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    Proxima - Die Astronautin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Proxima - Die Astronautin

    Eine Mutter auf Mission zum Mars

    Von Oliver Kube

    Die sowjetische Kosmonautin Walentina Tereschkowa war mit ihrer Solomission im Raumschiff Wostok 6 (im Jahr 1963) nicht nur als erste Frau im Weltraum – sie ist auch bis heute die einzige Frau, die ohne männliche Begleitung ins All geflogen ist. Überhaupt waren von den knapp 600 Menschen, die bisher den Weltraum besuchten und erforschten, nur etwas mehr als zehn Prozent weiblich. 2013 erklärte die damals 76-jährige Parlamentarierin und Generalmajorin im Ruhestand bei einer Pressekonferenz, sie sei für einen Marsflug jederzeit bereit, auch ohne Aussicht auf Rückkehr. Sie schloss mit den Worten: „Der Mars ist mein Lieblingsplanet.“

    Ob die 1937 in Zentralrussland geborene Mutter einer Tochter der französischen Regisseurin Alice Winocour als Vorbild für die Heldin in „Proxima – Die Astronautin“ diente, ist nicht bekannt. Klar ist allerdings, dass die von Ex-Bond-Girl Eva Green brillant gespielte Astronautin Sarah Loreau viele Parallelen zur realen Tereschkowa aufweist. Dabei wird die so außergewöhnliche Protagonistin in diesem jederzeit authentisch und nachvollziehbar präsentierten Drama jedoch von ganz normalen, alltäglichen Konflikten, Ängsten und Selbstzweifeln heimgesucht.

    Sarah (Eva Green) muss für ihren Traum von der Weltall-Mission ein großes Opfer bringen.

    Sarah (Eva Green) ist der Erfüllung ihres Lebenstraums ganz nah. Sie wurde von der der Europäische Weltraumorganisation ESA ausgewählt, Mitglied einer Astronauten-Crew zu sein, die mit einem einjährigen Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS die erste Mission zum Mars vorbereiten soll. Das monatelange Training mit Kollegen in Russland und Kasachstan ist sehr hart und bringt die Französin mehrmals an körperliche wie mentale Grenzen. Als noch brutaler stellt sich für sie allerdings die Trennung von ihrer siebenjährigen Tochter Stella (Zélie Boulant) heraus.

    Während die Mutter sich vorbereitet, lebt das Kind in der Zwischenzeit bei ihrem sie liebevoll umsorgenden Vater (Lars Eidinger) in Deutschland. Der Kontakt wird in dieser Zeit durch tägliche Video-Calls gehalten. Trotzdem fällt es dem Mädchen schwer zu verstehen, weshalb ihre Mutter sie für so lange Zeit allein lassen will. Ein Umstand, der – jetzt, da der Start ins All in fast schon greifbare Nähe rückt – der Astronautin das Herz zu brechen droht…

    So gut war Eva Green noch nie

    „Promixa“ ist in erster Linie der Film der beeindruckenden Hauptdarstellerin Eva Green („Casino Royale“). Sie hat sowohl während der realistisch und extrem fordernd aussehenden Trainingssequenzen als auch in den intimen Charakterszenen mit ihrer Filmtochter eine enorme Präsenz. Green spielt Sarah mit großer Empathie, lässt den Zuschauer mit Atmung, Mimik, Gestik und Körperhaltung an ihren Gedanken teilhaben, ohne dass diese in den meisten Momenten ausgesprochen werden müssten.

    Wir spüren ihre Zweifel an sich selbst und an ihren Entscheidungen. Wir leiden mit ihr, wenn sie angesichts der fast schon unmenschlich erscheinenden Anstrengungen im Rahmen der Vorbereitungen auf den Ausflug in den Weltraum kurz vor dem Kollaps steht. Wir sind erstaunt über den Grad der vielleicht sogar gut gemeinten, letztlich ihr gegenüber aber herablassend und sexistisch wirkenden Äußerungen ihrer (nicht nur männlichen!) Kollegschaft. Und wir spüren vor allem die Verzweiflung sowie die tiefe Liebe, die sie bei der Interaktion mit ihrer mal traurigen, mal durchaus bockigen Tochter empfindet.

    Lars Eidinger ist trotz der überschaubaren Größe seiner Rolle als Ex-Mann und Vater alles andere als verschenkt.

    Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, selbst wenn das Duo lange Zeit physisch getrennt ist, immer die Mutter-Tochter-Geschichte. Die erzählerisch berührendste und auch filmisch effektivste Szene ist ein Gespräch der zwei im letzten Drittel der Laufzeit: Stella besucht ihre bereits in Quarantäne befindliche Mutter zum Abschied noch einmal in Kasachstan. Und obwohl sie durch eine dicke Glaswand getrennt sind, ist die Nähe zwischen ihnen dank der sensiblen Arbeit von Kameramann Georges Lechaptois („Ein leichtes Mädchen“) allgegenwärtig.

    Die restlichen Figuren rücken dadurch in den Hintergrund; sind mehr oder weniger dazu da, diese Beziehung zu illustrieren und zu unterfüttern, ihr einen passenden Rahmen zu bieten. Was keine Schwäche von „Proxima“ ist, denn Sarah und Stella sind mehr als ausreichend interessant und involvierend.

    Die Nebenfiguren sind keine Randfiguren

    Trotzdem versteht es Wincour („Der Bodyguard - Sein letzter Auftrag“) mit ihrem selbstverfassten Drehbuch, diese Nebenfiguren und ihre Darsteller nicht wie reine Staffage wirken zu lassen. Lars Eidinger („Schwesterlein“) mag als Stellas Vater und Sarahs Ex nicht viel Screentime haben. In seinen wenigen Szenen zeichnet er Thomas jedoch von Anfang an sympathisch und macht so seine Emotionen für uns zugänglich, auch wenn die Erzählung hier bewusst wage bleibt. So erfahren wir zum Beispiel nicht, warum sich das Paar einst getrennt hat.

    Während der von Aleksey Fateev („Loveless“) verkörperte Russe Anton die Position eines leicht jovialen großen Bruders für Sarah einnimmt, hat sie es mit dem von Matt Dillon („L.A. Crash“) gespielten amerikanischen Crew-Chef Mike nicht ganz so leicht. Eingangs präsentiert der sich als eine Art Super-Macho. Das wirkt auf den ersten Blick zwar arg klischeehaft, doch diese Figur durchschreitet eine ebenso überraschende wie erfreuliche Entwicklung.

    Großartige Arbeit von Kameramann Georges Lechaptois.

    Der Score von Elektro-Pop-Pionier und Avantgarde-Genie Ryuichi Sakamoto („The Revenant“) wird bis kurz vor dem Finale nur sehr sparsam und subtil eingesetzt. Erst dann begleiten passend majestätische Synthesizer-Klänge die Crew auf ihrem Weg bis ins Innere der Raumfähre. In den meisten Fällen allein mit den tatsächlich am Set angefallenen Geräuschen oder Stimmen unterlegt, trägt die reduzierte Soundkulisse zum dokumentarisch anmutenden Feeling vieler Momente bei. Gedreht wurde übrigens an Originalschauplätzen im Kölner ESA-Astronautenzentrum, in Star City (nördlich von Moskau) und am Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan.

    Diese Authentizität spiegelt sich im Drehbuch beziehungsweise der Handlung wider. Die Umsetzung von „Proxima“ mag auf manchen Kinofan vielleicht etwas nüchtern oder spröde wirken. Denn wer aufgrund der Verortung in der nahen Zukunft ein spektakuläres Space-Spektakel und Sci-Fi-Abenteuer vom Schlage eines „Gravity“ oder „Ad Astra“ erwartet, wird von „Proxima“ garantiert enttäuscht werden. Action (erst recht im Weltall) gibt es nicht, in Sachen Story passiert eigentlich gar nicht viel. Umso mehr ist dafür in den Köpfen (und Herzen) von Sarah und Stella los - und bestimmt auch in denen des Publikums. Und solche Reaktion zu stimulieren, ist doch die wahre Kunst.

    Offenes Ende als krönender Abschluss

    Am Ende ist „Promixa“ wunderbar berührend und gleichzeitig vielfältig lesbar. Umschreibt Regisseurin Alice Wincour mit ihrem gleichzeitig realistischen, aufgrund der Umgebung aber irgendwie auch fremdartig anmutenden Szenario die großen Herausforderungen des Elternseins? Oder ist ihr Science-Fiction-Drama ein Kommentar dazu, dass es für Frauen selbst in einer modernen, fortgeschritteneren Gesellschaft nach wie vor enorm schwierig ist, Karriere und Mutterschaft zu vereinen. Wofür wir uns letztlich entscheiden, das überlässt uns die Regisseurin mit dem gleichzeitig ambivalenten und doch alles sagenden Ende ihres Werkes selbst. Und das ist sehr gut so.

    Fazit: Ein berührendes, teilweise atemberaubend authentisches Mutter-Tochter-Drama vor außergewöhnlichem Hintergrund. Eva Green liefert dabei ihre bisher beste Schauspielleistung ab.

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