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    Nightmare Alley
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Nightmare Alley

    Ein ewiger Teufelskreis mit einem brillanten Bradley Cooper

    Von Sidney Schering

    Ein namhafter Regisseur, der bereits einen Oscar-Hit in seiner Vita hat, nimmt sich eines Romans von William Lindsay Gresham über Gier und Betrug im Wahrsagermilieu an. Die Adaption wird mit beliebten Stars besetzt und mit riesigem Produktionsaufwand auf die Leinwand übertragen. Doch das zahlende Publikum will leicht verdauliche Unterhaltung sehen und zeigt dem passionierten Projekt voller Düsternis die kalte Schulter. Genau dieses Schicksal widerfuhr nun schon zwei Verfilmungen des Romans „Nightmare Alley“. Eine stammt aus dem Jahr 1947, wurde von Edmund Goulding („Menschen im Hotel“) inszeniert und hierzulande „Der Scharlatan“ betitelt. Die andere floppte Ende 2021 an den US-Kinokassen …

    … und ist das neue Werk von Guillermo del Toro. Doch Gouldings Film wird mittlerweile als Klassiker des Film noir gefeiert. Und die Chancen stehen gut, dass auch der Neuverfilmung des „Shape Of Water“-Regisseurs ein langes Nachwirken beschieden ist. Denn dank eines fabelhaften Looks und einem brillanten Bradley Cooper in der Hauptrolle stellt „Nightmare Alley“ ein betörend schönes wie niederschmetterndes Drama dar – auch wenn allein die Laufzeit von zweieinhalb Stunden schon andeutet, warum zumindest in Nordamerika so wenige Menschen den Weg in die Kinos fanden.

    Eine glückliche Zukunft erwartet dieses Paar nicht...

    Kaum hat sich Stanton „Stan“ Carlisle (Bradley Cooper) dem Jahrmarkt des dubiosen Schaustellers Clement „Clem“ Hoately (Willem Dafoe) angeschlossen, beginnt für das vor seiner Vergangenheit fliehende Schlitzohr ein rasanter Aufstieg. Stan lernt die Tricks des Mentalistenpaares Zeena & Pete (Toni Collette & David Strathairn) und verbessert die Show der jungen Molly (Rooney Mara), die vorgibt, tödliche Stromschläge zu verkraften. Bereits wenige Zeit später hat er das Jahrmarktleben aber satt und beschließt, ein glamouröses Leben in der Großstadt mit Molly als Gattin und Assistentin zu führen. Als eines Abends Psychiaterin Lilith Ritter (Cate Blanchett) die Show des Paares besucht, wirbelt sie Stans Leben völlig durcheinander...

    Dass sich an den Kinokassen die Geschichte wiederholt, mag bedauerlich sein. Allerdings hat es etwas ungewollt poetisches, dass sich bei einem Film voller Kreis- und Spiegel-Symbolik auch der filmhistorische Kreis schließt: Die wundervoll-detailreichen, eine unheilvolle Stimmung ausstrahlenden Sets in „Nightmare Alley“ sind voll mit (oftmals verdreckten) spiegelnden Oberflächen sowie kreisrunden Elementen. Ganz prominent ist dabei die ringförmige Schlucht, in welcher sich der „Geek“ (der unschönste Posten auf dem gesamten Jahrmarkt) für die Masse erniedrigen muss. Aber auch die Stan förmlich verschlingenden Tunnel im höllischen Horrorhaus des Jahrmarkts greifen nicht nur das optische Motiv auf, sondern sorgen zudem für einen frühen Spannungsmoment.

    Die erste Hälfte legt die Schlinge, die zweite zieht sie zu

    Mit seiner Inszenierung unterstreicht der Regisseur ebenso vehement wie subtil zwei Motive des von ihm und Kim Morgan geschriebenen Drehbuchs: Morgan und del Toro interpretieren die Gresham-Vorlage als weitestgehend hoffnungsloses Drama über einen opportunistischen Mann, der sämtliche Warnungen überhört, die an ihn gerichtet werden. Viel lieber redet er sich selbst ein, für Größeres geschaffen zu sein. Diese konsequente Selbstleugnung Stans wird zu einer Schlinge, die sich um ihn legt und schleichend zuzieht. Morgan und del Toro strukturieren die Geschichte so, dass die Kräfte, die in der zweiten Hälfte an der sprichwörtlichen Schlinge um Stans Hals ziehen, allesamt bereits in der ersten Hälfte entfesselt werden.

    „Nightmare Alley“ ist deshalb voller narrativer Spiegelbilder, die zeitverzögert ihren Protagonisten heimsuchen und damit den Teufelskreis des von Gier und Hochmut befeuerten Betrugs vervollständigen. Spannung generieren del Toro und Morgan währenddessen dadurch, dass sie dem Publikum folgende Fragen ins Ohr setzen: Täuscht Meisterbetrüger Stan womöglich auch uns und hat einen ihn rettenden Trick auf Lager, der letztlich alles als Spiel mit doppeltem Boden enttarnt? Oder sitzen wir in vorderster Reihe, um eine in Zeitlupe katastrophal aus dem Ruder laufende Zirkusnummer zu bezeugen? Der Score von „Knives Out“-Komponist Nathan Johnson unterstützt diese Ambivalenz glänzend: Die Klänge, mit denen er den Film untermalt, sind gleichermaßen simpel wie majestätisch – und aufgrund dieses Widerspruchs auf effektive Weise unbequem.

    Abstieg in die kreisrunde Hölle.

    Auf visueller Ebene wird die Geschichte in tiefe, erdrückende Schatten gehüllt: Der für „Shape Of Water“ oscarnominierte Kameramann Dan Laustsen erhellt in den Jahrmarkt-Szenen gerade so die grotesken und heruntergekommenen Bauten, Coopers Gesicht hingegen wird oftmals von Düsternis verschluckt. Und selbst wenn Stan und Molly in eine polierte Art-déco-Welt übersiedeln, verschlucken die Schatten jeglichen Glamour.

    Erdrückend sind auch spitzfindig herausgestellte Klangelemente, die sich ebenso sporadisch wie mahnend in den Vordergrund drängen: Uhren ticken penetrant, die Ketten, an denen Jahrmarkt-Kulissen hängen, rasseln bedrohlich, und die Technologien, mit der Lilith Ritter und der Stans Masche kritisch überprüfende Geschäftsmann Ezra Grindle (Richard Jenkins) hantieren, knistern, rattern und knattern mit enervierender Lautstärke.

    Cooper und Blanchett stechen aus dem Star-Cast noch mal heraus

    Wie schon in „Der Scharlatan“ lassen sich auch in del Toros „Nightmare Alley“ die Superstars nicht von der sie umgebenden Staffage an den Rand drängen: Willem Dafoe („The Florida Project“) hat als gewissenloser Leiter des Jahresmarkts eine magnetische Präsenz, durch die es glaubhaft wird, dass es Clem dauernd gelingt, Menschen um den Finger zu wickeln. David Strathairn („L.A. Confidential“) gibt als vom Alkoholismus geschwächter, dennoch durch und durch eingeübter Illusionskünstler eine charmante, tragische Figur ab. Zudem weist er eine natürliche Dynamik mit seiner Partnerin Zeena auf, die Toni Collette („Hereditary“) mit Charisma als nimmermüde, etwas aufgekratzte Vollprofessionelle darstellt. „Verblendung“-Star Rooney Mara derweil ist als naiver Spielball Stans eine sympathische Präsenz und so etwas wie die einsame gute Seele der Story.

    Die Hauptattraktionen sind jedoch Cate Blanchett („Don't Look Up“) als gleichermaßen hochkomplexe wie unsubtile Psychiaterin Lilith Ritter und natürlich Bradley Cooper im Mittelpunkt des Ganzen. Blanchett dreht den Femme-fatale-Faktor im Vergleich zur in der Erstverfilmung bestimmt auftretenden Helen Walker um ein Vielfaches auf. Blanchetts spielt ihre Figur als rauchende Verführerin mit Whiskey-Stimme, die alle denkbaren Warnsignale auslösen sollte. Und doch ist Blanchetts Lilith keine Karikatur, sondern eine komplexe Persönlichkeit voller Widerhaken, wodurch lange verborgen bleibt, welches Ziel genau sie verfolgt, und ob sie aus Gier, Lust, Zorn, Eifersucht oder Hybris handelt.

    Bradley Cooper („American Hustle“) gibt daneben eine der besten Darbietungen seiner Karriere ab. Es vergeht einige Zeit, bevor er überhaupt erwähnenswerten Dialog hat, so als müsse Stan erst seine Stimme finden. Sobald er sie gefunden hat, ändert er sie so oft, dass sich das Rätsel auftut, ob der vor den Dämonen seiner Vergangenheit flüchtende sein Gegenüber aus Langeweile belügt, weil es sein liebster Überlebenstrick ist, oder weil er vor allem sich selbst betrügen will.

    Hat Stan noch einen letzten Trick auf Lager?

    Doch egal, wie sehr Stan sprachlich in andere Rollen schlüpfen kann, eines lernt er den gesamten Film über nicht: Seine Körpersprache zu modellieren. Sie bleibt konstant verräterisch: Er nimmt immer wieder die bullig-aggressive Haltung eines altmodischen Boxers ein – als betrachte er sein ganzes Leben als Auseinandersetzung im Boxring, selbst wenn er für einige Runden seines Daseins beschließt, mit seinem Mundwerk statt seinen Fäusten zu kämpfen.

    Mit 150 Minuten Laufzeit geht Stans Kampf gegen sich, seine Dämonen, seine Arroganz und sein Umfeld über die volle Rundenzeit. Diese massive Laufzeit wird zwischenzeitlich auch deutlich spürbar – insbesondere nach einem Zeitsprung und Schauplatzwechsel im Anschluss an den ersten Akt. Dennoch ist del Toros Exzess ebenso angebracht wie einst Gouldings kompaktes Vorgehen: „Der Scharlatan“ ist eine bittere Geschichte über Betrug, die durch ihre Kürze an Prägnanz gewinnt. „Nightmare Alley“ hingegen kann dank der Ausführlichkeit zu einem neckisch-boshaften Drama heranwachsen, das dem Charakter eines nebulösen Betrügers hinterherjagt, während dieser durch die sprichwörtlichen Kreise der Hölle schlawinert.

    Fazit: Guillermo del Toros „Nightmare Alley“ ist ein großartig ausgestattetes Drama mit finster-nebulösen Figuren und einem stark aufspielenden Bradley Cooper im Mittelpunkt des sinistren Geschehens.

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