Ein Film wie eine warme Umarmung
Von Christoph PetersenDer 2003 verstorbene Fred Rogers ist, ohne jede Übertreibung, der vermutlich netteste, freundlichste, einfühlsamste Mensch, der jemals auf diesem Planeten gelebt hat. In den USA gilt Rogers, der von 1968 bis 2001 im öffentlichen Fernsehen die Kindersendung „Mister Rogers' Neighborhood“ moderierte, längst als nationales Heiligtum – der 2018 entstandene „Won’t You Be My Neighbor?“ über sein Leben und Wirken avancierte an den US-Kinokassen gar zur erfolgreichsten Biographie-Doku aller Zeiten. In Deutschland kennt den Mann, der bereits 1969 TV-Geschichte schrieb, als er selbst die hartgesottenen Politiker eines Senatsausschusses in Washington mit seiner Leitphilosophie zu Tränen rührte, hingegen noch so gut wie niemand.
Es ist fraglich, ob „Der wunderbare Mr. Rogers“ von Marielle Heller an diesem bedauernswerten Umstand groß etwas ändern wird – schließlich ist es nicht einfach, Zuschauer für einen Film über einen Mann zu begeistern, von dem sie noch nie etwas gehört haben. Aber alle, die trotzdem reingehen, werden sofort verstehen, warum dieser Fred Rogers als ein solch besonderer Mensch gilt – denn Tom Hanks, der für diese Rolle zum ersten Mal seit 19 (!) Jahren wieder für einen Oscar nominiert wurde, verkörpert den Moderator und Puppenspieler mit einer solch warmen und einnehmenden Ausstrahlung, wie es in Hollywood neben ihm wohl sonst kein zweiter hinbekommen hätte. Und trotzdem bleibt die Doku „Won’t You Be My Neighbor?“ letzten Endes doch der bessere Film.
Der Graben zwischen dem Journalisten Lloyd Vogel (Matthew Rhys) und seinem Vater (Chris Cooper) scheint längst unüberwindbar.
Als knallharter Investigativ-Journalist ist Lloyd Vogel (Matthew Rhys) schon von Berufswegen ein absoluter Zyniker. Als er von seiner Chefin beim Magazin Esquire den Auftrag erhält, ein Kurz-Porträt über den Kinderfernseh-Moderator Fred Rogers (Tom Hanks) zu schreiben, nimmt er sich deshalb auch direkt vor, die allzu perfekte Fassade vom immer einfühlsamen Menschen- und Kinderfreund mit einzureißen. Aber statt Leichen im Keller entdeckt Lloyd, dass Fred Rogers tatsächlich so unendlich empathisch ist, wie er sich in seiner Vorschulfernsehsendung gibt – und dieses Einfühlungsvermögen nutzt der Moderator auch direkt, um seinem Interviewer beim schwierigen Verhältnis zu seinem todkranken Vater Jerry (Chris Cooper) zu unterstützen…
Es macht eigentlich total Sinn, dass Marielle Heller („Can You Ever Forgive Me?“) sich gegen ein klassisches Biopic entschieden hat – schließlich gab es all die Infos ja wie gesagt schon ein Jahr zuvor in dem Doku-Megahit „Won’t You Be My Neighbor?“. Dafür, dass den Film hierzulande kaum jemand gesehen hat und man als deutscher Zuschauer vermutlich gern noch viel mehr über Fred Rogers erfahren hätte, können Heller und das Autoren-Duo Micah Fitzerman-Blue & Noah Harpster („Transparent“) ja nichts. Stattdessen basiert das Skript auf dem 1998 real erschienenen Magazinartikel „Can You Say... Hero?“ – und Tom Hanks spielt als Titelheld nur eine Nebenrolle, während der Journalist Lloyd Vogel als eigentlicher Protagonist auftritt.
Und an der Stelle muss ich mal ein persönliches Geständnis ablegen – denn ich kann den anfänglichen Zynismus von Lloyd perfekt nachvollziehen: Als ich mir vor zwei Jahren „Won’t You Be My Neighbor?“ angesehen habe, wusste ich vorher ebenfalls absolut nichts über Fred Rogers – und habe den ganzen Film auf den unumgänglich scheinenden „Skandal“ gewartet, der doch da jetzt in der Doku noch irgendwann kommen muss, denn derart herzensgut kann doch nun wirklich niemand sein. Aber Pustekuchen! Der Skandal blieb aus und ich bin inzwischen ein absoluter Fan.
Aber darüber hinaus erweist sich dieser Lloyd Vogel mit seinen dann doch recht typischen familiären Problemen nicht unbedingt als die allerspannendste Filmfigur – wenn er von einem Treffen mit Fred Rogers zu seiner Frau Andrea (Susan Kelechi Watson) und seinem kleinen Baby zurückkehrt, dann sind das doch eher die gewohnten Konflikte und Einsichten, die da in seinem New Yorker Appartement abgearbeitet werden. Da wünscht man sich eigentlich jedes Mal sofort, dass der Journalist möglichst schnell wieder nach Pittsburgh reist, um sich dort in den WQED-Studios seine nächste Lebenslektion von Mr. Rogers abzuholen …
Immer auf Augenhöhe mit seinen jungen Zuschauern: Fred Rogers (Tom Hanks).
… schließlich ist Tom Hanks in der Rolle auch einfach eine Sensation. Der zweifache Oscargewinner (für „Philadelphia“ und „Forrest Gump“) trifft nicht nur die Manierismen des im ersten Moment durchaus ein wenig skurril wirkenden Mannes, sondern eben vor allem auch sein unendlich scheinendes Einfühlungsvermögen: In seiner TV-Sendung war Fred Rogers stets darum bemüht, dass sich jedes einzelne Kind vor dem Fernsehapparat ganz persönlich von ihm angesprochen fühlt – und wenn Marielle Heller nun während der Dialoge eine Totale von Hanks Gesicht zeigt, dann gelingt ihm genau das nun auch mit seinem (wohl größtenteils erwachsenen) Kinopublikum.
Zudem sind die Szenen im Studio auch die inszenatorisch spannenderen – nicht nur sind die Ausschnitte aus „Mister Rogers' Neighborhood“ stimmig auf alt getrimmt, die Kamera fährt auch immer wieder in dem Modellnachbau der titelgebenden Nachbarschaft herum. Das kulminiert schließlich sogar in einigen geradeheraus surrealen Szenen, wenn sich Lloyd auf einmal selbst in seinen Träumen in dem TV-Set wiederfindet – als plötzlich klitzekleiner Wicht zwischen sprechenden Puppen auf einem Schloss aus Pappmaschee. Das klingt jetzt nach einem Moment wie aus einem Albtraum – aber in der Nachbarschaft von Mr. Rogers, durch die in diesem Jahr übrigens auch schon Janelle Monae ganz zu Beginn ihrer Auftaktnummer bei der Oscarverleihung getanzt ist, fühlt man sich dennoch sofort willkommen und geborgen.
Fazit: Ein ganz wunderbar-warmherziger Film über einen Mann, den hierzulande zwar niemand kennt, den aber jeder kennen sollte – die Welt wäre dann vermutlich ein besserer Ort.