seine schreiberischen und visuellen Fähigkeiten und eine Unzahl unwiderstehlicher Einfälle. Über ein Dutzend Londoner Unterweltler lässt Ritchie ihrem illegalen bis mörderischen Alltag nachgehen und pellt dabei ein Original nach dem anderen aus dem Ei. Standen bei „Bube, Dame, König, GrAs“ ausgerechnet die vier Hauptcharaktere etwas im Schatten der abgedrehten Nebenfiguren, könnte bei „Snatch“ jeder der Handlungsstränge samt jeweiliger Teilnehmer locker einen eigenen Film stemmen. Kern der Story sind der knochentrockene Turkish mit seinem übereifrig-paddeligen Kompagnon Tommy, die es mit dem fiesen Brick Top zu tun kriegen. Turkishs lakonischer Off-Kommentar stellt einige der Charaktere vor, die in einer virtuos geschnittenen Sequenz mitsamt Namenseinblendung mit kurzen Ausschnitten aus ihrem Tagewerk eingeführt werden. Ritchie beweist einmal mehr sein Talent im Schaffen von Wiedererkennungswert, ebenso wie bei seinem Erstling gelingt es ihm, seine Figuren derart klar umrissen auszustanzen, dass einem auch nach längerer Abwesenheit niemand aus dem Gedächtnis fällt.
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Am besten gelingt ihm dies mit einem wahren Geniestreich von einem Charakter. Turkish plant die Anschaffung eines neuen Wohnmobils und schickt Tommy zwecks Kauf in ein Zigeunerlager. Hinter einem Auto taucht der nuschelnde Gypsy Mickey auf und tritt mit seinem hibbeligen Gezappel und nahezu unverständlichem Kauderwelsch den Beweis an, dass sich die Filmpreisverleiher dieser Welt manchmal einmal zu oft irren. Neben der Nominierung für den Saturn Award nahm anscheinend niemand Notiz von der genialen Leistung, die Brad Pitt in diese geniale Figur investiert. Abgesehen davon, dass man den Megastar nie in einer witzigeren Rolle gesehen hat, steckt Pitt das sprichwörtliche Herzblut in eine ungeschminkt-dreckig-charmante Perfomance, die eigentlich so viele Supporting Actor-Preise wert gewesen wäre, wie überhaupt nur zu vergeben sind.
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Wo neben einer so übermächtigen Figur eigentlich alles andere verblassen müsste, was der Episodenstruktur natürlich in den Rücken fallen würde, schafft Ritchie die nötige Gleichberechtigung über die völlige Überzeichnung der Ereignisse, wobei sein Bravourstück darin besteht, einzelne haarsträubend verrückte Szenen im Sinne des Ganzen dennoch immer im Rahmen eines gewissen Grenzbereichs zu behalten. Diesen überschreitet Ritchie nicht einmal in irgendeine der sich reichhaltig anbietenden falschen Richtungen. „Bube, Dame, König, GrAs“ ging deshalb voll auf, weil er innerhalb des gezeichneten Milieus voll glaubhaft blieb und dies, nur einen Absatz höher angesetzt, gelingt auch bei „Snatch“. Ritchie lässt einen allumfassend in eine Welt eintauchen, in der Typen wie Boris The Blade oder Doug The Head absolut selbstverständlich existieren können, ohne dass man sich einmal dem Gefühl ausgesetzt sieht, hier eine konstruierte Schrägheit oder Absurdität vorgesetzt zu bekommen. Ritchie lässt jeder einzelnen seiner Figuren nur so viel Freilauf, wie er ihr bis kurz vor den Absturz ins Karikaturistische lassen kann. Was allerdings immer noch eine ganze Menge ist.
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Die Schauspieler nehmen diese kontrollierte Entfesselung mit sichtlichem Vergnügen entgegen. Dabei muss (und dürfte!) sich gar nicht jeder in vollkommener Extrovertiertheit austoben, mit der Pitt und Alan Fords als Brick Top auflaufen. Jason Statham macht mit seinen pragmatisch-abfälligen Kommentaren Richtung Tommy‘ Stephen Graham ebensoviel Laune, genau wie die wunderbaren Lennie James, Dayo Ade und Robbie Gee als trotteliges Räubertrio. Rade Serbedzija als unverwüstlicher Boris The Blade, Dennis Farina als magengeschwüranfälliger Cousin Avi, Benicio Del Toro als spielsüchtiger Franky Four Fingers und Vinnie Jones als coolste aller Säue Bullet Tooth Tony obendrauf.
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Im letzten Drittel nimmt die Story einige düstere Wendungen und auch der Gewalt- und Blutgehalt schwillt merklich an, dennoch (oder deshalb) ist der Film mit das unterhaltsamste, was man im Genre schwarzer Gangster-Komödien geboten bekommt. Eine Vorliebe für einen solchen Humor vorausgesetzt reiht sich hier ein Kalenderspruch an den nächsten (»You should never underestimate the predictability of stupidity«, »Save your breath for cooling your porridge«, »I'm gettin' heartburn. Tony, do something terrible«,…), wie in seinem Erstling geht Guy Ritchies mal wild treibende, mal zurückgelehnt smoothende Bildsprache während jeden Millimeters benutzen Zelluloids perfekt auf. Die Bilder, die Sprüche, die Schauspieler – „Snatch“ ist mit einmaligem Ansehen längst nicht genüge getan.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/01/27/classic-snatch/