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    Die Besessenen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Die Besessenen

    Die Schraube ist überdreht

    Von Christoph Petersen

    Wie oft Henry James‘ 1898 entstandene Novelle „The Turn Of The Screw“, die hierzulande über die Jahrzehnte immer wieder unter verschiedenen Titeln erschienen ist, bereits adaptiert wurde, lässt sich besonders schön an einem simplen Trivia-Fakt verdeutlichen: Nach ihrem Großvater Michael Redgrave („Schloss des Schreckens“ von 1961), ihrer Tante Lynn Redgrave („Dem Bösen widerstehen“ von 1974) und ihrem Onkel Corin Redgrave („Schloss des Schreckens“ von 2009) ist Joely Richardson („Nip/Tuck“) nun bereits das vierte Mitglied ihrer Familie, das in einer Verfilmung der meisterhaften Geistererzählung mitwirkt – selbst wenn sie in „Die Besessenen“ nur eine kleine Nebenrolle als psychisch kranke Mutter der Protagonistin ausfüllt.

    Nicht mal 2020 ist „Die Besessenen“ die einzige neue Adaption: Neben dem Kinofilm von Regisseurin Floria Sigismondi („The Handmaid’s Tale“) wird sich auch die zweite Staffel der Netflix-Hitserie „Spuk in Hill House“ an dem omnipräsenten Gruselstoff abarbeiten. Bei so viel Konkurrenz sollte man also besser eine zündende Idee haben, um eine weitere Version zu rechtfertigen – und tatsächlich beschreiten die „Conjuring“-Autoren Chad und Carey W. Hayes erzählerisch einige neue Wege bis hin zu einem Finale, das dem ambivalenten Ende der Vorlage gerecht zu werden versucht, dabei aber katastrophal scheitert. So ist die Neuerzählung leider weder anregend noch spannend, sondern über weite Strecken einfach nur wirr und zum Ende hin regelrecht frustrierend.

    Kate (Mackenzie Davis) guckt, als hätte sie einen Geist gesehen...

    Als Kate Mandell (Mackenzie Davis) die Stelle als Hauslehrerin in einem herrschaftlichen Anwesen antritt, geht sie davon aus, dass sie sich dort nur um die siebenjährige Flora Fairchild (Brooklynn Prince) kümmern muss. Aber dann taucht auch noch der ältere Bruder Miles (Finn Wolfhard) auf, der wegen eines gewaltsamen Übergriffes von seiner Schule geschmissen wurde – und des Nachts wird Kate zudem von verstörenden Erscheinungen wachgehalten.

    Sind die Geschwister etwa besessen? Womöglich von den Geistern der verschwundenen Hauslehrerin Jessel (Denna Thomsen) und des verunfallten Reitlehrers Quint (Niall Greig Fulton)? Oder rutscht Kate langsam in den Wahnsinn ab – so wie ihre Mutter (Joely Richardson), die im trockengelegten Schwimmbecken eines Pflegeheimes nur noch ein pechschwarzes Bild nach dem anderen vor sich hinpinselt…

    Die wilden Neunziger

    Mit ihrem Spielfilmdebüt „The Runaways“ hat Floria Sigismondi bereits ein Biopic über die gleichnamige Hardcore-Punkband inszeniert – und auch „Die Besessenen“ merkt man die Grunge-Leidenschaft der umtriebigen Musikvideo-Regisseurin, die schon für so verschiedene Künstler wie David Bowie oder Katy Perry gerabeitet hat, an: Der Film beginnt mit einem Nachrichtenbeitrag über Kurt Cobain, der sich zwei Tage zuvor mit einer Selbstladeflinte das Leben genommen hat – und auch später sehen wir Kate ständig mit Walkman-Kopfhörern, während ihre Mitbewohnerin Rose (Kim Adis) sorgfältig Kassetten-Mixed-Tapes beschriftet.

    Aber die auffällige Neunzigerjahre-Verortung führt nirgendwohin, sondern bleibt bis zum Schluss purer Selbstzweck (selbst wenn man die Cobain-Eröffnung mit sehr viel Nachsicht und nur im weitesten Sinne als thematische Klammer verstehen könnte). Stattdessen hätte man lieber mehr Wert auf eine kohärente Erzählung legen sollen – denn was die Kinder denn nun genau mit den verstorbenen bzw. verschollenen Hausangestellten zu tun haben, bleibt hier derart vage, dass es schon an pure Beliebigkeit grenzt. Zumal die in der Vorlage noch selbstzerstörerische, pervertierte, herausfordernd ambivalente Liebesgeschichte zwischen Jessel und Quint für die Neuverfilmung zeitgemäß glattgebügelt wurde – mit ihm als Täter und ihr als Opfer.

    Die erst neunjährige Brooklynn Prince stiehlt auch diesmal wieder die Show.

    Das kann man ja durchaus machen, aber dann muss man damit auch etwas anfangen. Wenn man hingegen wie hier einfach nur die Ecken und Kanten abschleift, bleibt danach nur noch ein zwar glatt polierter, aber eben auch ziemlich öde anzusehender Klotz übrig. Nicht langweilig, aber frustrierend ist hingegen die Auflösung: In zahlreichen Online-Kommentaren zu „Die Besessenen“ ist zu lesen, dass die Autoren offenbar vergessen hätten, ihren Film zu Ende zu schreiben. Aber das stimmt sicherlich nicht ganz: Wenn man um den ambivalenten Schluss der Novelle weiß, dann kann man zumindest erahnen, worauf die Macher mit ihrem doppelten Finale hinauswollten – nur kommen sie dort nie an, weil es dem Film auch schon zuvor an der nötigen Klarheit mangelt. Ein auch nur ansatzweise befriedigender Abschluss sieht mit Sicherheit anders aus.

    Nach all den sehr kritischen Tönen mag es jetzt vielleicht etwas verwundern, aber es gibt an „Die Besessenen“ auch eine Menge zu loben: Die Ausstattung des Gruselschlosses, standesgemäß mit undurchdringlichem Irrgarten und schaurigem Springbrunnen, ist hervorragend – bis hin zu den kleinen Details, die den von Quint in das Haus eingebrachten Machismo unterstreichen: So stecken etwa alle Stricknadeln in den Brustspitzen einer weiblichen Nähpuppe. Auch viele der visuellen Schnörkel sind gelungen – damit hat Sigismondi nach mehr als 50 Musikvideo-Produktionen schließlich auch reichlich Erfahrung. Zugleich versteht man so noch weniger, warum sie trotzdem derart konsequent auf platte und nur selten zündende Jump Scares setzt?

    Brooklynn Prince stiehlt (mal wieder) die Show

    Nach ihrer Badass-Rolle in „Terminator: Dark Fate“ spielt Mackenzie Davis in „Die Besessenen“ eine verängstigte Gruselfilm-Heldin - dabei trägt sie den Film mit Leichtigkeit, selbst wenn das Drehbuch ihren familiären Hintergrund samt womöglich vererbbarerer Geisteskrankheit nur sehr, sehr oberflächlich beleuchtet. Bei „Stranger Things“-Star Finn Wolfhard ist Miles‘ aufgesetzte Freundlichkeit zwar längst nicht so creepy wie damals bei Martin Stephens in „Schloss des Schreckens“ – aber das wird durch ein Mehr an Krassheit, wenn er Kate mit seinen herrischen Avancen zunehmend in die Enge treibt, wieder ausgeglichen.

    Aber das gar nicht so heimliche Highlight bleibt die inzwischen neunjährige Brooklynn Prince – und zumindest alle, die ihre Durchbruchs-Rolle in „The Florida Project“ gesehen haben, dürfte das alles andere als überraschen: Weil „Die Besessenen“ in den USA mit einer PG-13-Altersfreigabe versehen ist, darf sie zwar diesmal nicht so viel fluchen, aber ihre hemmungslos-sprudelnde Spielfreude belebt ein weiteres Mal jede Szene, in der sie auftaucht – und wie schon in „The Florida Project“ wohnt ihrer ansteckenden Freude auch diesmal wieder eine düstere, tiefe Tragik inne. Ihren Weg zum Hollywoodstar wird Brooklyn Prince weiter machen – dabei wird sie auch solch ein insgesamt schwächerer Film in ihrer Vita nicht aufhalten.

    Fazit: Trotz starker Ausstattung, Schauspieler und Bilder ist „Die Besessenen“ viel zu wirr erzählt, um auf Dauer zu fesseln – zumal Regisseurin Floria Sigismondi hier lieber ein plattes Jump-Scare-Feuerwerk abfackelt, statt auf eine unheilvolle Atmosphäre zu setzen.

    PS: Die unumstritten beste „The Turn Of The Screw“-Verfilmung, nämlich Jack Claytons „Schloss des Schreckens“ mit Deborah Kerr und zwei der verstörendsten Horror-Kindern überhaupt, ist übrigens gerade erst neu und mit herausragender Bildqualität als Mediabook von Capelight erschienen*. Im Gegensatz zu „Die Besessenen“ können wir für den Horror-Klassiker wirklich eine unbedingte Empfehlung aussprechen.

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