Die abgeranzte Punkrock-Version von "A Star Is Born"
Von Daniel Fabian„Her Smell“ erzählt, ähnlich wie zuletzt „A Star Is Born“, vom Absturz eines Musikstars. Aber wo Bradley Cooper in seinem Regiedebüt sehr genau darauf achtet, seinem Publikum trotz Alkoholausfällen und Selbstmordgedanken bloß nicht zu viel zuzumuten, erweist sich der neue Streich von Indie-Ikone Alex Ross Perry („The Color Wheel“, „Queen Of Earth“) als ungebremster Schlag in die Magengrube: „Her Smell“ hält, was der Titel verspricht – und entpuppt sich als das nach Kotze, Schweiß und Rauch stinkende Gegenstück zu Coopers wohldosiert abgründigen, aber trotzdem irgendwie die ganze Zeit nach frischen Rosen duftenden Hollywood-Hochglanzversion.
Bereits zum dritten Mal besetzt Perry dabei „The Handmaid’s Tale“-Star Elisabeth Moss, die als schmerzhaft selbstbezogene, konstant zugedröhnte Rockröhre mit ihrem – nicht nur bisweilen unbequem - intensiven Spiel praktisch jede Szene unweigerlich an sich reißt. Wie ein schwarzes Loch saugt sie alle Aufmerksamkeit in sich auf, selbst wenn man als Zuschauer genug von ihr hat, wird man sie einfach nicht los. Worauf Perry im Gegensatz zu seinen bisherigen Filmen hier allerdings komplett verzichtet, sind die – wenn auch oft bitter-sarkastischen - heiteren Zwischentöne, die dazu geführt haben, dass seine Filme wie „Listen Up, Philip“ oder „Golden Exits“ immer wieder – zu Unrecht – mit den leichtfüßig-verschrobenen Komödien von Woody Allen verglichen werden. „Her Smell“ hingegen ist kompromisslos, dreckig und rau, in Sachen Atmosphäre und Intensität irgendwo zwischen „Green Room“ und Gaspar Noé.
Alles andere als eine Sympathieträgerin: Elizabeth Moss als Becky Something
Wenn Becky Something (Elisabeth Moss) früher auf der Bühne stand und das Publikum ekstatisch ihren Namen rief, wusste sie: Sie hat es geschafft! Inzwischen ist die Leadsängerin der Punkrock-Band Something She allerdings zum Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Sie versinkt in Drogen und Alkohol, verliert jeglichen Bezug zur Realität. So droht sie nicht nur ihre Band-Mitglieder und Freundinnen Marielle (Agyness Deyn) und Ali (Gayle Rankin), sondern auch ihre Tochter aus ihrem Leben zu vergraulen. Denn weder ihr besorgter Ex Danny (Dan Stevens) noch ihre Mutter (Virginia Madsen) scheinen noch zu ihr durchzudringen ...
In nur fünf ausgedehnten Szenen (bei einer Laufzeit von mehr als zwei Stunden) erzählt Alex Ross Perry elliptisch vom tiefen Fall vom (Punk-)Olymp und dem Kampf, der Spirale aus Drogen- und Alkoholmissbrauch zu entkommen. Dabei werden die einzelnen Kapitel durch verwackelte Heimvideoaufnahmen aus harmonischeren Zeiten voneinander abgetrennt. Wenn sich Beckys selbstzerstörerischer Charakter gleich in der ersten Szene schmerzhaft offenbart, werden ihre Hasstiraden gegen ihre Bandkollegen, Freunde und Verwandte von der Kamera mit vielen Close-ups und raschen Schwenks eingefangen, die an alte Rock-Dokumentationen erinnern. Zwischen den teilweise unverständlichen Beleidigungen setzt Becky ein Lachen auf, das em ehesten noch an das ikonische Joker-Grinsen von Heath Ledger erinnert. Becky ist anders als Bradley Coopers saufender Jack definitiv keine Figur, mit der man gerne mehr Zeit verbringen möchte.
„Her Smell“ gleicht einem zügellosen Rausch, impulsiv und voller unkontrollierbarer Energie. Das macht es nicht immer leicht, sich auf den Film einzulassen. Mal gibt Becky auf der Bühne Vollgas, nur um im nächsten Moment regelrecht apathisch zu wirken; sie vernachlässigt nicht nur ihre Mutterpflichten, sie tritt sie regelrecht mit Füßen, um sich stattdessen im Backstage-Bereich schamanischen Ritualen hinzugeben. „Her Smell“ reißt den Zuschauer ohne Vorwarnung vom einem Extrem ins nächste, lässt ihn dabei am eigenen Leib spüren, was im Kopf des verzweifelt-manischen Punkrock-Genies vorgeht.
Elizabeth Moss wird zur sinnbildlichen Verkörperung jenes wahnsinnigen Chaos‘, das Beckys Leben nach und nach verschlingt. Ein Paukenschlag folgt auf den nächsten, sodass kaum genug Zeit bleibt, um diese überhaupt zu verarbeiten. Stattdessen wird der Zuschauer in das absurde Rockstar-Leben geworfen wie ein gefrorenes Steak in die heiße Pfanne. Das ist konsequent und wirkt authentisch, ist aber nicht immer angenehm. Das Erschreckende daran: Selbst in den verrücktesten Momenten beschleicht einen das Gefühl, dass sich das alles hinter der einen oder anderen Rockstar-Bühne tatsächlich so oder zumindest so ähnlich zuträgt.
Dass der Film trotz einiger Längen stets interessant bleibt, ist vor allem Elisabeth Moss zu verdanken. Ihrer elektrisierenden Darbietung kann man sich einfach nicht entziehen, selbst wenn man gerade in der ersten Hälfte des Films möglichst wenig mit ihrer Figur zu tun haben will. Der absolute Höhepunkt ihrer Performance ist schließlich ein rührendes, fast vierminütiges Solo am Klavier – ganz ohne Schnitt. Plötzlich fühlen wir für diese Becky Something – nach allem, was sie ihrer Umwelt und ein Stück weit auch uns zuvor angetan hat. Und das einfach nur wegen dieser Performance – und nicht wegen eines der typischen Drehbuchtricks.
Fazit: „Her Smell“ ist die konsequent kitschbefreite, schön abgeranzte Punkrock-Version von „A Star Is Born“, die einen den Cocktail aus Schweiß, Tränen und falschen Entscheidungen förmlich riechen lässt – eindringlich, roh, impulsiv und stellenweise schwer verdaulich, aber allein schon wegen Elisabeth Moss‘ kompromissloser Performance sehenswert.