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    Tatort: Mitgehangen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Mitgehangen
    Von Lars-Christian Daniels

    Schöne Grüße aus Las Vegas. Seine Hochzeit war geil, er schickt ’n Foto!“ – Viel mehr erfahren wir in Sebastian Kos „Tatort: Mitgehangen“ nicht mehr über das Schicksal von Tobias Reisser (Patrick Abozen). Der frühere Assistent war im schwachen Vorgänger „Tatort: Bausünden“ das letzte Mal in Köln mit von der Partie und über die Gründe seiner Ablösung hat der WDR bis heute kaum mehr als wachsweiche Pressestatements nach außen kommuniziert. Als Abozen einst 2011 im „Tatort: Der Fall Reinhardt“ seinen Dienst antrat und die im „Tatort: Franziska“ verstorbene Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) beerbte, musste er sich zunächst in einer Art Castingrunde durchsetzen: Neben ihm versuchten sich die IT-affine Miriam Häslich (Lucie Heinze) im „Tatort: Ohnmacht“ und die nachnamenlose Assistentin Gabi (Kathi Angerer) im „Tatort: Wahre Liebe“ auf dem Polizeirevier, ehe man sich auf Abozen festlegte und weitere neun Fälle lang an ihm festhielt. Eine solche Bewerbungsrunde bleibt seinem Nachfolger erspart: Norbert Jütte (Roland Riebeling) ist der „Neue“ in der Domstadt und überzeugt bei seiner Feuertaufe auf Anhieb. Sein sympathisches Debüt ist aber auch schon das Bemerkenswerteste in diesem „Tatort“, der sonst meist auf ausgetretenen Pfaden wandelt.

    In einem Baggersee liegt ein versenkter Wagen – und in dessen Kofferraum entdecken die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) eine Leiche. Beim Toten handelt es sich um Florin Baciu (Kristijan Rasevic), der Teilhaber des Reifenhandels von Matthes Grevel (Moritz Grove) war und diesem dank seiner guten Kontakte in die Kölner Raser- Szene hohe Umsätze bescherte. Schnell gerät Grevel, der den Familienbetrieb mit seiner Frau Katrin (Lavinia Wilson) betreibt und gemeinsam mit seinem Sohn Simon (Alvar Goetze) und seiner Tochter Luzi (Letizia Caldi) auf dem Nachbargrundstück wohnt, unter dringenden Tatverdacht: Baciu ist in seiner Montagehalle, in der auch Grevels wichtigster Angestellter Otto Ziemer (Sebastian Hülk) seit 25 Jahren an Autos schraubt, erschossen worden und war offenbar an krummen Geschäften beteiligt. Hat er ein solches auch mit Astrid Seibert (Lana Cooper) durchgezogen, die ihm ihr Auto geliehen hatte? Ballauf und Schenk, die bei ihren Ermittlungen von Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) und ihrem neuen Assistenten Norbert Jütte (Roland Riebeling) unterstützt werden, bearbeiten Grevel in der U-Haft nach allen Regeln der Kunst – und bereuen diese Entscheidung schon sehr bald...

    Matthes Grevel sah angesichts des auf ihm lastenden Drucks und der Begleiterscheinungen in der Haftanstalt keinen Ausweg mehr und hat sich in seiner Gefängniszelle erhängt. Das ist nicht etwa ein ärgerlicher Spoiler des weiteren Handlungsverlaufs, sondern die erste Szene in diesem „Tatort“, in dem die Filmemacher den späteren Wendepunkt einleitend vorwegnehmen: Eine dramaturgisch eigenwillige und für die Krimireihe ziemlich ungewöhnliche Entscheidung, die am Ende durchaus ihre Berechtigung hat – ansonsten orientieren sich Drehbuchautor Johannes Rotter („Phoenixsee“) und Regisseur Sebastian Ko („Wir Monster“) allerdings fest an den ungeschrieben „Tatort“-Gesetzen, die dem Kölner „Tatort“ in den vergangenen Jahren regelmäßig achtstellige Einschaltquoten bescherten und die auch an diesem Sonntag wieder den Nerv ihrer Millionen Fans treffen werden. Einzig auf die gemeinsame Currywurst am Rheinufer müssen sie diesmal verzichten: Weil Ballauf und Schenk im Hinblick auf die Schuldfrage diesmal komplett verschiedener Meinung sind, kommt es zum handfesten Streit. Der Familienvater muss seine Wurst trotz Friedensangebot allein essen, während sich der ewige Junggeselle bei einsamen Bahnen in der Schwimmhalle abreagiert.

    Die regelmäßigen Reibereien zwischen den Kommissaren sind ebenfalls fester Bestandteil der Krimis aus der Domstadt, so dass dem neuen Assistenten Norbert Jütte (Roland Riebeling, „Das Duo“) eine Schlüsselrolle zukommt: Der sympathische Jütte bildet mit seiner unerschütterlichen Gemütlichkeit und seinem schneckenähnlichen Arbeitstempo („Einarbeitung dauert natürlich!“) den willkommenen Ruhepol in diesem emotional aufgeladenen Krimi und stiehlt bei seinem ersten Einsatz im Präsidium fast jede Szene. Der Mann hat das Potenzial zur Kultfigur – denn allein die Sequenz, in der er am Schreibtisch in Seelenruhe seinen Blutdruck misst und seinem kurz vorm Wutausbruch stehenden Chef Schenk das Messgerät anbietet, ist schon das Einschalten wert. Jütte ist damit genau das Gegenteil seines emsigen Vorgängers Reisser, der im Präsidium die Fleißarbeit erledigte und seinen Vorgesetzten den Rücken freihielt, doch zu dessen letztem Auftritt im einleitend erwähnten „Tatort: Bausünden“ ergibt sich dennoch eine auffällige Parallele: Auch diesmal fällt der Soundtrack zum Film wieder seltsam aufdringlich und oft unpassend aus – eine einleitende Hausdurchsuchung bei den Grevels wird zum Beispiel durch monoton-repetierende Akkorde eher konterkariert, als dass diese für die beabsichtigte Dynamik sorgen würden.

    Seine stärksten Szenen hat der 1052. „Tatort“ dann, wenn die Filmemacher mal aus den altbekannten „Wie gut kannten Sie den Toten?“-Schemata ausbrechen – diese Momente lassen sich allerdings an einer Hand abzählen und auch beim Blick auf die Figuren ergibt sich unter dem Strich kein überzeugendes Bild. Lavinia Wilson („Schoßgebete“), die 2013 im herausragenden Kieler „Tatort: Borowski und der Engel“ als manipulatives Biest brillierte, kauft man die zweifache Mutter ebenso wenig ab wie ihre Liebe zum inhaftierten Gatten – der Funke will hier einfach nicht überspringen. Über das Seelenleben der Charaktere erfahren wir aber auch nur wenig, was über die üblichen Klischees hinausgeht, während die erfahrene Lana Cooper („Love Steaks“) und Jungschauspieler Alvar Goetze („Bettys Diagnose“) gelegentlich dicker auftragen, als es ihren Figuren gut tut. Hinter der Kamera zeigen sich ebenfalls Schwächen: Eine Szene in einer Fechthalle ist so unbeholfen arrangiert und geschnitten, dass aus der beabsichtigten Dramatik unfreiwillige Komik wird – und der Moment, in dem Grevel vom Tod ihres Gatten erfährt, wird durch eine lange Zeitlupe und Leonard Cohens „It Seemed The Better Way“ fast zum Kitsch überhöht. Wäre da nicht die wirklich überraschende Auflösung der Täterfrage – aus diesem „Tatort“ wäre wohl nicht einmal ein durchschnittlicher geworden.

    Fazit: Sebastian Kos „Tatort: Mitgehangen“ ist ein Kölner Krimi der alten Schule, in dem sich gelungene und weniger gelungene Momente die Waage halten.

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