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    Cobain
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Cobain
    Von Björn Becher

    Namen spielen eine große Rolle in „Cobain“. Das fängt schon beim Titel an, denn damit ist nicht etwa Nirvana-Frontmann Kurt Cobain gemeint, sondern die 15-jährige Hauptfigur, die von ihrer musikbegeisterten Mutter nach dem Grunge-Idol benannt wurde. Für den Teenager ist der Name allerdings eine Belastung: Wer will schon wie jemand heißen, der sich eine Schrotflinte in den Mund gesteckt und abgedrückt hat? Cobain wiederum spricht seine Mutter immer nur mit ihrem Vornamen Mia an und niemals als „Mama“. Diese Bezeichnung verweigert er ihr, schließlich ist sie als Mutter kaum für ihn da. Die für ihre Filme „Brownian Movement“ und „Oben ist es still“ vielgefeierte niederländische Regisseurin Nanouk Leopold erzählt in „Cobain“ sehr eindringlich – und im Finale auch sehr drastisch – von einer extrem schwierigen Mutter-Sohn-Beziehung. Am stärksten ist das Drama dabei, wenn die Bilder und nicht die Worte dominieren.

    Cobain (Bas Keizer) ist ein Junge ohne richtiges Zuhause. Seine drogensüchtige und erneut schwangere Mutter Mia (Naomi Velissariou) kann sich nicht angemessen um ihn kümmern. Daher wird Cobain mal hier, mal dort untergebracht, aber auch das Leben in einer Pflegefamilie erweist sich nicht als Lösung. Schließlich landet der 15 Jahre alte Junge bei dem Zuhälter Wickmayer (Wim Opbrouck) und seinen Mädchen. Er geht dem Mann, der einst auch Mia unter seinen Fittichen hatte, für einige Zeit zur Hand und macht selbst seine ersten sexuellen Erfahrungen. Doch nach und nach wird Cobain klar, auf welch selbstzerstörerischem Weg sich seine Mutter mit ihrem ungeborenen Kind befindet. Er greift zu einer radikalen Maßnahme…

    In einer der stärksten Szenen von „Cobain“ entdeckt der Protagonist, dass die Prostituierte Adele (Dana Marineci) Geld beiseitegelegt und gespart hat. Sie fühlt sich ertappt, Panik steht ihr im Gesicht. Was er wolle, fragt sie ihn. Einen Schnitt später sehen wir, wie sich beide in einem Zimmer entkleiden. Es kommt zum Sex. Dieser Szene fehlt trotz vorheriger Andeutungen gegenseitiger Gefühle nicht nur jegliche Romantik, sondern es gibt auch kaum Erklärungen für das Verhalten der Figuren. Warum hat Cobain vorher mit Frauen-Make-up herumexperimentiert und trägt die Reste noch im Gesicht? Wovor hat Adele genau Angst? Und was bewegt die beiden hier? Nanouk Leopold erläutert nicht. Sie lässt uns einfach erleben.

    Solche starken, vieldeutigen Momente hat „Cobain“ viele. Immer wieder folgen Leopold und ihr Kameramann Frank van den Eeden („Die Behandlung“, „Fliegende Herzen“) ihrem Protagonisten dabei ganz nah mit der Handkamera, verengen so den Blickwinkel, filmen ihm quasi über die Schulter. Lange Zeit beobachten wir nur, wie der Junge so von einer Lebenssituation in die nächste schlittert, eine Erzählung im herkömmlichen dramaturgischen Sinne schält sich erst im finalen Drittel heraus. Doch das ist kein Schwachpunkt – ganz im Gegenteil, denn über für sich stehende Bilder und Impressionen geht es tief hinein in die Welt des Jungen. Als Problem erweisen sich dagegen die Worte: Wenn in „Cobain“, mit dem Leopolds langjährige Produzentin Stienette Bosklopper ihr Drehbuchdebüt gibt, gesprochen wird, wirkt das zu oft aufgesetzt.

    Fast schon exemplarisch für diese Diskrepanz zwischen Wort und Bild steht Hauptdarsteller Bas Keizer. Der quasi vom Schulhof gecastete Jugendliche ist in seinem Leinwanddebüt optisch die Idealbesetzung für Cobain. Das ungemein zarte Äußere steht in wirkungsvollem Kontrast zu den harten Dingen, die der Junge schon erleben musste. Außerdem bringt Keizer mit seiner Mimik überzeugend die widersprüchlichen Gefühle seiner Figur zur Geltung: die Wut, die er auf seine Mutter hat, zugleich aber auch die Sorge um diese (oder nur um das Baby?), die ihn umtreibt. Immer wieder enden Szenen mit einer ausdrucksstarken Nahaufnahme seines Gesichts. In den Dialogszenen dagegen merkt man Keizer seine fehlende Erfahrung mehrfach an, der Tonfall wirkt oft seltsam und vor allem ungewollt monoton.

    Lange Zeit steht klar Cobain im Mittelpunkt, Mia-Darstellerin Naomi Velissariou („Out Of Love“), die eigentlich am Theater tätig ist, bekommt erst im letzten Filmdrittel ausführlichere Gelegenheit, sich zu zeigen. Als sich der Mutter-Sohn-Konflikt nach der zuvor teilweise nur schwer greifbaren Irrfahrt des Titelhelden entlädt und „Cobain“ eine radikale Wendung nimmt, schlägt ihre große Stunde. Wir wollen dazu nicht zu viel verraten, aber Nanouk Leopold stellt das Publikum hier mit drastischen, schwer verdaubaren und erschütternden Szenen auf eine echte Probe. Doch diese harten Momente gefolgt von im Kontrast fast wunderschönen Bildern sind der perfekte Schlusspunkt für einen unbedingt sehenswerten Film.

    Fazit: Mit starken Bildern schildert Nanouk Leopold in „Cobain“ eine anfangs schwer greifbare, im Finale schwer verdauliche und insgesamt unbedingt sehenswerte Coming-of-Age-Geschichte.

    Wir haben „Cobain“ bei der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film in der Sektion Generation 14+ gezeigt wird.

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