Auf den Spuren von "Moon" und "Ex Machina"
Von Christoph PetersenManchmal haben wir in Deutschland einfach Pech, wenn ein solch – vor allem visuelles – Meisterwerk wie Alex Garlands „Auslöschung“ (5 Sterne von FILMSTARTS) zwar in den USA auf der großen Leinwand läuft, aber hierzulande direkt zum Streamen bei Netflix landet. Aber manchmal ist es auch genau andersherum: Während das australische Sci-Fi-Thriller-Drama „I Am Mother“ in den Vereinigten Staaten ausschließlich Netflix-Abonnenten vorenthalten bleibt, startet es hierzulande – wenn auch einige Monate später – ganz regulär in den Kinos. Ein Glück vor allem für Fans des Genres: Das Spielfilmdebüt des australischen Regisseurs Grant Sputore ist schließlich ein grandios gespieltes, immer wieder mit Twists überraschendes, konsequent ambivalentes und thematisch reiches Zwei-Personen-und-ein-Roboter-Kammerspiel in der Tradition solcher clever-konzentrierten Sci-Fi-Stücke wie „Moon“ oder „Ex Machina“.
Am Tag nach der Auslöschung der Menschheit lässt ein einsamer Android (Stimme im Original: Rose Byrne) in einem von der Außenwelt abgeschlossenen Forschungsbunker einen der zahlreichen dort aufbewahrten Embryonen zu einem menschlichen Baby heranreifen. Jahre später kümmert sich der einfach nur „Mutter“ genannte Roboter noch immer fürsorglich um die inzwischen zur Teenagerin gereifte „Tochter“ (Clara Rugaard). Das Mädchen lernt Ballett, Origami und Ethik. So will die Künstliche Intelligenz testen, ob sie inzwischen als Mutter geeignet genug ist, um auch die anderen Embryonen zu guten Menschen zu erziehen. Aber dann steht plötzlich eine verletzte Frau (Hilary Swank) vor der Tür – und bringt das Vertrauensverhältnis und Machtgefüge in der Anlage allein mit ihrer Ankunft gehörig durcheinander ...
Eine Entdeckung: Clara Rugaard in "I Am Mother".
Ähnlich wie Alex Garlands „Ex Machina“, der am Ende zwar hochverdient, aber dennoch völlig überraschend mit dem Oscar für die besten visuellen Effekte ausgezeichnet wurde, begeistert auch „I Am Mother“ ohne Blockbuster-Budget mit einem wirklich beeindruckenden Roboter-Design: Die Kombination aus Luke Hawkers mechanisch-präziser Motion-Capture-Performance, Rose Byrnes jederzeit ruhig-liebevoller Stimme und der gewohnt-grandiosen Animationsarbeit von Weta Digital („Der Herr der Ringe“, „Avatar“, „Planet der Affen“-Trilogie) lassen „Mutter“ im selben Moment fürsorglich und verstörend erscheinen. Eine herausfordernde Ambivalenz, die vom Skript und seinen zahlreichen Wendungen nur noch immer weiter befeuert wird. Das gilt auch für das kaum weniger zwiespältige Ende, dessen Uneindeutigkeit – zumindest einer Reihe von Nutzerkommentaren im Netz nach zu urteilen – vielen Zuschauern doch arg vor den Kopf zu stoßen scheint.
Mit der Ankunft der fremden Frau spielt „I Am Mother“ vor allem mit den sich immer wieder verschiebenden Allianzen. Zwischen den beiden potenziellen „Müttern“ entbrennt ein regelrechter Wettstreit um das Vertrauen von „Tochter“ – und da der Kinobesucher nur wenig mehr erfährt als die hin und her gerissene Teenagerin, ist es auch für uns als Zuschauer nahezu unmöglich, sich für eine Seite zu entscheiden. Zumal „I Am Mother“ mit allerlei neuen Enthüllungen in schneller Abfolge zugleich dafür sorgt, dass wir mit unserer – oft auch sehr grundsätzlich ethischen – Einschätzung der Situation wieder von vorne beginnen müssen. Dass einen das auch emotional ständig auf Trapp hält, liegt neben dem cleveren Skript vor allem an der herausragenden Performance von Newcomerin Clara Rugaard. Was für eine Entdeckung! (Bisher kannte man die 21-jährige Dänin allenfalls als Sängerin des dänischen Titelsongs der Disney-Channel-Soap „Violetta“).
„I Am Mother“ ist so sehr angefüllt mit kleineren und größeren Twists, dass es sich der Film sogar erlauben kann, eine der zentralen Wendungen gleich in den ersten paar Minuten geradeheraus zu spoilern (wenn auch nur für diejenigen Zuschauer, die nicht ganz schlecht im Kopfrechnen sind). Das anziehende Tempo der Wendungen führt allerdings auch dazu, dass viele der ethischen und philosophischen Fragen (es hat schon seinen Grund, dass es in der einzigen Unterrichtsstunde von „Tochter“, die wir als Zuschauer miterleben, um eine Variante des klassischen Trolley-Problems geht) nur angerissen statt tatsächlich zu Ende erforscht werden. Statt der Frage „Was bedeutet das eigentlich?“ steht dann doch meist die Frage „Was geschieht als nächstes?“ im Vordergrund. Aber wie schon angedeutet: Auch das Ende ist so ambivalent, dass man nach dem Abspann sowieso fast zwangsläufig noch weiter über den Film und seine Themen nachdenkt ...
Fazit: Ein Geheimtipp für Fans von cleverer, spannender und dabei auch ethisch herausfordernder Sci-Fi-Kost.