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    Dovlatov
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Dovlatov
    Von Christoph Petersen

    Es gibt viele verschiedene Arten, die Biografie eines Künstlers im Kino zu erzählen. Mit der Geburt zu beginnen und mit dem Tod zu enden, ist sicherlich die häufigste und zugleich einfallsloseste Variante. Andere Filmemacher wiederum beschränken sich ganz bewusst auf ein einzelnes herausragendes Ereignis im Leben oder Schaffen ihres Protagonisten, um so die Essenz des Künstlers aus diesem einen besonderen Moment herauszudestillieren. Alexey German Jr. geht in seinem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Dovlatov“ über den russischen Autoren Sergei Donatowitsch Dowlatow (in der internationalen Umschrift mit zwei V, im Deutschen mit zwei W) hingegen noch einen anderen Weg, wenn er sich auf die Geschehnisse ausgerechnet einer einzelnen Woche im November 1971 beschränkt, in der eben gerade nichts Existenzveränderndes im Leben des Protagonisten geschieht, ganz im Gegenteil: Die letzte Szene des Films ist der ersten zum Täuschen ähnlich. Das Thema von „Dovlatov“ ist nicht der künstlerische Erfolg, der kam im Fall von Dowlatow ja sowieso erst nach seinem Tod, sondern die zerstörerische Kraft der Stagnation, gegen die sich Dowlatow mit einer ebenso feinen wie bissigen Ironie zur Wehr zu setzen versucht.

    November 1971 in Leningrad: Nachdem er zuvor drei Jahre in einem Arbeitslager als Gefängnisaufseher Dienst geleistet hat, schlägt sich der 30-jährige Sergei Dowlatow (Milan Maric) inzwischen als Kolumnenautor für eine Fabrikzeitung durch. Allerdings wird kaum ein Artikel von ihm veröffentlicht, weil er sich strikt weigert, den von der sowjetischen Führung vorgegebenen stumpfsinnig-optimistischen Aufbruchston zu übernehmen. Stattdessen schreibt Dowlatow seine Berichte mit einer fein beobachteten Ironie, die allerdings bei seinen Chefs ebenso schlecht ankommt wie bei den Redakteuren der Literaturmagazine, von denen er schon mehr als 100 Ablehnungen erhalten hat. Statt über seine Erfahrungen im Arbeitslager solle er doch lieber etwas Erbauendes über die Arbeit auf einer Ölbohrinsel oder in einem Bergwerk schreiben. Ohne ernsthafte Aussicht auf Veröffentlichung schlägt sich Dowlatow so durch - immer am Rande der Resignation, aber ohne auch nur den kleinsten Kompromiss bei seiner literarischen Vision. In den folgenden sieben Tagen trinkt er mit Künstlerkollegen alias Leidensgenossen, er verarscht einen Spitzel der Geheimpolizei und er sucht in der ganzen Stadt nach einer deutschen Puppe, die sich seine bei seiner Ex-Frau lebende Tochter von ihm gewünscht hat….

    Als der Chefredakteur der Fabrikzeitung ihm einmal zu erklären versucht, dass eine gute Geschichte unbedingt auch einen Helden und einen Antagonisten brauche, erwidert Dowlatow den gutgemeinten Ratschlag mit der Frage, was denn dann mit all den Geschichten der anderen Menschen sei, die nur dabeistehen, beobachten und über ihr Leben nachdenken? Es ist davon auszugehen, dass Dowlatow, der nach seiner Emigration und erst Recht nach seinem Tod 1990 zu einem der Superstars der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts aufstieg, der Ansatz von Alexey German Jr. gefallen hätte, ihn in seiner eigenen Leinwandbiografie zur absoluten Passivität zu verdammen. Er darf nicht schreiben, was aus ihm raus muss, und er kann nicht schreiben, was der Sozialismus von ihm erwartet. So verbringt er seine Tage als eine Art intellektueller Slacker, sich treiben lassend, eine sich bietende Chance, sich doch noch mit dem System zu arrangieren, allenfalls halbherzig ergreifend. Das hätte leicht eine extrem deprimierende Angelegenheit werden können, zumal Alexey German Jr. seinen Film in ausgewaschenen, frostigen Bildern erzählt. Aber genau wie damals Dowlatow stemmt sich nun auch der Filmemacher mit scharf beobachteten Humor gegen die Ausweglosigkeit der Situation.

    Das ist oft der Humor des Intellektuellen, der einem seine Geringschätzung ausdrückt, und zwar in Worten, bei denen man gerade noch erfassen kann, dass sie einen beleidigen sollen – zumindest von jemandem wie Joseph Brodsky sollte man deshalb doch schon mal vorab gehört haben, um in den oft nur aus kurzen Statements bestehenden Partygesprächen der Literaten nicht völlig die Übersicht zu verlieren. Ganz selten gibt es auch Momente zum laut Loslachen, etwa wenn Dowlatow einen der Schwarzhändler im Park, die dort wie Drogen ihre illegalen Bücher verkaufen, davon überzeugt, dass er ein Ermittler der Geheimpolizei sei. Sofort bietet der Spitzel an, ihm all die Namen derjenigen zu geben, die ihn in den Tagen zuvor nach Vladimir Nabokovs „Lolita“ gefragt haben. Insgesamt aber passt sich „Dovlatov“ auch atmosphärisch der um sich greifenden Resignation der Breschnew-Ära an, alles wirkt irgendwie gedämpft, wie unter einer Glocke – egal ob ein flüchtiger Erfolg über das System, eine weitere himmelschreiende Ungerechtigkeit oder sogar der Fund 30 toter Kinder beim Bau eines Bahntunnels, auf große Gefühlsausbrüche wird man bei Dowlatow lange warten, dafür sind seine Geschichten da.

    Fazit: Alexey German Jr. punktet in „Dovlatov“ mit derselben fein beobachteten Ironie, die auch Dowlatows literarische Werke auszeichnet – eine würdige Künstlerbiografie, die der absoluten Stagnation der Ära mit ihren ausgewaschenen, unterkühlten Russlandbildern Rechnung trägt, ihr zugleich aber auch eine zumindest in einzelnen Momenten optimistisch stimmende Tragikomik entgegenstellt.

    Wir haben „Dovlatov“ bei der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wird.

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