Stanley Kubricks Meilensteine 2001 – Odyssee im Weltraum, Uhrwerk Orange, Shining und Full Metal Jacket haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt und werden in Werken anderer Regisseure (jüngst in Paul Thomas Andersons There Will Be Blood) regelmäßig zitiert. Der 1956 entstandene, auf Lionel Whites Roman „Clean Break“ basierende Gangsterfilm „Die Rechnung ging nicht auf“ (besser bekannt unter seinem Originaltitel: „The Killing“) kann in dieser Hinsicht nicht ganz mithalten. Das spricht jedoch nicht automatisch gegen ihn, handelt es sich doch um den erst dritten Spielfilm des perfektionistischen Autodidakten, der ihm die Aufmerksamkeit von Hollywood-Superstar Kirk Douglas bescherte, was schließlich zum internationalen Durchbruch mit Wege zum Ruhm führte. Im Grunde ist die klischeebeladene Geschichte um die Planung und Ausführung eines Raubüberfalls, die streng den klassischen Regeln des Heist Movies folgt, von sekundärer Bedeutung. Stattdessen entfaltet der Regisseur eine inszenatorische Tour de Force, die bereits eines seiner späteren visuellen Markenzeichen, nämlich ausgedehnte Plansequenzen, erkennen lässt. Die nicht-lineare Erzählstruktur, inzwischen oft kopiert (das prominenteste und sicherlich innovativste Beispiel ist Quentin Tarantinos Reservoir Dogs) sichert dem in lediglich 24 Tagen entstandenen Low-Budget-Film seine filmhistorische Bedeutung. Zudem spornte Kubrick seine Darsteller zu Höchstleistungen an. Sterling Hayden (Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben, Der Pate, „1900“) begeistert mit unnachahmlichen Stoizismus, während Marie Windsor als eiskalte Femme Fatale, die obsessiv nach Reichtum lechzt, den Betrachter geradezu frösteln lässt.
Der glücklose Johnny Clay (Sterling Hayden), nach einer fünfjährigen Haftstrafe gerade erst aus dem Gefängnis entlassen, plant mit der finanziellen Unterstützung von Marvin Unger (Jay C. Flippen) den großen Coup. Er ist der unsicheren Gangsterexistenz überdrüssig und möchte sich zusammen mit seiner Freundin Fay (Coleen Gray) zur Ruhe setzen. Abgesehen hat er es auf die Einnahmen einer Pferderennbahn in San Francisco, die am anvisierten Datum geschätzte zwei Millionen Dollar betragen sollen. Freilich lässt sich dieses gefährliche Unternehmen nicht auf eigene Faust durchführen, fünf weitere Personen, die schwerwiegende Gründe für ihre Beteiligung haben, sind als Komplizen beteiligt. George Peatty (Elisha Cook) verbringt sein ereignisloses Leben hinter der Kasse des Pferdewettenbüros und wird von seiner gefühlskalten Frau Sherry (Marie Windsor) unter Druck gesetzt, ihr doch endlich das versprochene Luxusleben zu bieten. Ebenfalls an der Rennbahn arbeitet der Barkeeper Mike O'Reilly (Joe Sawyer), dessen Gattin schwer erkrankt und bettlägerig ist. Sogar ein Polizist ist mit von der Partie: Randy Kennan (Ted de Corsia) hat sich finanziell übernommen und nur mühselig Aufschub von einem zwielichtigen Kredithai erhalten. Zusätzlich werden der Catcher Maurice Oboukhoff (Kola Kwarain) und der Scharfschütze Nikki Arcane (Timothy Carey) angeworben, um Verwirrung zu stiften und die Polizei vor Ort abzulenken. Erste Komplikationen ergeben sich, als George gegenüber Sherry durchblicken lässt, dass er bald ein reicher Mann sein wird, was diese auf eine folgenschwere Idee bringt. Sherry betrügt ihren Mann nämlich schon seit längerer Zeit mit dem jungen Draufgänger Val Cannon (Vince Edwards)…
Bereits in der Buchvorlage von Lionel White gab es ein „Aufbrechen der zeitlichen Kontinuität“, wie Kubrick es nannte. Gerade diese dramaturgische Spielerei reizte ihn an der Verfilmung. Anstatt also zwischen den einzelnen Schauplätzen des Geschehens hin und her zu schneiden, springt der Film immer wieder zeitlich zurück und begleitet eine Figur bei ihren Vorbereitungen für den Überfall. So setzt sich erst in den Köpfen des Publikums allmählich ein Puzzle zusammen, wobei es immer wieder zu Überlappungen der einzelnen Episoden kommt. Heutzutage gehört diese Technik längst zum Einmaleins des filmischen Erzählens, gerade Tarantino hat enorm zu ihrer Popularität beigetragen. Doch 1956 war sie tatsächlich eine Innovation und so kam es, wie es kommen musste. Testvorführungen verliefen katastrophal, der Film wurde in die „richtige“ Reihenfolge gebracht, was jedoch zu völliger Konfusion führte. Schließlich einigte man sich darauf, die ursprüngliche Schnittfolge wiederherzustellen und einen Off-Kommentar hinzuzufügen, der dem Regisseur zwar gründlich missfiel, aber durchaus einen gewissen Charme besitzt. Ganz im Stil einer Reportage werden hier einige Fakten vermittelt, was gut zur kühlen Inszenierung passt. Sie ist zum einen noch sehr der Ästhetik des Film Noir verpflichtet (Schattenspiele, die Betonung gitterähnlicher Muster), findet in der ungemein agilen Kamera aber auch einen eigenen, charakteristischen Ausdruck. Die später für Kubrick so typischen, exakt symmetrischen Einstellungen findet man noch nicht. Interessanterweise ist dies die erste und einzige Zusammenarbeit Kubricks mit einem Star-Kameramann: Kubrick und Lucien Ballard (The Wild Bunch, Getaway) stritten häufig über technische Details, was man dem Endergebnis, das wie aus einem Guss wirkt und immer wieder mit seiner Virtuosität verblüfft, allerdings nie ansieht. Eine herausragende Bildsprache unterstreicht durch das bereits erwähnte Gittermotiv, man achte beispielsweise auf den Vogelkäfig der Peattys, die Ausweglosigkeit der Charaktere.
Rasch entpuppt sich Sterling Hayden als Idealbesetzung. Ihm genügen wenige Gesten und Blicke, um die Abgeklärtheit und Resignation des John Clay zum Ausdruck zu bringen. Auch abseits der Leinwand war der Sohn niederländischer Immigranten nicht gerade angepasst. So verstieß er im 1941 gegen seinen Vertrag mit dem Paramount-Studio und kämpfte im Zweiten Weltkrieg für sein Land. In den 1950er Jahren kam es aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei zu Konflikten mit dem Komitee für unamerikanische Umtriebe. Um sich selbst zu retten, sagte er zwar aus und denunzierte damit andere Genossen, distanzierte sich jedoch später davon und bat um Entschuldigung. Hinzu kamen Alkohol- und Drogenprobleme, ein chronisch leeres Bankkonto und zahlreiche Ehen, wobei er eine Frau gleich drei Mal vor den Altar führte. Marie Windsors Darstellung einer gelangweilten und geldgierigen Ehefrau changiert brillant zwischen ätzendem Sarkasmus und gespielter Sorge für ihren vom Leben gebeutelten Ehemann. Dieser wird ohne Pathos von Elisha Cook Jr. dargestellt, einem der meistbeschäftigten Charakterdarsteller der damaligen Zeit, der heutzutage noch am ehesten durch seine Rolle in „Der Malteser Falke“ bekannt ist. Trotz aller Distanz zu den Figuren, einer gehörigen Portion schwarzen Humors, der insbesondere am Schluss zum Tragen kommt, und der Tatsache, dass das Scheitern des Unternehmens nie in Frage steht, ist die Geschichte ungemein packend, wobei unbewusst stets die Hoffnung mitschwingt, Fortuna möge vielleicht doch noch gnädig sein. Wie bei allen Heist Movies, die per Definition die Planung, Vorbereitung und Ausführung eines Raubüberfalles schildern, ist es vor allem das „Wie“, das entscheidet. Der entscheidende Thrill liegt darin, zu erleben, wie die einzelnen Teile des Plans ineinander greifen. Ein Aspekt, der bei Kubrick auch auf formaler Ebene geschickt widergespiegelt wird.
Obgleich es Kubrick vornehmlich um die Auffächerung eines gescheiterten Verbrechens geht und die Laufzeit lediglich 80 Minuten beträgt, gelingen ihm einige zunächst beiläufig erscheinende Szenen von bemerkenswerter Aussagekraft. Exemplarisch sei die Situation genannt, in der Schütze Arcane eine Kriegsverletzung vortäuscht und so den invaliden farbigen Parkplatzwächter überredet, ihn nahe an der Rennbahn parken zu lassen. Letzterer erkennt die gespielte Freundlichkeit des Weißen nicht als solche und freut sich über die neue Bekanntschaft. Folglich begibt er sich mehrere Male zu Arcane, um mit ihm zu parlieren, was bald rassistische Beschimpfungen zur Folge hat. Wenige Einstellungen reichen aus, um die in den 50er Jahren noch überdeutliche Diskriminierung der Afroamerikaner anzureißen, wobei es hier indirekt auch um eines der zentralen Themen des Kubrickschen uvres geht: die Einsamkeit. Auch Unger, der alkoholkranke Finanzier der Bande, wird von ihr geplagt. In einem rückblickend erstaunlich eindeutigen Moment bittet er den Protagonisten, nach geglückter Tat mit ihm zusammenzuleben. In beiden Fällen genügen wenige Informationen. Die jeweilige Lebensgeschichte, auch wenn sie nie explizit thematisiert wird, spielt sich dank der Kunst der Andeutung vor dem geistigen Auge des Betrachters ab. Ein wenig unglücklich ist hingegen die Unterhaltung zwischen Clay und seiner Freundin zu Beginn, die in etwas zu plumpen Dialogen die für Exposition wichtigen Tatsachen vermittelt. Ein kurzer Shootout ist zudem, gerade für Kubrick-Verhältnisse, recht ungelenk inszeniert. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass vermutlich die damals noch recht strikte Zensur die Beteiligten dazu bewog, den genauen Ablauf der Schießerei im Unklaren zu lassen. Allzu schwer fallen diese kleineren Kritikpunkte ohnehin nicht in Gewicht.
„Die Rechnung geht nicht auf“ spricht aufgrund seiner hervorragenden Inszenierung, konzentrierten Schauspielleistungen und packenden Geschichte nicht nur Freunde des Genres an. Auch heutzutage vermag die komplexe Erzählweise noch zu begeistern, mit der der Film im Allgemeinen am häufigsten in Verbindung gebracht wird. Ihn darauf zu reduzieren, wäre jedoch ein Fehler. Er hat genug zu bieten, um über eine bloße Talentprobe, die er ja in einem gewissen Grade ist, hinauszugehen und sich nachhaltig für jeden Filminteressierten zu empfehlen. Keith Brown formulierte dies folgendermaßen: „.A brilliant film, and one well worth seeing - whether as an example of what Kubrick was capable of doing with limited resources, a classic film noir, or one of those many movies which Tarantino has liberally drawn from.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.