Lovecraft im Leuchtturm
Von Christoph PetersenZwei Tage vor der Weltpremiere von Robert Eggers' Schwarz-Weiß-Horrormär „Der Leuchtturm“ im Rahmen des Filmfestivals in Cannes machte die Nachricht die Runde, dass (ausgerechnet) Robert Pattinson der nächste Batman werden soll. Die Reaktionen auf die Ankündigung fielen erwartungsgemäß zwiegespalten aus: Die einen halten die Besetzung eines glitzernden Vampirs als Dunkler Ritter für einen schlechten Scherz. Den anderen, die Pattinson eher durch seine Arbeit mit solchen distinguierten Regisseuren wie Werner Herzog („Königin der Wüste“), James Gray („Die versunkene Stadt Z“), David Cronenberg („Cosmopolis“), Claire Denis („High Life“) oder den Safdie-Brüdern („Good Time“) kennen, erscheint die Wahl hingegen nur logisch.
Nun wissen wir auch nach „Der Leuchtturm“ nicht, ob Pattinson in Matt Reeves‘ „The Batman“ tatsächlich brillieren wird. Wir wissen noch nicht einmal, ob der Film überhaupt in dieser Form jemals realisiert werden wird. Aber eines lässt sich nach Pattinsons erstaunlich körperlicher Tour-de-Force-Performance als langsam dem Wahn verfallender Leuchtturmwärter kaum noch zu leugnen: Wie seine „Twilight“-Partnerin Kristen Stewart hat sich auch der früher für seine vermeintlich limitierte Mimik belächelte Ex-Teenie-Star zu einem der herausragendsten und in seiner experimentierfreudigen Rollenwahl faszinierendsten Schauspieler seiner Generation weiterentwickelt. „Der Leuchtturm“ wird die Pattinson-Hater nun endgültig verstummen lassen (wenn sie ihn denn überhaupt gucken). Aber das ist längst nicht die einzige Stärke dieses lovecraftschen Abstiegs in den Wahnsinn.
Vom glitzernden Glanz früherer Blutsauger-Tage ist in Robert Pattinsons Gesicht nichts übrig geblieben.
Maine in den 1890er Jahren: Der erfahrene Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe) und sein gerade erst vom Holzfäller umgeschulter Gehilfe Ephraim Winslow (Robert Pattinson) treten ihre vierwöchige Schicht auf einem kleinen Eiland vor der Küste an. Obwohl im Handbuch eigentlich vorgeschrieben ist, dass sich die beiden bei den Schichten abwechseln sollen, lässt der alte Seemann seinen jungen Kollegen nicht zum Leuchtsignal in der Spitze des Turmes vor. Stattdessen muss Ephraim alle möglichen niederen Arbeiten verrichten. Die Spannungen zwischen den Männern nehmen immer mehr zu, werden aber zugleich auch von Momenten tiefer Intimität unterbrochen (vor allem wenn Alkohol fließt). Als die vier Wochen endlich vorüber sind, zieht ein harscher Sturm auf, der das Verlassen der Insel unmöglich macht. Womöglich sogar für Wochen und Monate...
Robert Eggers hat das Skript zu „Der Leuchtturm“ ursprünglich nur geschrieben, weil es mit seinem eigentlichen Herzensprojekt „The Witch“ einfach nicht voranging. Mit der auf eine kleine Insel beschränkten Schauermär, die nicht nur lose auf einem wahren Fall von zwei festsitzenden walisischen Leuchtturmwärtern aus dem Jahr 1801, sondern auch allerlei sonstigen Mythen und Legenden aufbaut, rechnete er sich hingegen bessere Chancen aus, weil sich diese notfalls auch mit weniger Geld realisieren ließe. Aber dann kam ja bekanntermaßen alles ganz anders: „The Witch“ wurde doch noch gedreht und avancierte nicht nur zum Kritikerliebling, sondern auch zum Kassenerfolg (mehr als 40 Millionen Dollar Einnahmen bei nur vier Millionen Dollar Budget). Damit standen dem Regie-Shooting-Star erst einmal alle Türen offen...
... und trotzdem ist Eggers erst einmal zu seinem einstigen Notfall-Projekt zurückgekehrt. Allerdings hätte „Der Leuchtturm“ wohl kaum so ausgesehen wie jetzt, wenn er tatsächlich schon vor ein paar Jahren als Debüt realisiert worden wäre (von der Besetzung mit zwei Hollywoodstars mal ganz zu schweigen). Eggers nutzt seine inzwischen gewonnene (finanzielle) Freiheit nämlich voll aus, um bei der Umsetzung seiner radikalen künstlerischen Vision keinerlei Kompromisse eingehen zu müssen. Erzählerisch erschafft er aus den aufgegriffenen und durch den Surrealismus-Mixer gejagten Mythen etwas ganz und gar Eigenes, verstörend Albtraumhaftes. Und inszenatorisch fällt der Gothik-Horror sogar im wahrsten Sinne des Wortes aus dem (Hollywood-)Rahmen:
Im quasi quadratischen 1.19:1-Format fühlt man die klaustrophobische Enge der Situation schon, bevor die beiden Wärter überhaupt auf der Insel eintreffen – und im Gegensatz zu „Mommy“, in dem Xavier Dolan das ungewöhnliche Format auch dazu nutzt, um es später von seinem Protagonisten plötzlich „aufschieben“ zu lassen, kann man in „Der Leuchtturm“ auf solche Durchschnauf-Momente lange warten. Der Film beginnt schon bedrückend und lässt die Bedrohlichkeit bis zum Abspann nur noch immer weiter anschwellen. Wenn sich der Bug des Bootes in einer der ersten Einstellungen den Weg durch die tobende See bricht, wähnt man sich direkt in einem – wenn auch grandios restaurierten – Stummfilmepos, rustikales Pathos inklusive. Das ist aber auch kein Wunder, denn gedreht wurde auf altem Schwarz-Weiß-35mm-Material mit antiquarischen Kameralinsen aus den 1930er Jahren. So einen Aufwand mag man in Zeiten moderner Digitalfotografie prätentiös, größenwahnsinnig oder gar affig finden. Aber er zahlt sich aus: Die zu gleichen Teilen wunderschönen und zutiefst verstörenden Aufnahmen der tosenden See und des kargen Felseilands gehören neben „Roma“ zu den stärksten Schwarz-Weiß-Bildern, die wir seit langer Zeit gesehen haben.
Während Robert Pattinson mit wildem Schnurrbart und ausgemergeltem Gesicht eine ihn piesackende Möwe (und damit auch seine Teen-Star-Image) solange wieder und wieder auf einen Felsen schlägt, bis er nur noch einen matschigen Stumpf in den blutigen Händen hält, spielt Willem Dafoe („Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“) mit seinen herrschsüchtigen Tiraden konsequent gegen seinen natürlich knorrigen Charme an. Allerdings lädt das Duo die eh schon bedrohliche Atmosphäre nicht einfach nur mit weiterer Intensität auf. Die beiden setzen den surreal-horrorhaften Bildern auch einen unerwarteten (wenn auch angemessen dunkelschwarzen) Humor entgegen. So rastet Dafoe als Thomas in einer der herausragenden (und herausragend lustigen) Szenen des Films völlig aus, weil Ephraim ausgerechnet seine Kochkünste nicht ausreichend zu würdigen weiß. Aber wer nach einem gefeierten Debüt wie „The Witch“ einen visuell (wenn auch nicht unbedingt thematisch) noch berauschenderen Zweitling wie „Der Leuchtturm“ nachlegt, hat eben auch gut lachen...
Fazit: Ein fantastisch fotografierter und grandios gespielter Abstieg in den Wahnsinn. Nicht nur für Fans von „The Witch“ und den mythischen Monsterwelten von H.P. Lovecraft, sondern für alle Freunde des auch ästhetisch ambitionierten Horrorkinos ein Muss.
Wir haben „Der Leuchtturm“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs gezeigt wurde.