Schweighöfer & Fitz nackt und herrlich albern
Von Antje Wessels„Kaufen macht glücklich!“ Das wurde sogar schon mal wissenschaftlich bestätigt. Wobei Kaufen inzwischen nicht mehr so glücklich macht wie früher mal. Denn durch die Angewohnheit, immer mehr Geld für immer sinnlosere Dinge auszugeben, bleiben die Glücksgefühle zunehmend aus, wodurch man in der heutigen Gesellschaft immer mehr kaufen muss, um immer weniger zu spüren. Nicht ganz so niederschmetternd gesellschaftspessimistisch, aber doch mit einer ähnlichen Feststellung beginnt Regisseur Florian David Fitz („Der geilste Tag“) seine Komödie „100 Dinge“: Nach und nach ordnet er der Generation unserer Urgroßeltern, Großeltern und Eltern eine steigende Anzahl an Besitztümern zu und stellt sie den Lebensumständen vom Weltkrieg bis zum Mauerfall gegenüber. Dann kommen wir, die heutige Generation. Wir besitzen zwar im Durchschnitt mehr als 10.000 Dinge, doch das, was unsere Vorfahren antrieb – und sei es nur die Hoffnung, dass der Krieg nun endlich vorbei ist – geht vielen von uns inzwischen ab.
Diese kritische Herangehensweise an das Thema Konsum ist zwar stark vereinfacht. Aber sie bildet trotzdem eine kreative Ausgangslage für ein Buddy-Movie, das sich wohltuend vom üblichen Beziehungskomödien-Einerlei abhebt. Zwar gibt es auch in „100 Dinge“ eine Liebesgeschichte, ohne die der Film womöglich sogar noch einen Tick launiger geworden wäre, aber auch so begeistern Florian David Fitz und sein Schauspiel-Kumpel Matthias Schweighöfer („Der Nanny“) in einem durch und durch charmanten Großstadtmärchen.
Paul (Florian David Fitz) und Toni (Matthias Schweighöfer) sind beste Freunde und Arbeitskollegen. Ihr neuester Coup ist eine App, die Menschen zu noch mehr Konsum verleiten soll. Doch um dem Internet-Milliardär David Zuckerman (Artjom Gilz) die Idee zu verkaufen, musste Paul ohne sein Wissen als Versuchsobjekt herhalten. Obwohl Zuckerman anbeißt und die App auf einen Schlag vier Millionen Euro wert ist, geraten Paul und Toni darüber aneinander und gehen im Suff eine folgenschwere Wette ein: Beide müssen 100 Tage lang auf ihre Besitztümer verzichten. Wer zuerst gegen die Regeln verstößt, der verliert und muss seine Firmenanteile an die Belegschaft kostenlos abtreten. Hundert Tage lang dürfen sich die beiden jede Nacht nur einen einzigen Gegenstand zurückholen. Der folgende Wettkampf stellt die lange Freundschaft der Männer auf eine harte Probe…
Als sich 2016 zwei der angesagtesten deutschen Filmstars für ein Gemeinschaftsprojekt zusammentaten, standen eigentlich alle Zeichen auf Erfolg. Doch der Tragikomödie „Der geilste Tag“ (1,7 Millionen Besucher in Deutschland) fehlten trotz ihrer dramatischen Sterbegeschichte die großen Emotionen. Umso erfrischender wirkt es nun, dass sich „100 Dinge“ vollkommen der Komödie hingibt. Doch auch, wenn die nackten Hintern der Leinwand-Buddys Schweighöfer und Fitz bereits im Trailer ausgiebig zur Geltung kommen, ist Fitz‘ dritte Regiearbeit weit davon entfernt, sich auf pubertären Klamauk der Marke „Klassentreffen 1.0“ zu beschränken. In den besten Momenten beweist der Regisseur und Drehbuchautor nämlich, dass man Albernheiten auch fernab jedweder Primitivität inszenieren kann. Denn dass die beiden Hauptfiguren Paul und Toni zu Beginn ihres Wett-Experiments blankziehen, ergibt sich ja schon zwangsläufig aus dem Plot – schließlich sind auch Klamotten ein Besitz.
Darüber hinaus verkörpern Schweighöfer und Fitz ihre Rollen als Wettstreiter, die auch mal splitterfasernackt durch ein verschneites Berlin laufen, derart uneitel, dass die Nacktheit an sich nie zum Witz wird, sondern vor allem all das, was daraus folgt. Sei es nun der Disput darüber, welche Klamotte man sich als erstes wieder anziehen sollte. Oder Pauls neidische Versuche, seinem Freund dessen Allzweckwaffe madig zu machen: einen zum Ganzkörperanzug umfunktionierten Schlafsack. Das komödiantische Timing sitzt, die Gagdichte ist enorm. Als angenehme Komödie mit gelungenen Gags funktioniert „100 Dinge“ ganz hervorragend.
Schon bei „Der geilste Tag“ gehörte die stimmige Chemie zwischen Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer zu den wenigen prägnanten Pluspunkten des Films. „100 Dinge“ profitiert nun nicht mehr alleine davon, dass die beiden auf der Leinwand gut harmonieren. Vor allem in den temporeichen Dialogszenen werfen sich die beiden Schauspieler wie selbstverständlich die Bälle zu, was auch dazu führt, dass die Dialoge zwischen Toni und Paul nie bis ins letzte Detail ausformuliert und geplant wirken, sondern sich durch vereinzelte Unterbrechungen und gegenseitige Ergänzungen eine erstaunliche Natürlichkeit einstellt. So erreicht das Gesprächstempo bisweilen aberwitzige Höhen.
Die Szenen zwischen Schweighöfer und Fitz gehören zu den stärksten des gesamten Films, während etwa Hannelore Elsner („Familienfest“) als Pauls verständnisvolle Mutter eher typische und leicht naseweise Dialogsätze von sich geben darf. Trotzdem harmoniert auch sie im Zusammenspiel mit Fitz, wenn sie ihren Filmsohn in einer berührenden Szene still in den Arm nimmt und sich einfach nur anhört, was dieser zu sagen hat. Ihre Ratschläge über Freundschaft und Verzeihen machen in dem Moment genau das, was Ratschläge von Müttern im besten Fall tun, nämlich trösten.
Auch ohne die im deutschen Mainstream-Kino mittlerweile zum Usus gewordenen Popballaden wird es in „100 Dinge“ hin und wieder ein wenig emotional, woran auch die zarte Lovestory zwischen Toni und einer geheimnisvollen Unbekannten (absolut umwerfend: Miriam Stein) nicht ganz unschuldig ist. Dass Tonis zauberhafter Flirt, für die er das unkonventionellste Dinner-Date jüngerer Filmgeschichte ausheckt, ausgerechnet kaufsüchtig ist, während er und sein Kumpel gerade dem Lean Living frönen, mag dramaturgisch ein wenig zu viel des Guten sein und führt darüber hinaus auch zu einigen arg konstruierten Storywendungen im letzten Drittel. Doch Drehbuchautor Florian David Fitz lässt es sich nicht nehmen, seine Komödie um ein paar ehrlich gemeinte Großstadtmärchen-Motive zu ergänzen.
Dazu gehören neben einem hundertfünfzigprozentigen Happy End, bei dem jede noch so kleine Nebenfigur zu ihrem Glück findet, auch eine ordentliche Portion Schmalz in Form der wohl schlechtesten Liebeserklärung der Welt: „Das ist so schlecht, dass es schon wieder süß wäre, wenn es nicht so verdammt schlecht wäre!“ Am Ende passt das alles hervorragend zusammen, weil man zu jeder Sekunde merkt, wie aufrichtig die beiden Hauptdarsteller mit den von ihnen verkörperten Figuren umgehen, wenn sie selbst die abgegriffensten Themen (etwa das Ausspannen der Freundin seines besten Freundes zu Schulzeiten) vollkommen ironiefrei auflösen.
Fazit: In „Der geilste Tag“ fuhren Matthias Schweighöfer und Florian David Fitz noch mit angezogener Handbremse. Mit dem gewohnt hochwertig produzierten „100 Dinge“ liefern sie nun eine hinreißende Mischung aus herzlich-alberner Buddy-Komödie und aufrichtigem Großstadtmärchen ab, die trotz Holprigkeiten im Drehbuch vor allem im letzten Drittel großartig unterhält.