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    Schwarzer Engel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Schwarzer Engel
    Von Björn Becher

    Der Film Noir (bei dem Filmwissenschaftler noch heute streiten, ob er ein eigenes Genre oder nur ein Filmstil ist) hat in seiner Hochzeit in den 40er Jahren und der ersten Hälfte der 50er Jahre zahlreiche Klassiker hervorgebracht, die zum Pflichtrepertoire eines jeden Cineasten gehören (eine Liste mit Werken wie Goldenes Gift, „Frau ohne Gewissen“ oder Boulevard der Dämmerung u.v.m. würde sehr, sehr lang werden). Allerdings gibt es auch hinter der ersten Reihe von großen Werken noch eine Menge zu entdecken. Dazu gehört „Schwarzer Engel“ (in Deutschland zeitweise auch vertrieben als „Vergessene Stunde“), der letzte Film des langjährigen Sherlock-Holmes-Regisseurs Roy William Neill. Qualitativ sicher ein Stück hinter den besten Noirs rangierend, ist er über weite Strecken einer der düstersten und pessimistischsten Vertreter, an dessen Ende nur Verlierer stehen.

    Die schöne Sängerin Marvis Marlowe (Constance Dowling) wird tot aufgefunden. Der Verdacht der Polizei fällt schnell auf Kirk Bennett (John Phillips), der eine Affäre mit ihr hatte, von ihr erpresst wurde und zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gesehen wurde. So wird Bennett schließlich nicht nur verhaftet, sondern auch zum Tode verurteilt. Doch seine Frau Catherine (June Vincent) glaubt nicht an die Schuld ihres untreuen Ehemanns. Sie fängt an, selbst zu ermitteln und stößt dabei zuerst auf den Songschreiber Martin Blair (Dan Duryea), den alkoholkranken Ex-Ehemann des Opfers. Doch Blair kann sich jeden Verdachts entledigen und unterstützt Catherine sogar bei ihren Nachforschungen. Eine Spur führt zum Nachtclub des charmanten Marko (Peter Lorre). Da Catherine und Blair den Mörder unter den Kunden, Angestellten oder sogar in Chef Marko selbst vermuten, heuern sie als Musikerduo undercover bei Marko an.

    „Schwarzer Engel“ kam 1946 und damit im selben Jahr wie die Film-Noir-Meistwerke „Die Killer“ von Robert Siodmak, Gilda von Charles Vidor und Tote schlafen fest von Howard Hawks in die Kinos. In diesem Jahr erschienen auch andere starke Noir-Werke wie Die blaue Dahlie oder Die Spur des Fremden. Es verwundert daher nicht, dass „Schwarzer Engel“ nicht ganz die große Popularität genießt und das obwohl er übrigens genau im selben Monat erschien, wie der den Begriff des „Film Noir“ begründende Artikel des französischen Filmkritikers Nino Frank. Ein Hauptgrund für das relative Schattendasein dürfte die Absenz der richtig großen Namen sein. Am bekanntesten ist noch Autor Cornell Woolrich, der Anfang der 40er Jahre eine eigene kleine Schwarze Serie schuf, in der neben der Vorlage zu „Schwarzer Engel“ unter anderem auch die zu Francois Truffauts „Die Braut trug schwarz“ erschien. Woodruffs bekannteste Buchvorlage ist allerdings die zu Alfred Hitchcocks Das Fenster zum Hof. Der zweite große Name ist Peter Lorre. Der aus Österreich stammende, mit seiner Rolle in Fritz Langs M - Eine Stadt sucht einen Mörder zum hiesigen Star avancierte, dann aber vor den Nazis (Lorre war jüdischer Abstammung) nach Amerika geflohene Schauspieler etablierte sich in Hollywood nach anfänglichen Problemen als überdurchschnittlicher Charakterdarsteller. Die Hauptrolle vertraute man ihm nicht an, er war nicht fotogen genug. Aber Lorre erwies sich als die Idealbesetzung für zwielichtige Typen, Gauner und Halunken. So brillierte er in Klassikern wie Die Spur des Falken oder Casablanca, jeweils an der Seite von Humphrey Bogart. Auch in „Schwarzer Engel“ spielt er eine solche undurchsichtige Figur und erneut ist das Ergebnis außergewöhnlich. Lorre ist als Nachtclubbesitzer mit einigem Dreck am Stecken der heimliche Star des Films und besitzt eine ungeheure Präsenz in seinen Szenen. Gerade sein Zusammenspiel mit Ex-Boxweltmeister Freddie Steele, der seine tumbe rechte Hand mimt, birgt viele Momente, die alleine das Anschauen schon lohnen.

    Dass Universal, damals das kleinste Studio unter den Majors, für seine Adaption von Woodrichs Roman auf Schauspieler aus der zweiten Reihe zurückgreifen musste, erweist sich insgesamt sogar als Glücksfall. Über weite Strecken kann der Film den pessimistischen Ton der Romanvorlage beibehalten und alle Menschen schlussendlich als gebrochene Verlierer hinterlassen. Gerade mit einem Star wäre die männliche Hauptrolle des Trinkers Martin Blair zu jener Zeit selbst in einem Film Noir nie auch nur annähernd so düster umzusetzen gewesen, wie mit dem oftmals als Bösewicht besetzten Dan Duryea (Der Flug des Phönix (1966)). Auch June Vincent war kein Star, obwohl Universal vergeblich versuchte, sie mit „Schwarzer Engel“ zu einem aufzubauen (diesen Umstand dürfte auch der recht ausgiebige Gesangspart geschuldet sein). Genauso wie Duryea erfüllt sie ihre Rolle aber mehr als solide.

    Duryea und Vincent stehen als unglückliches Duo, das sich zwar langsam näher kommt, zwischen denen aber von Anfang an das Schicksal steht, im Mittelpunkt einer Handlung, die gegenüber der Vorlage zwar gestrafft werden musste und dadurch auch eine Spur Pessimismus verliert, aber düster bleibt. June Vincent ist der schwarze Engel, der nach und nach die Männer ins Verderben stürzt, obwohl sie ihnen allen nur helfen will - ihren unschuldig im Gefängnis sitzenden Mann, den sein Leben wegwerfenden Alkoholiker oder den angedeutet homosexuellen Nachtclubbesitzer, der etwas für sie empfindet und sie deswegen in sein Haus holt, obwohl er ahnt, dass es sein Untergang bedeuten könnte.

    Achtung Spoiler:

    Am Schluss rettet sie zwar ihren Mann vor der Todesstrafe und präsentiert Captain Flood (Broderick Crawford) den wahren Mörder, doch ihr wehmütiger Blick offenbart ihr wahres Inneres. Wie zum Hohn macht die Kamera danach noch einmal einen letzten Schwenk, auf ein Plakat des von ihr performten Liedes: „Time Will Tell“ steht da in großen Lettern und beim Zuschauer bleibt die Frage, ob es ihr nicht vielleicht recht gewesen wäre, wenn die Zeit geschwiegen hätte.

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